UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 86

leer. wie ein ausgekippter sahnebecher, ungeschlagen in den ausguß.
ungeschlagen?
der mann schlang sich den mantel um und schritt vor die tür.
schnee, schwarzer schnee, doch sein mantel war rein, und ein alter kerl näherte sich dem mann, blieb vor ihm stehen, ging einen schritt nach rechts, stellte sich dem mann zurück in den weg und stoppte ihn gänzlich, tänzelte jede seiner nächsten ausweichenden bewegungen ins verharren und sagte: „und schlägt der arsch auch falten, wir bleiben doch die alten.“
„bist du bescheuert, alter mann, oder was?“, schrie der mann den alten an und ging mit einem großen schritt links zur seite, ließ den alten stehen wo er war, „du hast sie doch nicht mehr alle!“
der mann haßte sprichwörter, oder wie immer man solch gerede auch nennen mochte.
doch er drehte sich noch einmal zum alten um und rief die straße entlang zu ihm zurück: „hätt’ meine tante ’nen pimmel, dann wär sie mein onkel!“
 
„schön warm bei dir.“ sagte der mann und rieb sich auftauend die hände.
„soll tauwetter geben. antwortete die frau und schob ihm anbei seine lieblingszigarettensorte rüber. „ohne dampf kein kampf.“ lächelte sie ihn an.
„ohne maus kein haus,“ antwortete der mann und steckte sich eine der rübergeschobenen prince denmark an.
„das ist vorbei.“ sagte die frau, „da brauch’ man keine mausi mehr zu, immer mehr leute leben heute als single. ein großteil auch schon allein in einfamilienhäusern oder in fünfzimmerwohnungen.“
„ohne latten keine ratten.“ antwortete der mann, drückte seine hastig gerauchte zigarette aus und rubbelte sich mit dem handballen über der oberlippe einen aus der nase schlierenden tropfen fort.
„ohne mann kein fun.“ 
„genau.“ gab der mann der frau recht. „hast du nachtschicht?“ fragte er sie.
„ja. da nimm.“ sie reichte ihm ein taschentuch aus zellstoff, „aber ich mag gar nicht hin, ich glaub, die nacht sterben wieder ein paar leute auf station, weiß auch nicht, was zur zeit los ist.“
„der tod ist unser aller boot als letztes brot. oder vielleicht ist auch der tod unser aller brot im letzten boot. genau, der tod ist unser aller boot im ganzen brot, ist unser riesenboot aus lebensbrot. ich denk, du hast dich dran gewöhnt, du hast doch mal gesagt, das macht dir schon ewig nichts mehr aus.“
„stimmt ja auch, aber momentan eben irgendwie nicht, ich hab das gefühl, daß ich da selber bald liege, die zeit läuft so schnell bergab, da bleibt nicht mehr viel. kommst’ am sonnabend mit in den swingerklub?“
„swingen ist kein singen. ja, kann ich machen. aber das mit der zeit ist wirklich ein phänomen, weiß auch nicht, woran das liegt, hab oft drüber nachgedacht, das würd ich gern mal entschlüsseln, so, daß man dagegen angehen kann, das nicht so empfinden muß, wie macht man das bloß, mir geht’s genauso wie dir. seh mich auch schon ständig in den letzten zügen und in sonem ablebesack liegen.“
„denken ist verrenken, die letzten züge, sind auch nur eine lüge.“ antwortete die frau.
„und das singen im chor, bleibt auch nur ein davor.“ kam es vom mann zurück.
sie lachten beide, und dem mann lief der rotz aus der nase, und als er sagen wollte: „rotz und lachen sind lange noch kein…“, kam er einfach nicht mehr weiter, ihr lachen steckte ihn dermaßen an, das er jedes weitere wort verschluckte, im brüllen nichts mehr rausbekam. irgendwann beruhigten sie sich, doch als die frau erneut begann: „in der schicht zur nacht, wird immer von jemand anderem das teelicht entfacht!“ ging alles wieder von vorne los.