New Orleans hat mindestens zweimal die Entwicklung der Popmusik entscheidend beeinflusst: Erstmals Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Entstehungdes Jazz. Und dann wieder in den 50ern mit der eigenen New Orleans-Variante des Rhythm & Blues und Rock ’n’ Roll.
Was die Musik dieser Stadt so einzigartig macht, ist die bunte Mischung ausden verschiedensten Kulturen aus Europa, Afrika, der Karibik und Amerika. Denn New Orleans ist die in kultureller Hinsicht vielfarbigste, einige nennen sie auch dieunamerikanischste, Stadt der USA oder die nördlichste Stadt der Karibik. 1718 gegründet wird sie 1762 an Spanien verkauft. Nach einer Revolte französischer Siedlerim Jahre 1768, die ein Jahr später niedergeschlagen wird, und abermaliger spanischer Machtübernahme gehört New Orleans ab 1803 zu den USA. Im 19. Jahrhundert vervollständigen befreite Sklaven aus Westindien und dem Süden der USA das Völkergemisch. Als Herz des alten New Orleans wird heute das”french quarter“ bezeichnet, das in seiner Architektur spanische und französische Einflüsse vereint.
New Orleans wird gemeinhin als Geburtsort des Jazz bezeichnet, auch wenn manheute weiß, dass die Stadt keineswegs die einzige Stätte des frühen Jazz war. Aber New Orleans brachte einmalige Voraussetzungen für diese Rolle mit. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung der Stadt ungefähr halb schwarz und halb weiß gewesen. Doch nachdem die Vereinigten Staaten 1803 die Stadt erworben hatten, kamen immer mehr amerikanische Siedler in den Süden. Zugleich kamen mehr Sklaven, und mit ihnen eine frische Zufuhr traditioneller afrikanischer Kultur.
Es bildeten sich schwarze Slums, wo der Kult des Voodoo florierte. Auf dem Congo Square, einem Ort, wo die Sklaven einst ihre Musik und Tänze praktizieren durften,hatten Musiker um 1880 begonnen, europäische Instrumente mit afrikanischen zu kombinieren und Ruf-Anwort-Muster in kreolischer Sprache zu singen.
Die Musik im New Orleans des späten 19.Jahrhunderts wurde, wie fast überall in den Vereinigten Staaten, von Blaskapellen beherrscht. Ein reichliches Angebot billiger Militärkapellen-Instrumente nach Ende des Bürgerkrieges und der Auflösung der Truppen lieferte die Mittel, und der Wohlstand und die wachsende Bevölkerung der Stadt sorgten für den Bedarf. Blaskapellen spielten bei Paraden, Tanzveranstaltungen, Bootsausflügen und Beerdigungen. Für die Nachkommen westafrikanischer Kulturen war besonders die Ehrung der Toten durch Musik eine wichtige Erinnerung an ihre Heimat. Afrikanische Kulte und Geheimgesellschaften tauchten in New Orleans unter dem Deckmantel von Freimaurerlogen und Hilfsfonds wieder auf. Wenn fleißig eingezahlt wurde, war damit ein würdevoller Abschied garantiert, mit so vielen Musikern, so viel Getön und einer so langen Totenwache, wie es das Geld hergab. Wie so eine Beerdigung ablief, schildert Louis Armstrong in seiner Autobiografie über die Jahre in New Orleans. Der Tote, dessen Beerdigung begangen wurde, ist Arthur Brown. Er war ein Schulkamerad, der vom Bruder einer Freundin erschossen worden war.
”Wir veranstalteten eine kleine Kollekte und engagierten für die Beerdigung eine Kapelle. Aus allen Gegenden der Stadt . . . kamen viele schöne Mädchen, lauter ehemalige Flammen von Arthur, um an der Leichenfeier teilzunehmen. Sie schluchtzen alle herzzerreißend. Wir Burschen hielten die Kordeln des Bahrtuchs, und die Kapelle, die wir engagiert hatten, war die beste, die ich je gehört hatte: die ”Onward Brass Band“ mit Joe ”King“ Oliver und Emmanuel Perez auf dem Kornett. (. . . ) Als die Onward Brass Band den Trauermarsch anstimmte und Arthur Browns Leichnam zur Friedhofskapelle geleitete, war es besonders schlimm. Alle weinten, auch ich. Black Benny rührte ganz leise seine Pauke, und Babe Matthews hatte seine Trommel mit einem Taschentuch gedämpft. Die Kapelle spielte ”Näher mein Gott zu dir“. Es war herzzerreißend.
Typisch für die Begräbnisse in New Orleans ist es, dass man nur bis zum Friedhof traurig ist, zu dem sehr langsam gegangen wird. Sobald der Reverend die üblichen Gebete ”Asche zu Asche, Staub zu Staub“ usw. gesprochen hat, wird alles anders. Der Trommler entfernt das Taschentuch von seinem Instrument, die Kapelle zieht ab, und beim ersten Häuserblock stimmt der Chef, in diesem Fall Joe Oliver, mit seinem Kornett ein ”tat-tat-tat-ta“ an, die anderen setzen ihre Instrumente an, und alle spielen ”Didn’t he ramble“. In New Orleans ist es üblich, nach dem Tod eines Menschen fröhlich zu sein. Gewiss, die Eltern des Verstorbenen dürfen traurig sein, vor allem, wenn der Prediger über den Abgeschiedenen, der zu Grabe getragen wird, ein paar Worte sagt. Liegt der Bruder erst sechs Fuß unter der Erde, dann stimmt die Kapelle eins der guten alten Stücke wie z.B. ”Didn’t he ramble“ an, und aller Kummer ist vorbei, besonders, wenn ein King Oliver die letzte Strophe eine Oktave höher spielt. Das Trauergefolge beginnt dann im Takt von einem Bürgersteig zum andern zu wallen, vor allem die sogenannten ”zweiten Reihen“, die sich dem Trauergefolge angeschlossen haben: Ärzte, Advokaten, Beamte und alle möglichen Stromer, wer immer sich von der Musik angezogen und mitgerissen fühlt, reiht sich ein, um zu sehen, was da los ist.“
1897 eröffnete das erste legale Amüsierviertel der Stadt. Es trug den Namen Storyville und bestand bis 1917. Dann wurde es von den Behörden geschlossen, weil man es als wehrkraftzersetzend ansah. Die Sporting Houses (Bordelle) des Viertelswurden zu einer lukrativen Einnahmequelle für findige junge Pianisten wie Jelly Roll Morton, die in ihren Programmen Ragtime und Blues ebenso spielten wie gängige Balladen.
Die Pianisten spielten in den parfümierten, mit Samt ausgeschlagenen, geschmückten Salons der Bordelle, und die Blaskapellen spielten draußen auf den Straßen oder Pferdekarren weiter. Europa und Amerika vermischten sich weiter. Der ”Tiger Rag“ der Orginal Dixieland Jazz Band, eines der ersten auf Platte veröffentlichten Jazz-Stücke, war mit mehreren Zwischenschritten, aus einer alten französischen Quadrille abgeleitet worden.
Die klassische New-Orleans-Jazz-Besetzung war eine Mixtur aus verschiedenen Quellen: Blechbläser und Schlagzeug kamen von den Militärkapellen, die Klarinette von den gebildeten kreolischen Musikern und Banjo oder Gitarre aus dem Blues. Jazz war der Name des neuen Klangs. Ob zuerst Weiße oder Schwarze in diesem Stil spielten, bleibt umstritten.
Die ersten Aufnahmen machte 1917 die (weiße) Original Dixieland ”Jass“ Band um den Trompeter Nick LaRocca. LaRocca hatte jahrzehntelang behauptet, er habe den Jazz erfunden. Noch kurz vor seinem Tode drohte er all denen mit juristischen Konsequenzen, die die Farbigen als erste Jazzer bezeichneten. Das hielt er für kommunistische Propaganda. Doch auch der schwarze Pianist Jelly Roll Morton versuchte nicht ganz erfolglos, sich als ”Erfinder des Jazz“ zu verkaufen. Er gibt als Entstehungsjahr 1902 an. Doch eine der ersten Jazzbands war wahrscheinlich schon Ende des 19. Jahrhunderts das Orchester von ”Papa“ Jack Laine. Er gilt zurecht als ”Vater des weißen Jazz,“ doch auch er musste anerkennen, dass zu seiner Zeit (er war zwischen 1889 und 1920 Leiter der verschiedensten Kapellen in New Orleans) Gruppen von Farbigen ebenfalls schon Jazz spielten.
Der Videoclip zeigt Louis Armstrong und Billie Holiday mit „Do you know what it means, to miss New Orleans“ aus dem Jahr 1947.