Was ist nur mit Neil Young los? Nicht nur hat er – in seinem Alter durchaus gerechtfertigt – seine Memoiren veröffentlicht. Und nachdem er neun Jahre nicht mehr mit Crazy Horse im Studio war, erscheinen 2012 gleich zwei Alben mit den Urbildern des Garagen-Rock. Und „Psychedelic Pill“ ist nicht mehr und nicht weniger als die Zusammenfassung dessen, was Neil Young & Crazy Horse musikalisch ausmachte und ausmacht.
Weniger eine psychedelische Pille als ein süßes Hefebrötchen zum Frühstück sei dieses Monstrum von einem Doppelalbum, meinte ein Kritiker. Ein anderer hörte es als Begleitmusik zu Youngs Memoiren. Und ich selbst: Ich bin bei jedem Hören ratloser, erstaunter und begeisterter. Denn ob nun die halbe Stunde „Driftin Back“, mit der CD 1 beginnt oder das unverschämt sentimentale „For The Love Of Man“, ob das wehmütige „She‘s Always Dancing“ oder „Born In Ontario“: Jede Note, jeder Sound weckt sofort Erinnerungen an Abende, wo man begeistert mit Freunden „Like A Hurricane“ oder „Couwgirl In The Sand“ bei Parties auflegte und man sich im Tanz völlig verlor. Klar: Die Ideale der Hippies wurden vom Kommerz versaut, wie Young beklagt, so wie Picasso durch die Industrie zur Tapete degradiert wurde. Doch die Sehnsucht nach dieser einmaligen Zeit – irgendwann kurz vor meiner Geburt – hat Young niemals losgelassen über die Jahrzehnte. Da änderten weder Punk noch Grunge oder die Wut über unfähige Präsidenten was dran. Und wenn er jetzt seine Gitarre wieder zu endlosen Wanderungen singen lässt, dann ist das wie ein dankbares Erinnern an diese Zeit, wo alles möglich schien. Und doch ist dieser Blick zurück niemals ohne die Erfahrungen späterer Jahre zu hören. Die Härte, die Wut und die Brüche der Jahrzehnte klingen ebenso mit.
Nein: eine Droge ist „Psychedelic Pill“ nicht. Jedenfalls keine, die einem bunte Bilder vorlügt. Eher eine, die einen für ein paar Stunden den Blick für das eigene Leben schärft. Für die vergangenen Glücksgefühle ebenso wie für die Niederlagen, die man überstanden hat. Und wenn man aus dem Malstrom von Youngs Gitarre wieder aufgetaucht ist, dann hat man mehr über ihn und sich selbst erfahren, als man vorher ahnen konnte. Und das schaffen nur wenige Künstler. Und außerdem: Nach „Psychedelic Pill“ kommt einem das eigentlich wunderbare „Americana“ plötzlich banal vor.
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