Er war einer der wenigen Überlebenden aus der großen Zeit des Soul. Doch für Mighty Sam McClain sind die Grenzen zwischen Blues, Soul und anderer Musik nicht wirklich wichtig. So hat er selbst mit einer iranischen Sängerin Duette aufgenommen. Wichtig ist ihm immer die Botschaft, die er verkündet. Auf seinem letzten Album „Too Much Jesus (Not Enough Whiskey)“ verpackte er die in Songs zwischen Philly-Soul, Funk und klassischen Rhythm & Blues. Am 16. Juni ist der Sänger verstorben. Im April hatte er einen Schlaganfall erlitten.

Wenn von neuen Soulsängern oder -sängerinnen geredet wird, dann macht sich manchmal schnell eine Enttäuschung breit. Zwar können die Musiker den alten Stil kunstgerecht nachahmen. Doch das Eigentliche fehlt. Denn was Castingagenten schwer zu erklären ist: Soul hat immer mehr mit der Seele des Künstlers zu tun. nicht mit einer bestimmten Art zu singen. Man höre sich nur ein beliebiges Album von Solomon Burke an – oder eben von Sam McClain. Egal, ob sie Gospel singen, oder Blues – oder gar Country: Jede einzelne Note dieser Sänger hat mehr Soul, als ein beliebiges Neo-Soul-Album der letzten Jahre.

Wenn man das Cover und den Plattentitel betrachtet, dann kann man leicht in die Irre geführt werden. Nein: Das ist kein Album, was sich über den Mangel an Alkohol beklagt. Im Titelsong, eigentlich einem Gebet zu Thanksgiving, hat Mighty Sam McClain die Geschichte hinter dem Albumtitel so erklärt: Seit er verheiratet ist und mit dem Trinken aufgehört hat, kommen immer weniger seiner Freunde zu Besuch. Bei ihm gäbe es mittlerweile „Too Much Jesus“ und zu wenig Whiskey. McClain allerdings steht dazu, dass der Glaube ihm im Alter immer wichtiger wird. Und das bringt er in den 14 gemeinsam mit seinem Gitarristen Pat Herlehy geschriebenen Liedern der CD auch immer wieder zum Ausdruck. Und je mehr er dabei die Hörer auch musikalisch mit in die Kirche nimmt, desto besser funktioniert das Album.

Funkiger Gospel, Rhythm&Blues-Bläser und manchmal sogar Reggae-Rhythmen: All das sind nur Mittel, um diese unwahrscheinliche Stimme McClains zu präsentieren: Nach Solomon Burkes Tod war er so ziemlich der letzte dieser großen Soulsänger der 60er Jahre. Soul als Mixtur von Kirche und Kneipe, als tiefempfundenes Bekenntnis des Sünders ebenso wie die Klage des verlassenen Liebhabers. Hier kommt es alles nochmal zusammen ohne irgendwelche Modernismen oder das Schielen nach verkaufsfördernden Referenzen. Denn seit einigen Jahren lässt sich McClain hier von niemandem mehr hereinreden: Seine Platten entstehen für die eigene Firma, die Lieder werden im eigenen Verlag veröffentlicht.

Sam McClain hat nie die ganz große Karriere gemacht, hatte wenige Hitparadenerfolge – doch er ist über die ganzen Jahre hin dieser Musik treu geblieben. Geboren wurde er 1943 in Monroe, Louisiana, ganz im Norden des Bibel Belt. Und so war es ganz natürlich, dass er schon als Kind im Kirchenchor zu singen begann. Besonders, da es die Gemeinde seiner Mutter war. Erst danach begann er auch als Baumwollpflücker zu arbeiten. Als er dreizehn war, haute er von zu Hause ab, um seinem gewalttätigen Stiefvater zu entkommen. Gemeinsam mit dem lokal bekannten Gitarristen „Little Melvin“ Underwood zog er durch die Clubs des Südens, schon bald als Leadsänger. Und 1966 hatte er mit einer Aufnahme von Patsy Cline‘s „Sweet Dreams“ seinen ersten kleineren Erfolg. In den Fame-Studios von Muscle Shoals konnte er daraufhin etliche Singles aufnehmen. Eines der Vorbilder für seine Musik war Bobby „Blue“ Bland mit seinem Soulblues. Doch seine Karriere kam nie richtig in Gang, auch wenn die Platten über so renommierte Label wie Atlantic oder Malaco veröffentlicht wurden. Auch dass er insgesamt drei Mal in den berühmten Shows des Apollo Theatre in New York auftrat, änderte nichts daran.

15 Jahre lang musste er sich mit miesen Jobs durchschlagen, war er zeitweise obdachlos und verkaufte sein Blutplasma um zu überleben. Erst Mitte der 80er Jahre bekam er als Musiker eine echte Chance. Er war mittlerweile über Nashville nach New Orleans gekommen. Und dort setzten sich die Neville Brothers für ihn ein, als er am absoluten Tiefpunkt angekommen war. 1989 bekam er schließlich die Chance, durch Japan zu touren. Die dabei entstandene Platte „Live in Japan“ ist heute ein absolutes Sammlerstück bei Blues- und Soulfans. Zuvor hatte er von Hubert Sumlin die Chance bekommen, auf seinen Platten mitzuwirken, bevor er wiederum für einige Zeit in einem zum Scheitern verurteilten Immobilienbüro mit seiner dritten Frau in Houston arbeitete.

In den frühen 90er Jahren fand er Verbindungen in die Szene von Boston und Umgebung über das Projekt der „Hubert Sumlin Blues Party“. Auf diesem Wege bekam er auch einen guten Plattenvertrag bei AudioQuest Music, wo er dann erfolgreiche Platten wie „Give It Up To Love“ und „Keep on Movin“ oder „Sledgehammer Soul and Down Home Blues“ veröffentlichte. Produzent und Labelchef Joe Harley gab McClain hier erstmals die Möglichkeit, seine eigenen Songs zu produzieren.

Gerade „Give It Up to Love“ zeigte McClain als Sänger und Songschreiber in absoluter Höchstform. Nur zwei Cover von Al Green und Carlene Carter waren auf der Platte. Mit diesen Liedern tauchte er dann auch bei „Ally McBeal“ auf, was eine der Ursachen für seine Grammy-Nominierung in der damaligen Zeit war. Und noch heute werden die Alben als Referenzen für audiophile Produktionen immer wieder in den neuesten Varianten, ob als SACD oder wie die angesagten Trends auch immer heißen mögen, wieder auf den Markt geworfen. Damit konnte er seinen Ruf sowohl in der Blues- als auch der Soulszene nicht nur in den USA sondern auch in Europa festigen. In Europa hat man ihm den Titel „The Soul of America“ verliehen“, was vom großen Respekt, den man ihm hierzulande als Künstler zollt, Zeugnis ablegt.

Und so kam es letztlich auch zu dem Album „Scent of Reunion: Love Duets Across Civilizations“, wo er gemeinsam mit der iranischen Sängerin Mahsa Vahdat Lieder singt, die auf Texten iranischer und englischer Lyriker beruhen. Entstanden ist das Album in Norwegen gemeinsam mit dem Komponisten und Produzenten Erik Hillestadt und Musikern wie dem Gitarristen Knut Reiersrud, mit dem er später auch noch ein weiteres Album einspielte. Das transkulturelle Album gelangte in Europa in die World Music Charts und wurde so zu einem seiner größten Erfolge. Eine Fortsetzung des Projekts erschien unter dem Titel „Deeper Tone of Longing: Love Duets Across Civilisations“ in Norwegen.

2014 tauchte McClain auch auf dem Projekt „Songs from a stolen Spring“ auf, auf dem Lieder westlicher Künstler mit denen von Musikern aus den Ländern des arabischen Frühlings vermischt wurden. Jetzt ist die Stimme dieses großen Soulpredigers verstummt.