Am Anfang und Ende steht jeweils ein Cover. Doch die eigentliche Action kommt dazwischen: Low Society hat für ihr aktuelles Album „Sanctified“ acht neue Songs geschrieben, die die ganze Bandbreite zwischen Hill Country Boogie, New Orleans Feeling, Americana, Rock und osteuropäischen Sounds abdecken.
Mandy Lemons ist eine Sängerin, die ganz klar die klassischen Bluesladies verinnerlicht hat. Doch ihr Gesang weist klar darüber hinaus. In Stücken wie „The Freeze“ hören manche Anklänge an Marlene Dietrich. Mich erinnert ihre Röhre hier eher an Nina Hagen. Auf jeden Fall kommt in den langsamen Blues hier ein Drama und eine Expressivität hinein, die man kaum erwartet hätte. Sie schafft es hier und auch in den anderen Songs, den Hörer ganz fest zu packen. Ohne irgendwelchen theatralischen Mätzchen packt sie in jede Nummer einer derartige an Herz und Nieren greifende Emotionalität, die heutzutage eher selten ist.
Das geht schon bei John Prines „Angel from Montgomery“, mit dem das Album beginnt, los: Wo andere Sängerinnen diese Nummer eher zärtlich, zurückhaltend oder langweilig und auf Hochglanz poliert interpretieren, packt einen die Nummer durch Lemons Gesang und die heftig rockende Band direkt im Unterleib. Dieser Engel ist ein solcher nicht als ätherischer Bote, sondern einfach ein Engel im Bett.
Nummern wie der „Racoon Song“ oder der Titelsong rocken gehörig nach vorn. Getrieben von der tollen Band (diesmal gehört dazu eine belgische Rhythmusgruppe, die Lemons und Nikides hierzulande bei Auftritten anheuert) erscheint die Sängerin als wilde Kreuzung zwischen John Lee Hooker und Patti Smith.
Eher klassisch ist ihre Herangehensweise bei I’d Rather Go Blind“: Der Respekt vor Etta James führt zu einer tief emotionalen Tour durch die Verzweiflung. Was diese Nummer von den zahllosen anderen Interpretationen des Klassikers unterscheidet? Für mich ganz klar die Slide-Einsätze der Gitarre, die den Song aus dem Nachtclub zurück in dreckige Bluesclubs holt.
Bei „Nina“ setzt Mandy Lemons Nina Simone ein Denkmal. Doch mit der faszinierenden Gitarrenarbeit von Sturgis Nikides weist dieser Song weit darüber hinaus. Man hört Anklänge an das osteuropäisch-griechische Erbe von Nikides hier ebenso heraus wie seine Bewunderung für Jimmy Page. Denn die Idee für die Komposition mit ihren mändernden Gitarrensounds stammt von „White Summer“, einer Liveaufnahme von den Yardbirds auf einem obskuren Bootleg, bei dem Page schon all das aufscheinen ließ, was später zu den großartigen Sounds von Led Zeppelin auf Alben wie „Houses of the Holy“ führte.
Wobei man Nikides als Gitarristen und Produzenten bei dieser Scheibe nicht genug herausheben kann: Immer wieder setzt er die überraschenden Akzente, sorgt er dafür, das der Bluesrock niemals in Klischees landet. Wenn man heute fragt, wie man den Blues in die Zukunft bringen kann: dies ist eindeutig ein Weg.
„Sanctified“ gehört zu den Alben, die man 2017 unbedingt gehört haben muss. Und Low Society sind in dieser Form für mich eine der empfehlenswertesten Bands aus dem Bereich des Bluesrock.