Johannes 10,11-16 – Liebe, Gemeinde und Rituale – 18.04.2010

 

10,11 Ich bin  der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.

10,12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -,

10,13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.

10,14 Ich bin der gute Hirte und  kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich,

10,15 wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

10,16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.

Ihr Lieben,

jedes Mal, wenn ein kirchlicher Feiertag naht, gibt es bei den Medien ein Ritual: Fragen wir die Leute danach, warum wir beispielsweise Ostern feiern. Die Ergebnisse – auch bei Weihnachten oder noch schlimmer bei solch „kleinen“ Festen wie dem Reformationstag sind für mich immer wieder ein Grund zum Lachen. Also dass Luther an der Wittenberger Schlosskirche gekreuzigt wurde an Ostern …

Aber das ist nicht erstaunlich, wenn man mal überlegt, wer denn überhaupt sich noch mit den Fragen von Glauben und Kirche beschäftigt. Schließlich werden hierzulande nur noch fünf Prozent der hier geborenen Kinder getauft. Und auch wenn die Zahl von Erwachsenentaufen seit Jahren ansteigt – eigentlich kann man in Pommern nicht mehr vom christlichen Abendland reden, ohne sich lächerlich zu machen.

Aber die Leute wissen einfach nicht mehr, warum sie überhaupt noch glauben sollten, was das Ganze denn bringt.

Aber wir könnten uns doch trotzdem ein wenig bei unserem Verhältnis zur Kirche aufhalten. Warum glauben wir eigentlich? Warum kommen wir zum Gottesdienst? Und was erwarten wir eigentlich vom Glauben. Und wir wollen einfach die Hochzeit als Bild benutzen. Ok, das ist jetzt unfair – aber ich bin in Gedanken schon immer dabei, mir eine Predigt für Annes und Matthias‘ Hochzeit zu überlegen.

Sören Kierkegaard schreibt einmal von einem verliebten jungen Mädchen. Dass sie verliebt war, daran zweifelte niemand. Aber das ist jetzt lange her, schreibt Kierkegaard. Denn jetzt ist sie viele Jahre lang mit ihrem Auserwählten verheiratet gewesen. Und dass man die Freude im Leben eines anderen ist, und dass man sich darüber freut, dass der andere da ist, daran denkt sie jetzt nicht mehr so sehr. Ist er doch da! Tag und Nacht. Und in dem Sinne hat sie keinen Geliebten mehr. Nein, sie hat einen Mann. Und seiner ist sie sicher, jedenfalls ist sie sicher, dass sie gut genug für ihn ist. Darüber braucht sie also eigentlich nicht mehr so sehr nachzudenken. Und desto mehr Zeit hat sie, mit den anderen Frauen über deren Männer zu reden.

Wenn Kierkegaard so schreibt, ironisch und spöttisch, wie er ja sein konnte, dann will er auf diese Weise zeigen, wie es im Verhältnis zwischen zwei Menschen sehr leicht dazu kommen kann, dass man sich gleichgültig ist. Es ist kein Nerv mehr darin, kein Pulsschlag, keine Energie, kein Strom. Es ist so, wie es schon lange gewesen ist und wie es gewiss auch in Zukunft sein wird – und man gähnt. Das einzige sichtbare Zeichen, dass die beiden immer noch zusammengehören, ist, dass sie fortgesetzt zusammen wohnen, und dann haben sie ja auch irgendwo in einer Schublade eine vergilbte Heiratsurkunde liegen.

So was gilt nicht nur in einer Liebesbeziehung. Auch beim Glauben muss man sich fragen: Wo ist der Nerv, der Pulsschlag, die Energie, dieser unaufhörliche Strom? Ist das was, was man immer wieder vergisst, weil es da ist – oder sorgt es immer wieder für Reibereien, ist da Energie zu spüren?

So war zur Zeit Jesu das Verhältnis der Juden zu ihrem Glauben, ihrer Religion. Es war Nerv darin, Pulsschlag des Herzens, Energie der Gläubigen. Die Juden, die zu Jesus kommen und ihm bohrende Fragen stellen, – sie wollen etwas. Sie wollen Klarheit haben. Sie lebten für ihren Glauben. Und deshalb gehen sie hin zu ihm mit der Frage: "Wer bist du?" Sag es uns frei heraus, so dass wir es verstehen können, so dass wir es glauben können, so dass wir unseren Glauben ausdrücken können.

Und da sagt Jesus solche Sätze wie: Ich bin der gute Hirte – ich kümmere mich um Euch. Ich will nicht dass ihr in die Irre lauft. Ich suche Euch, weil ihr mir wichtig seid. Lasst Euch nicht verführen von den Verlockungen um euch  – oder im Bild einer Sage zu sprechen: Lasst Euch nicht ein auf die schönen Flötentöne des Rattenfängers. Er will nicht das Gute. Er will Euch ins Verderben führen. Ich bin der, dem keine Mühen zu viel sind. Jesus macht deutlich, wofür er steht. Und es ist an uns, uns drauf einzulassen.

In der Alten Kirche wurden die Bilder vom Hirten ergänzt – einfach um Bild der Liebe, das man in der Alten Kirche benutzte, dass nämlich Christus der Bräutigam ist und dass der Bräutigam um seine Gemeinde wirbt. Es ist ein Liebesverhältnis. Und was geschieht, wenn sich zwei Liebende begegnen? Ja, es geschieht dies, dass die Liebe zwischen ihnen ausgedrückt wird, dass die Liebe in Wort und Handlung ausgedrückt wird. Und es geschieht so, weil es eine Notwendigkeit ist. Es ist notwendig, dass in dem Verhältnis Nerv, Puls, Energie ausgedrückt wird. Sonst würde das Verhältnis erlöschen oder gleichgültig werden.

Ein Liebesverhältnis lebt von seinen verschiedenen Ausdrücken. So ist es bei einem Ehepaar oder bei einem Liebespaar. So ist es zwischen Eltern und Kindern. Und so ist es zwischen der Gemeinde und ihrer Kirche. Es geht um dieselbe Sache. Wenn die Liebe echt ist, dann ist Energie darin. Dann strömt eine Energie von dem einen zum anderen.

Und dafür braucht es Rituale wie einen Gottesdienst – irgendwann braucht es in einer Beziehung nicht mehr die großen Erklärungen und Schwüre. Es reicht, dass man sich im Kleinen austauscht, dass man sich beieinander wohl und geborgen fühlt. Und wichtig: es braucht die Wiederholung. Wir hören auf Texte, die manche vielleicht schon so oft gehört haben, dass sie ihnen scheinbar nichts Neues mehr sagen können. Wir beten gemeinsam das Vaterunser. Es sind Rituale der Wiederholung. Aber sie sind wichtig, um die Beziehung am Leben zu halten. Wir tun es nicht, um dem Herrn zu gefallen, wir tun es nicht um des Neuen, des Interessanten und der Unterhaltung willen. Nein, wir tun es, weil es notwendig ist. Wir versammeln uns, weil das ganz einfach der Nerv des Ganzen ist. Wir feiern den Gottesdienst, weil es unser Ausdruck in unserem Verhältnis zu Gott ist. Wir tun es, weil Energie in dem Verhältnis sein soll. Wir tun es, weil wir als Partner in dem Liebesverhältnis, es nötig haben, dass das Verhältnis seine Ausdrücke hat. Und die Ausdrücke handeln von Worten. Gottes Wort in dem, was wir hören. Und unsere eigenen Worte in unseren Gebeten.

Es sind nicht jedesmal neue Worte. Das wäre unmöglich. Es geht eher darum, dass wir uns immer wieder neu vergewissern: Wir gehören zusammen. Es ist gut, einander zu haben. Ohne das wäre das Leben leer und schwer.

Und das ist bei Lichte besehen der Kern des Bildes, das Jesus heute benutzt. Denn es ist ein Bild der Liebe. Der Hirte, der sich seines Schafes annimmt. Der Vater, der sich um sein Kind kümmert. Christus, der sich seiner Gemeinde annimmt. Gott, der sich seiner Kirche annimmt. Das innerste Wesen der Liebe.

Das ist es, was geschieht und was stattfindet, wenn die Kirche, wenn Gemeinde echt und wahr ist. Das ist der Ort, die Begegnung, wo Liebe ausgedrückt wird. Der Ort, die Begegnung, wo Gott selbst gegenwärtig ist, weil jemand nach ihm fragt und ihm begegnen will. Das ist Kirche, das ist Gemeinde. Und das ist hier und heute. Und das ist auch gut so.

AMEN