Nur selten ist in letzter Zeit das Debüt einer britischen Künstlerin im Blues und darüber hinaus derartig erwartet worden wie dieses. Die ersten Rezensionen kommen so langsam herein, und ich hab keinen Zweifel daran, dass ihre Zahl in den nächsten Wochen noch gehörig anwachsen wird. Ich will die Gelegenheit nutzen, meine Meinungen und Gedanken zu äußern. Ich bin kein professioneller Musik-Schreiber, ich werd hier keine Menge langer Wörter in musiktheoretischer Terminologie äußern, nur meine ehrlichen Gedanken als ein Fan guter Musik.

Persönliche Gedanken eines Fans guter Musik

Zuerst wurde ich Anfang 2012 auf Jo aufmerksam, ich weiß nicht mehr genau wie, aber ich bekam mit, dass sie auf dem Raven & Blues-Podcast gespielt wurde. Und es gefiel mir, was ich da hörte. Es endete damit, dass ich Kontakt aufnahm und bekam die CD „Live At Hideway“ und noch mehr Material zugeschickt. Nachdem, was man mir sagte, war ich so ziemlich die erste Radiosendung, die sie gespielt hat. Jo und auch ich waren sehr froh drüber. Noch glücklicher war ich allerdings, als Jo im Mai 2012 zu Besuch ins Studio von FromeFM kam, zusammen mit Mark Ede, ihrem äußerst leidenschaftlichem Manager (und einem Supertypen), und einigen Devon-Scones, die ihre Mutter selbst gebacken hatte. Wir sprachen eine ganze Stunde über ihre Musik und ihre Pläne für die Zukunft. Und das war bislang eine der bemerkenswertesten Erfahrungen, die ich in meiner kurzen Zeit im Lokalradio hatte.
Die Art, wie Jo so leidenschaftlich darüber sprach, was sie tun wollte – man wusste einfach: Eines Tages würde das wahr werden. Eines der Themen, das wir behandelten, war die Chance, in einer TV-Reality-Show zu „singen“, aber Jo war sich völlig klar drüber, dass sie die Dinge auf ihre Art angehen wollte. Und ich kann nur folgern, dass „Dirt On My Tongue“ genau das Album ist, was sie schon damals im Sinn hatte. Dass das Album jetzt mit derartiger Aufmerksamkeit bedacht wird, muss für sie äußerst befriedigend sein. Und ich kann mir nur vorstellen, wie froh und stolz sie jetzt sein dürfte, so viele positive Kommentare von hunderten von Menschen zu erhalten.

Nur um das Interesse mal zu verdeutlichen: Kaum war das Album auch nur erwähnt, erhielt sie Berge von Vorbestellungen. Und das war Monate bevor an eine Veröffentlichung auch nur gedacht werden konnte. Und die Aufnahmen waren zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal gelaufen! Und selbst Radio-DJs, die normalerweise kostenlose Exemplare zugeschickt bekommen, zahlten diesmal für ihr Exemplar.

Und – war das gezeigte Vertrauen am Ende gerechtfertigt?
Ich würde sagen: JA! Jo meinte, sie wolle ein Album produzieren, dass man auch in zehn Jahren noch anhören könne und das auch dann noch gut klingen solle. Eben ein gutes Album mit guten Songs. Das hat sie auf jeden Fall erreicht. Auch auf die Gefahr hin, hier zu übertreiben, will ich sagen: Wenn Musikmagazine in ein paar Jahren ihre Listen über die „Besten Alben“ der letzten Dekade zusammenstellen, dann sollte dieses Album aus dem Jahr 2013 als ganz wichtiger Maßstab aufgenommen werden.
Jo hat lange und intensiv über die Reihenfolge der Lieder nachgedacht und sich zum Schluss ganz auf ihr Gefühl verlassen – und beginnt das Album mit drei Balladen. Was in vielerlei Hinsicht natürlich ein ziemlich mutiger Zug ist- Aber es funktioniert, und es zeigt den Leuten, dass das hier ein Album ist, wo es zuallererst um die Songs geht. Der Opener „I Shall Not Be Moved“ fängt ganz langsam mit einfacher Pianobegleitung an, bevor er sich langsam mit einem großartigen Chorus aufbaut und die ersten Zeichen von Gospel-Einflüssen offenbart, die überall zu spüren sind. „Worthy Of Love“, dass im letzten Jahr auf einer EP veröffentlicht wurde, wurde hier verändert zu einem ganz einfachen Lied – und es ist dennoch enorm wirkungsvoll. Und dann kommt da „(This Is My) Amnesty“, dass ich liebe, seit ich es das erste Mal live gehört habe. (Und ich hatte das Glück, es letztens als Erster exklusiv in Blues Train spielen zu dürfen.) Alles an diesem Song ist einfach klassich, besonders hat es mir die Gitarre von Mike Davies angetan: subtil, aber genau auf den Punkt treffend.

Dieses Album wurde als eines von Jo Harman angekündigt – aber „and Company“ ist immer noch ein wichtiger Teil des Sounds: Jeder Musiker in der Band weiß genau, was zum jeweiligen Zeitpunkt gebraucht wird. Es hat mir immer gefallen, sie live zu sehen – und das Album ist definitiv die Leistung einer Gruppe.

„Heartstring“ ist das vierte Lied und kommt uns funky daher – ein sehr zeitgemäß klingender Song, sehr catchy, und man kann sich gut vorstellen, dass dieses Lied in jedem beliebigen Radiosender, der einem einfällt, gespielt wird. Dann folgt „I Don‘t Live Here Anymore“, das einen Einschlag vom Country her hat, eine eingängige Melodie und sehr zugespitzte Textzeilen. Etwas sollte man hier anmerken: Diese Songs wurden für das Album erneut eingepsielt. Aber selbst wenn Du meinst, Du kennst die meisten von ihnen und hast sie schon mal gehört – denk nochmal drüber nach! Ein Zeichen dafür, dass ein Song wirklich gut geschrieben ist, ist die Tatsache, dass man ihn auf ganz verschiedene Weisen hören kann und er immer wieder neu klingt. Und das ist hier der Fall.
Und das auf keinen mehr zu als auf „Sweet Man Moses“, der hier als Nummer sechs als Zentrum des ganzen Albums fungiert. Klar, die Nummer hat man schon viele Male gehört, aber vielleicht ist das hier der krönende Moment für das Lied. Ich kann mir nur die Gefühle vorstellen, die Jo für den Song haben muss, er ist derartig persönlich, klingt derartig gut …. einfach Gänsehaut-Zeit! Es muss großartig sein, wenn man etwas wie dieses Lied schreiben kann und es dann von so vielen Menschen gemocht wird.
„Underneath The River“ zählt live immer zu den Favoriten, weil es der ganzen Band erlaubt loszurocken. Und diese Version bewahrt genau dieses Live-Feeling sehr schön. Das ist wahrscheinlich der „bluesigste“ Song auf dem ganzen Album – und er hat außerdem eine gute Gitarre von Mike Davies.

Danach entspannt es sich wieder etwas mit ein paar großen Balladen. Die erste ist „Fragile“ mit – lustigerweise – zerbrechlich klingender Stimme und Klavier, und das Stück hält diesen Sound bis hin zum dicken Ende. „Cold Heart“ geht ähnlich los, aber in der zweiten Strophe setzt die Band ein. Ein wirklich cooles Stück mit dezenten Hammondklängen im Hintergrund, ziemlich nach Blues klingende Nummer – und ich mag besonders, wie Martin Johnson hier am Schlagzeug seine Akzente setzt.
Live war für mich immer „Better Woman“ eines meiner Lieblingsstücke. Daher war ich sehr froh, dass es auch hier seinen Platz bekommen hat, angemessen kurz vor dem Ende platziert. Sieben Minuten lang, das ist ein derartig soulgeladener Rocker – und hat auch wieder dieses Live-Feeling im Studio behalten. Wenn ich ehrlich sein soll: Wenn ich die Band das Lied live spielen sehe, dann zählt zu meinen Lieblingsteilen, wenn Steve Watts gegen Ende regelrecht wahnsinnig wird an seiner Orgel. Und genau das vermisse ich in dieser Version, die statt dessen mit Gitarre und Background-Gesang endet. Wie auch immer: Es ist immer noch ein großartiges Lied, und andere Fassungen davon gibt es ja zu finden. Auf ganz leise Art endet das Album: „What You Did For Me“ – nur Jo und Mike, man kann sich vorstellen, wie die beiden auf der Bühne mit einem einzigen Spotlight die Vorstellung beenden.

Es hat ja ganz schöne Debatten darüber gegeben, in welche Schublade man Jo Harman packen soll. Ist sie „Blues“? Ist sie „Soul“? Oder was anderes? Ich glaube, dieses Album überschreitet all diese Kategorisierungen. Können wir nicht einfach sagen: Das ist einfach großartige Musik? Dieses Album sollte in jedem Radiosender der ganzen Welt gespielt werden und sollte idealerweise Jo‘s Namen in jedem Haushalt bekannt machen. Aber eigentlich will ich im gleichen Moment, dass sie „unser Geheimtipp“ bleiben soll…
Ich mag es nicht, Noten für Alben zu vergeben – Musik ist für uns alle so perönlich. Aber ich kann dennoch mit einigiger Sicherheit sagen, dass ich – wenn ich Du wäre – auf http://joharman.com gehen und mein Exemplar bestellen würde. Und wenn es dann ankommt, nimmt dir etwas Zeit mit einer guten Stereoanlage und Kopfhörern, schließ die Augen und genieße!