Seine ersten Aufnahmen machte der Mundharmonikaspieler Jerry „Boogie“ McCain schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch erst als die Fabulous Thundertbirds Mitte der 80er Jahre seinen Song „She’s Tuff“ zu einem Hit machten, wurde er auch außerhalb seiner Heimat Alabama bekannt. Am 28. März 2012 starb Jerry McCain in seiner Geburtststadt Gadsden.

Wenn man die Geschichte der Bluesharp in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt, dann bleibt man schnell bei den großen Namen wie den beiden Walters oder den beiden Williamsons hängen. Doch eine lineare Entwicklung der Spielweise ist eine Hilfskonstruktion, wie man am Leben von Jerry McCain beobachten kann: Seine Bluesharp klingt wie eine Kreuzung zwischen Sonny Boy II und Little Walter, auch noch im 21. Jahrhundert. Aber sein Blues ist immer aktuell geblieben, weil er nicht nur ein begnadeter Instrumentalist war sondern auch einer der Geschichtenerzähler des Blues wie etwa Lightnin Hopkins. Schrieb er in den 50er Jahren noch über Autos, so entstanden später Lieder über Drogenmissbrauch oder auch über die Segnungen von Viagra.

Geboren wurde er am 19. Juni 1930 in Gadsden, einer Kleinstadt im Nordosten von Alabama als eines von fünf Kindern einer extrem armen Familie. Sein Vater war in seiner Jugend noch als Sharcropper auf den Baumwollfeldern beschäftigt gewesen. Seine erste Begegnung mit der Bluesmusik hatte Jerry schon als Kind, als er einem Paar durchreisender Musiker namens Chick und Shorty begegnete. Die beiden ließen ihn bei ihren Auftritten zuschauen, wenn diese nicht gerade in für ihn noch verbotenen Schnapsläden stattfanden. Jerry jedenfalls begann schon bald selbst an den Straßenecken für Trinkgelder zu spielen. Und dort war es wohl auch, wo er seinen Spitznamen „Boogie“ erhielt. Noch als Teenager bekam er sogar die Chance für eine regelmäßige Radiosendung mit seiner Jug Band im Lokalsender WETO. Diese Show verfolgte wohl ein ähnliches Konzept wie die berühmte „King Biscut Time“ von Sonny Boy Williamson II bei KFFA in Helena. Und es dürfte in der Gegend die erste Sendung gewesen sein, wo man regelmäßig Blues im Radio zu hören bekam.

Allerdings – und das unterscheidet McCain von Williamson: Für ihn ergab sich lange keine Chance auf einen Plattenvertrag. Irgendwann hatte er so viel Geld gespart, dass er selbst einen Song aufnehmen und als Acetat an die Plattenfirmen verschicken konnte. Doch niemand zeigte daran Interesse. Das änderte sich erst Anfang der 50er Jahre, als er mit Christopher Collins endlich einen fähigen Gitarristen für seine Band gewann und ein am Ort ansässiger Unternehmer der Truppe ordentliches Equipement spendierte und sich gleichzeitig als ihr Manager einsetzte.

Jerrys Spiel passte sich damals wie eigentlich immer wieder dem herrschenden Geschmack an. Und der wurde Anfang der 50er Jahre natürlich von Little Walter geprägt, der 1952 mit „Juke“ den Standard für die Bluesharp setzte. Als Little Walter bei einer Promo-Tour durch Gadsden kam, hörte er McCain spielen und ließ in auch bei seinem Konzert mit auf die Bühne. Die Begegnung brachte McCain dazu, auch selbst Songs zu schreiben. Und mit „Wine-o-wine“ hatte er schließlich eine Nummer, die er auch Jahre später immer mal wieder spielte. Und endlich konnte er auch ein paar Singles veröffentlichen. Verdient hat er daran die fürstliche Summe von einem halben Cent je verkaufter Scheibe. Und schon bald ging Diamond Recording, die die Aufnahmen an Trumpet vermittelt hatte, pleite. Allerdings bekam er schon bald Angebote von anderen Labels wie Excello Records in Nashville, für die McCain in den nächsten Jahren mit seiner Band The Upstarts einige Singles aufnahm. Und diese Firma verfügte ganz im Gegensatz zum Kleinstlabel Trumpet über einen ordentlichen Vertrieb. Und sie hatte Kontakte zu den großen Radiostationen. Es sind diese Singles, die beim Label Trumpet und bei Excello rauskamen, für die Jerry McCain heute noch immer von den Experten gelobt wird.

Später kam er dank seines Managers Gary Sizemore sogar zu einem Major-Deal bei Columbia, bzw. bei dessen „Race“-Label Okeh, was irgendwie den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte. Dort allerdings wusste man mit einem Bluesman herzlich wenig anzufangen. Denn das Geld machte man Anfang der 60er Jahre bei Columbia eigentlich mit Country. Da hatte man all die großen Stars der Zeit unter Vertrag. Und McCain hätte nach ihrem Willen eigentlich nur Instrumentalnummern aufnehmen sollen. Und Columbia setzte sich auch mit ihren Mehrspurproduktionen gegen den Bluesman durch. Mit Singles wie „Red Top“ oder „Jet Stream“ war eine Blaupause gefunden: die Bluesharp spielte einsam gegen Backgroundsängerinnen an. Zufrieden war er mit diesen Singles nie. Und es war nicht nur die fehlende künstlerische Kontrolle, die ihn aufregte. Die Firma präsentierte ihm irgendwann statt eines Schecks auch noch eine Rechnung über 33.000 Dollar für aufgelaufene Studiokosten und ähnliche Posten. Vollständig wird er diese Rechnung wohl nie beglichen haben.

Ok, es waren die 60er Jahre und damit keine gute Zeit für den Blues. Schon gar nicht für so tief in der Geschichte des Südens verwurzelten Blues. Angesagt waren Soulsänger. In die Hitparaden kamen höchstens noch selten Bluestitel wie etwa B.B. King mit „The Thrill Is gone“ oder auch Lowell Fulson mit „Tramp“ (was kurze Zeit später durch Otis Redding und Carla Thomas zum Soulhit wurde). Und auch wenn McCain damals immer mal wieder für kleinere Label aufnahm – als Musiker konnte er nicht überleben. Stattdessen arbeitete er unter anderem als Privatdetektiv oder gar als Kopfgeldjäger, der entflohene Strafgefangene verfolgte.

Schließlich kam seine Plattenkarriere Ende der 70er Jahre komplett zum Erliegen. Erst 1983 bekam er wieder die Chance für Aufnahmen. In den Studios von Muscle Shoals nahm er „53 Year Old Man“ und die Gospelnummer „I’m Waiting For Jesus“ auf. Allerdings blieben die Singles in der Öffentlichkeit komplett unbeachtet. Aber man erinnerte sich in der Szene wenigstens an ihn und lud ihn zu einem Konzert nach San Francisco ein, wo er gemeinsam mit Kollegen wie Sammy Myers, Rod Piazza und Lazy Lester auf der Bühne stand. Doch statt eines Karriereschubs holte er sich in Kalifornien eine Lungenentzündung, die schließlich auch noch die Ursache für einen Schlaganfall wurde.

Schließlich hatte Jerry McCain Ende der 80er Jahre endlich einmal Glück. Nicht nur gab es in der Öffentlichkeit endlich wieder ein Interesse am Blues. Mit Ichiban Records fand er auch ein Label, dass ihn unter Vertrag nahm. Von 1989 bis 1993 veröffentlichte er gleich vier Alben und diverse Singles für das Label. Aber so ganz zufrieden war weder er selbst mit den Ergebnissen noch die Kritiker, die immer noch den Singles der 50er Jahre hinterhertrauerten. Allerdings konnte McCain durch die Plattenveröffentlichungen endlich ausgiebig auf Tour gehen. Vor allem in Europa spielte er auf Festivals und in Clubs fast jedes Jahr. Und irgendwann wurde er dann auch in den Staaten zum Chicago Blues Fest und ähnlichen Ereignissen eingeladen. Und beim jährlichen „Riverfest“ in seiner Heimatstadt war er in jedem Jahr einer der Hauptacts. 1996 komponierte man für ihn und ein Jugendorchester sogar ein eigenes Orchesterwerk was 1997 sogar in New York nochmals aufgeführt wurde.