Vier Tage lang haben vierzehn Autoren und Autorinnen ihre unveröffentlichten Texte bei den 36. Tagen der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt vorgestellt. Nach mehreren Abstimmungsrunden vergab die Jury den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis an die in Russland geborene Schriftstellerin Olga Martynova.
Von Donnerstag bis Sonntag stellten die Autorinnen und Autoren (Leopold Federmair, Isabella Feimer, Simon Froehling, Sabine Hassinger, Lisa Kränzler, Inger-Maria Mahlke, Olga Martynova, Stefan Moster, Matthias Nawrat, Hugo Ramnek, Mirjam Richner, Matthias Senkel, Andreas Stichmann sowie Cornelia Travnicek) ihre Texte einer Jury vor. Im Anschluss an jede einzelne Lesung lobten, kritisierten, sinnierten und stritten die Mitglieder jener – u.a. Burkhard Spinnen, Meike Feßmann, Paul Jandl, Daniela Strigl und Hubert Winkels – über eben gehörte Arbeit, während die Literaten einem unausgesprochenem Redeverbot unterlagen. Dies ist zugleich das Aufregende an diesem Wettbewerb: neben Texten aus erster Hand, die von ihren jeweiligen Verfassern gelesen werden, wird hier die Möglichkeit geboten, der Arbeit von Literaturkritikern beizuwohnen und so einen Eindruck von diesem selten auf Kompromissen ausgerichteten Geschäft zu erhalten. So lässt sich nebenbei ein Ranking möglicher FavoritInnen auf den Preis erahnen – was ja gern gesehen ist, wenn man an die unzähligen Castingshows denkt, und wird auch auf der offiziellen Seite des Wettbewerbs dokumentiert („Erster Tag ohne klare Favoriten“; „Lob und Veriss am zweiten Tag“; „Dritter Tag: Anerkennung und viel Kritik“). Auch in diesem Jahr ging es hoch her: neben Uneinigkeiten (u.a. „ungeheure Verlockung des Familiären“ vs. „schöner Schein“) und die Bedeutung metaphorischer oder allegorischer Bilder (u.a. ist ein Hund wirklich ein Hund oder sind Tiere wirklich Tiere?), über literaturtheoretische Grundfragen (u.a. nach dem Verhältnis von Literatur und Experiment), hin zu formalen Aspekten (u.a. Auffälligkeiten hinsichtlich der gewählten Erzählperspektive). Doch auch der handfeste Disput, der manchmal schon fast in verbalen Entgleisungen gipfelt, kam nicht zu kurz: auf einen Einwand von Paul Jandl entgegnete der Juryvorsitzende Burkhard Spinnen: „Jetzt gehen Sie aber an den Text heran wie ein stalinistischer Zollbeamter.“
Nach der Pflicht folgte – im wahrsten Sinne des Wortes – die Kür: Die achtköpfige Jury entschied nach langer Diskussion und einer zwei Runden dauernden Stichwahl für Olga Martynova und ihren Text „Ich werde sagen Hi“ als Hauptpreis – die Jurydiskussion lässt sich hier verfolgen, die Laudatio von Paul Jandl (dessen Kandidatin sie war) hier. Die Jury beschrieb ihr Werk mit „Geburt eines Dichters durch die Erotik“ (Paul Jandl), „hintersinniger, anarchischer Witz“ (Daniela Strigl) und „souveränen und luftig“ (Meike Feßmann).
Die 1962 in Dudinka geborene, in Leningrad aufgewachsene und in Frankfurt/Main lebende Autorin verfasste zahlreiche Gedichte und Essays, von denen eine Vielzahl in verschiedenen Sprachen übersetzt worden sind. 2010 wurde ihr erster Roman „Sogar Papageien überleben uns“ veröffentlicht, in dem kurze Episoden einer St. Petersburger Autorin geschildert werden. Dieses Werk landete u.a. auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Sie ist als Essayistin und Rezensentin für die Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit und die Frankfurter Rundschau tätig.
Nebenbei wurde eine Vielzahl weiterer Preise verliehen. Der von der Kärntner-Elektrizitäts-Aktiengesellschaft gestiftete und mit 10.000 Euro dotierte kelag-Preis ging nach vier Abstimmungsrunden an den von Hildegard Elisabeth Keller vorgeschlagenen Kandidaten Matthias Nawrat – Jurydiskussion hier, Laudatio hier. Der 1979 in Opole geborene Autor studierte Biologie in Heidelberg und Freiburg und am Schweizerischen Literaturinstitut. Zur Zeit arbeitet er als freier Wissenschaftskolumnist und Kulturkritiker.
Der mit 7.500 Euro dotierte 3sat Preis – der Fernsehsender übertrug im Übrigen alle Lesungen live – ging ebenfalls nach vier Abstimmungsrunden an Lisa Kränzler – Jurydiskussion hier, die Laudatio hier. Die Autorin, Jahrgang 1983, lebt in Freiburg. Sie studierte Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Mit „Export A“ legte sie ihren ersten Roman vor, der von Liebe und Enttäuschung handelt. Protagonistin ist die 16järigige Austauschschülerin Lisa, die sich hin- und hergerissen zwischen Gehorsam und Ausbruch fühlt.
Der mit 5.000 Euro dotierte und von verschiedenen Verlagen gestiftete Ernst-Willner-Preis ging nach – mal wieder – vier Abstimmungsrunden an die Kandidatin des Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen (vielleicht interessant: „Juryvorsitzender Burkhard Spinnen hatte die schwere Aufgabe, sich zwischen seinen beiden Kandidaten, Inger-Maria Mahlke und Stefan Moster zu entscheiden. Er bat Stefan Moster um Entschuldigung und um Verständnis dafür, hielt aber an Mahlke fest.“) – Jurydiskussion hier (), die Laudatio hier. Die 1977 in Hamburg geborene Autorin studierte Rechtswissenschaften und war Teilnehmerin verschiedener Autorenwerkstätten. Sie gewann 2009 den 17. open mike und wurde für ihren Debütroman Silberfischchen mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis ausgezeichnet.
Der letzte Preis in dieser Reihe ist von der BKS Bank gestiftete und demnach ihr benannte BKS Bank Publikumspreis, der mit 7.000 Euro dotiert ist. Dieser ging an Cornelia Travnicek – Jurydiskussion hier, die Meldung hier. Sie ist die jüngste der „Wettbewerber“ (Jahrgang 1987) und seit ihrer Schulzeit in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien vertreten. Ihr Debüt feierte sie mit „Aurora Borealis“, wenig später folgte „Die Asche meiner Schwester“. Für die Arbeit an ihrem dritten Buch wurde sie bereits mit dem Theodor-Körner-Förderpreis ausgezeichnet.
Viele Preise und viel Preisgeld – der als bedeutendster Literaturpreis im deutschsprachigen Raum geltende Preis macht seinem Namen also alle Ehre. Dennoch, oder gerade deshalb, drängen sich einige Fragen auf:
- Wo ist Ingeborg Bachmann?
- Warum haben viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits einen Verlag, der den betreffenden Text nach diesem Wettbewerb veröffentlichen wird?
- Ist der Anteil der ausgezeichneten Autoren nicht etwas zu groß für ein Bewerberfeld von 14 Autoren (immerhin knapp ein Drittel)?
- Wie ernst ist ein Preis zu nehmen, der zu Dreiviertel von Sponsoren bestritten wird? und (um die literaturwissenschaftliche Seite nicht ganz außer Acht zu lassen)
- Müssen Texte funktionieren, um ausgezeichnet zu werden? (vgl. den FAZ-Beitrag vom 8. Juli, der noch viele weitere kritische Worte findet.){module Erik Münnich}