Ulrich Blumenbach ist Übersetzer zahlreicher Essays, Erzählungen und Romane. Neben James Joyce, Arthur Miller und Agatha Christie hat er den Roman „Infinite Jest“ von David Foster Wallace übersetzt. Hierfür wurde er neben dem Hieronymusring für besondere Leistungen in der literarischen Übersetzung der Heinrich Maria Ledig-Rowohl-Stiftung auch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet. Erik Münnich sprach mit ihm über die Tätigkeit des Übersetzens, die Möglichkeit, diese zu erlernen und David Foster Wallace. Hier ein Auszug aus dem Interview, das komplett in Nr. 1 des pdf-Magazins der Wasser-Prawda erschienen ist.

Erik Münnich: Viele Schriftsteller beklagen, dass sie von ihrer Tätigkeit nur schwer leben können, das wird immer schwieriger. Ich könnte mir vorstellen, dass es für Übersetzer ähnlich ist.

Ulrich Blumenbach: Grundsätzlich ja. Das Übersetzen von Hochliteratur ist einfach herzlich schlecht bezahlt. Das von Unterhaltungsliteratur auch, aber weil Sie für Hochliteratur länger brauchen, schlägt es sich dann noch massiver am Ende des Monats auf dem Kontostand nieder.

Erik Münnich: Wie kommt man an Projekte?

Ulrich Blumenbach: Schwer ist nur das erste. Danach setzt ein Schneeballeffekt ein und man wird von Verlagen angefragt. Der erste Übersetzungsauftrag ist ein Buch mit sieben Siegeln. Niemand weiß eigentlich, wie man da ran kommt. Bei mir war es so: Ich habe schon im Studium mit einem Freund zusammen eine kleine Passage von James Joyce übersetzt und wir sind dann zwei Anglisten, die einen kleinen Sammelband mit Übersetzungsprojekten zu Finnegans Wake bei Suhrkamp veröffentlichen wollten, auf die Füße getreten und haben sie gebeten, auch unseren Ausschnitt zu nehmen. Und einer dieser Herausgeber hat mich dann Jahre später einem Verlag empfohlen, als der Übersetzer suchte.

Erik Münnich: Sie haben sechs Jahre lang, von 2003-2009, Infinite Jest bzw. Unendlicher Spaß von David Foster Wallace übersetzt. Welche Faktoren waren ausschlaggebend, dass sich das so in die Länge gezogen hat?

Ulrich Blumenbach: Hauptsächlich die Schwierigkeit und der Umfang des Werkes. Es ist einfach ein dickes, ein extrem komplexes Buch mit einem riesigen Wortschatz. Das heißt, die Recherche, um das reine Vokabular zu verstehen, dauert länger als bei konventionellen Erzählungen bzw. Erzählstoffen. Wallace Prosa zeichnet sich durch sehr lange Sätze aus, die müssen erst einmal rekonstruiert werden, damit die ganzen Satzbezüge stimmen. Hinzu kommt aber wieder, wir sind wieder beim Anfang, die Finanzen. Ich habe von Kiepenheuer & Witsch ganz hervorragende Vertragskonditionen bekommen und trotzdem hat es nicht gereicht. Ich musste dieses Buch also querfinanzieren mit anderen lukrativeren Aufträgen. Das hat ganz einfach auch Zeit gekostet. Der vierte  Grund war, dass – während ich Infinite Jest übersetzt habe – in den USA Erzählungen von David Foster Wallace herausgekommen sind und die wollte der Verlag vorher bringen, damit für die Leser seit den letzten deutschen Veröffentlichungen von Wallace kein zu großer Zeitraum vergeht. Und dann haben Markus Ingendaay, der vor mir Wallace übersetzt hatte, und ich diesen Erzählungsband eingeschoben.

Erik Münnich: Das waren zwei: In alter Vertrautheit und Vergessenheit.

Ulrich Blumenbach: Ja. In den USA ist nur ein Band erschienen, Kiepenheuer &Witsch hat den gesplittet in zwei Bände.

Erik Münnich: Sie haben diese Komplexität von Wallace Schreiben schon angesprochen. Der Autor hat aber auch viele Wörter genutzt, mit denen Sie erst einmal nichts anfangen konnten. Wie sind Sie dahinter gekommen, was es mit einem Wort, das Wallace selbst geschaffen hat, auf sich hat?

Ulrich Blumenbach: Wenn er es wirklich selbst erschaffen hat, ist es noch leichter, dafür eine deutsche Entsprechung zu finden. Dann muss ich mir nur ansehen, wie er es gebastelt hat: Ist es ein Ideolekt, irgendeine kindersprachliche Verstümmelung real existierender Wörter, die dann so in den Familienjargon eingehen. Dann muss ich mich einfach umschauen, wie ich es im Deutschen reproduzieren kann. Schwieriger und aufwändiger sind Wörter oder Ausdrücke, die Wallace nicht selber erfunden, sondern aus sehr entlegenen Wörterbüchern entnommen hat. Die dann wiederzufinden, ihre Bedeutung ausfindig zu machen und dann auf hoffentlich genauso entlegene deutsche Wörter umzuschreiben, ist die große Schwierigkeit. Und das hat manchmal sehr lange gedauert.

Erik Münnich: Können Sie ein Beispiel nennen?

Ulrich Blumenbach: Nicht in beiden Sprachen, fürchte ich. Aber ich weiß, dass ich einen entlegenen, raren Ausdruck für fies oder heimtückisch brauchte. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, wie ich es gefunden habe. Aber Sie können, seit es das Wörterbuch der Gebrüder Grimm auf DVD gibt, über Volltextsuche von allgemeinen Begriffen aus zu selteneren Begriffen vorstoßen. Und da ich bin dann irgendwann auf das Wort unrüchtig gestoßen, das von den Gebrüdern Grimm das letzte Mal für das Jahr 1724 belegt wird. Das war also so ein Volltreffer, da war ich richtig glücklich, das gefunden zu haben, weil es einfach dem Seltenheitscharakter des Wortes bei Wallace nahekam.

Erik Münnich: Dürfen Sie über zukünftige Projekte sprechen?

Ulrich Blumenbach: Ja, natürlich, das ist nie verboten! Im Moment sitze ich an ein paar Erzählungen von Nick Hornby. Ein ganz kleines Bändchen, das auch wieder bei Kiepenheuer &Witsch erscheinen wird. Aber ich hoffe, nächsten Monat mit dem Nachlasswerk von Wallace beginnen zu können – The Pale King. Der ist im April in den USA herausgekommen. Auch in Deutschland wurde er rezensiert. Ein grandioses Buch. Aber eben aus dem Nachlass, es ist nicht fertig geworden. Das merkt man leider auch. Der Lektor hat es aus Fragmenten, Vorlagen und Dateien, die er auf Wallace Computer gefunden hat, zu rekonstruieren versucht. Und dabei sind brilliante Passagen mit vermutlich noch nicht ganz fertigen Passagen kombiniert worden. Das heißt, die Qualität innerhalb dieses Buches schwankt leider ziemlich. Insgesamt finde ich das Projekt – also Wallace Projekt – hochspannend. Wenn er in Infinite Jest versucht hat, die Unterhaltungsindustrie, die Spaßgesellschaft kritisch beim Schlafittchen zu packen, dann versucht er jetzt, den Gegenpol, die universelle, die existentielle Langeweile in den Griff zu kriegen. Der Pale King spielt in einer Steuerbehörde irgendwo im mittleren Westen und seine Figuren – es ist wieder ein großes Figurenarsenal wie in Infinite Jest – sind allesamt Angestellte in dieser Steuerbehörde. Diese haben es also mit dem extrem stupiden und langweiligen Job zu tun, Steuerformulare kontrollieren, sichten, abharken zu müssen. Und Wallace lässt sich sehr auf das Langweilige dieser Arbeit ein.

Erik Münnich: Vielen Dank für dieses Gespräch.{module Erik Münnich}