In der New Yorker Folkszene der frühen 60er Jahre war Dave Van Ronk (1936-2002) noch vor Bob Dylan die unbestrittene Leitfigur. Drei Jahre nach dem Tod des Musikers erschien 2005 die von Elijah Wald herausgegebene Autobiografie. Unterhaltsamer und entlarvender als Bob Dylans erster Band seiner „Chronicles“ entführt einen das Buch in eine der spannendsten Epochen der amerikanischen Popgeschichte.
Dave Van Ronk (mit Elijah Wald) – Der König von Greenwich Village. Die Autobiographie
Noch nicht mal zehn Zeilen ist der deutschen Wikipedia Dave van Ronk wert. Und damit befindet sich die Enzyklopädie leider genau in der eingeengten Blickweise auf die Musikgeschichte als der Großteil der restlichen Welt. Wenn es um das Folkrevival in den 50er/60er Jahren geht, dann ist da die Rede von Woody Guthrie, Pete Seeger – und natürlich von Bob Dylan und Joan Baez. Großartige Liedermacher, Zeitgenossen und Vorläufer von Dylan werden hierzulande geflissentlich übersehen. Phil Ochs oder eben auch Dave van Ronk sind nur den Hardcore-Folkies vertraut und lieb. Dass im Jahre 2013 Van Ronks Autobiographie auf Deutsch erscheint, hat dann auch nur am Rande mit der literarischen Qualität (die auf jeden Fall äußerst bemerkenswert ist) noch der musikalischen Bedeutung eines der ersten weißen Bluessängers des Folkrevivals zu tun sondern mit den Coen Brüdern. Deren in Cannes gefeierter Film „Inside Llewyn Davis“ orientiert sich lose an den Erinnerungen des Musikers und Songwriters. Doch wo der Film das Leben des Protagonisten als die eines ständig scheiternden Künstlers schildert, ist „Der König von Greenwich Village“ eines der seltenen Beispiele einer gleichermaßen geistreichen, humorvollen und informativen Selbstbiographie.
Mit trockenem Humor und immer für Spitzen gegen sich und seine Kollegen gut erzählt van Ronk seine Geschichte von der katholischen Schule über die Versuche, als ernsthafter Jazzmusiker seinen Lebensunterhalt zu verdienen bis zum Höhepunkt des Folkrevivals. Er erzählt von seinen Lehrern wie Rev. Gary Davis ebenso wie von den Leuten, die in Greenwich Village die ersten Folkläden aufbauten. Auch die aus dem Rückblick amüsant klingenden Grabenkämpfe zwischen den verschiedensten linken Gruppierungen werden nostalgiefrei erläutert. Fern vom langweiligen Namedropping werden die Protagonisten der New Yorker Szene zwischen Pete Seeger, Peter Paul & Mary und natürlich Bob Dylan in einprägsamen Geschichtchen geschildet. Und auch die im Rahmen des Revivals wiederentdeckten Bluesmusiker der Vorkriegszeit haben natürlich ihren Platz in seinen Erinnerungen.
Es ist keine egozentrische Selbstbespiegelung, die Van Ronk verfasst hat. Wo Bob Dylan in seinen „Chronicles“ vor allem an seinem literarischen Nachruhm denkt, wollte van Ronk eigentlich eine komplette Kulturgeschichte seiner New Yorker Heimatecke schildern. Leider konnte dieses Vorhaben auf Grund seiner Krebserkrankung und seines Todes nicht mehr vollendet werden. Doch das vorhandene Material hat Elijah Wald, der mit dem Musiker lange befreundet war, zu einem Buch geformt, dass nicht nur für Musikfreunde von höchstem Wissens- und Unterhaltungswert ist.
Leider fehlt dem von Jörn Ingversen packend übersetzten Buch sowohl ein Namensregister als auch diskographische Angaben zum Werk von Dave Van Ronk. Hier muss der Leser, der sich ausführlicher mit seiner Musik auseinandersetzen will, auf das Internet zurückgreifen. Der deutsche Bluesdiscograph Stefan Wirz hat auf seiner Homepage etwa eine gewohnt ausführlich illustrierte Zusammenstellung seiner Aufnahmen veröffentlicht.