Das diesjährige Aushängeschild des Aufbau-Verlages bildet ohne Zweifel die Neuausgabe von Hans Falladas letztem Roman „Jeder stirbt für sich allein“.
Der internationale Erfolg dieses 1947 nach Falladas Tod erstmals erschienenen Romans wurde von der Berliner Morgenpost beschrieben als „eine jener wundersamen Geschichten, die der Literaturbetrieb manchmal schreibt.“ Entdeckt von Adam Freudenheim, dem Verleger des englischen Verlages Penguin, und übersetzt von Michael Hofmann wurde das Buch unter dem Titel „Alone in Berlin“ – also „Allein in Berlin“ – ein Bestseller und Amazon Toptitel. Mittlerweile erscheinen Übersetzungen in über 20 Ländern.
Beim Falladaabend im Maxim-Gorki-Theater (Berlin) Anfang März bestätigte auch der Geschäftsführer des Aufbau Verlags, René Strien, dass erst der exorbitante Erfolg im Ausland den Verlag dazu angeregt hätte, mal etwas genauer hinzuschauen und sich seiner Textgrundlage zu vergewissern, so dass erst jetzt – 60 Jahre nach der Erstausgabe – das Original Satztyposkript im Archiv des Verlages entdeckt und zur Grundlage einer „erstmals ungekürzten, authentischen Ausgabe“ gemacht wurde.
Auch das Nachwort bringt wieder unseren Lieblingsbegriff des Authentischen ins Spiel, den wir bei Plattform am Rande schon im Januar diskutiert haben. Ist diese Ausgabe nun wirklich authentischer als das überarbeitete Typoskript? Ist es nicht die Hauptfunktion eines Typoskriptes, als Grundlage für eine Überarbeitung zu dienen? Sicherlich erfolgt diese normalerweise durch den Autor, aber dieser war in diesem Fall leider nicht mehr dazu in der Lage, so dass diese Aufgabe durch den Lektor Paul Wiegler übernommen wurde.
Zur Neuausgabe heißt es im Anhang:
„Der Originalzustand des Textes wurde weitestgehend wiederhergestellt. […] Übernommen wurden grundsätzlich folgende Streichungen: die Tilgung der An- und Abführungszeichen bei gedachter Rede und von Gedankenstrichen am Satzende, die Reduzierung von Ausrufe- und Fragezeichen sowie von gehäuft auftretenden drei Punkten.“ usw.
Es wird betont, dass keine inhaltlichen Änderungen mehr vorliegen. Meine Frage bleibt: Ist es nur der Inhalt, der einen echten Fallada ausmacht oder rückt nicht vielleicht auch die Einflussnahme auf die Interpunktion dieses Buch weit weg von einer echten kritischen Ausgabe?
Wenn auch versehen mit einem Glossar, das uns verrät wer Joseph Goebels und Hermann Göring waren oder was die Abkürzung NSDAP bedeutet, mit biografischen Daten sowie Material zum zeithistorischen Kontext, bleibt es doch bei einer hübschen neuen Leseausgabe.
Aber natürlich geht es bei einem solchen Roman nicht nur um eine authentischere Textausgabe! Andere Adjektive, die in den Pressestimmen zu finden sind, charakterisieren den Urtext als rauer, derber und intensiver, als die überarbeitete Fassung.
Zahlreiche nun rückgängig gemachte Wort- und Textstreichungen zeigen das Bemühen des ehemaligen Lektors Paul Wiegeler „den Roman bei seinem ersten Erscheinen politisch zu entschärfen und ästhetisch zu glätten“, so Spiegel online.
Fallada selbst leitete seinen Roman mit einem Vorwort ein, in dem er den Text als düsteres Gemälde charakterisiert: „aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet.“
Diese Aussage sehe ich als eine große Stärke Hans Falladas. „Er [Hans Fallada] gehört zu einem kleinen Kreis von Autoren, die Zeitgeschichte zu erzählen wussten. Er hat einen kühlen Blick für soziale Verhältnisse.“ wird Prof. Dr. Lutz Hagestedt, Professor für Neuere und Neueste deutsche Literatur an der Universität Rostock, im Stern zitiert. Zu Lügen lag ihm fern.
Von Johannes R. Becher erhielt Hans Fallada die Gestapo Akte des 1943 hingerichteten Ehepaares Elise und Otto Hampel. Im Nachwort der Neuausgabe verfasst von Almut Giesecke wird ein Essay Falladas zu den Akten wie folgt zitiert: „Diese beiden Eheleute Quangel, zwei bedeutungslose Einzelwesen im Norden Berlins, […] nehmen eines Tages im Jahre 1940 den Kampf auf gegen die ungeheure Maschinerie des Nazistaates, und das Groteske geschieht: der Elefant fühlt sich von der Maus bedroht.“
Nach Falladas Angaben folgt die Geschichte des Romans in großen Zügen den Akten der Gestapo, doch, wie Fallada betont, hat ein Roman seine eigenen Gesetze.
Die Eheleute Quangel, wie Fallada die Hampels nennt, verlieren zu Beginn des Romans ihren einzigen Sohn an der Front, woraufhin das sonst vollkommen unauffällige Paar beginnt, Postkarten mit Anti-Nazi-Parolen zu verfassen und in Treppenhäusern abzulegen. Diese Postkarten werden von den Findern nicht wie erhofft weiter verbreitet, sondern nahezu sämtlichst der Gestapo zugeführt, die sie schließlich überführen kann. So die groben Züge. Doch es wäre tatsächlich kein Fallada, wenn diese Geschichte die einzige erzählte bliebe. Diese alle hier wiederzugeben, würde wohl das Format sprengen.
Nicht umsonst heißt der Roman im Englischen auch „Allein in Berlin“. Die Stadt tritt nie in den Vordergrund, doch es ist genau dieses urbane Leben, dass die Personen des Romanes zu zwiespältigen und mehrdeutigen Charakteren werden lässt.
Genau dieses Zwiespältige, das im vorliegenden Text viel stärker zum Ausdruck kommt, kann auch als ein Grund für die neue Rezeption und Rezeptionshaltung gewertet werden. Heute blicken wir durchaus differenzierter auf die das Leben und den Widerstand während der Nazizeit. Auch die Quangels waren lange in den entsprechenden nationalsozialistischen Institutionen organisiert und haben hier ihre Aufgaben erfüllt.
Alles in Allem kann man sich über die neue Ausgabe des Aufbau Verlages freuen, die durchaus eine neue Interpretation des Werkes und wohl auch des Schreibens Hans Falladas ermöglicht. Zu hoffen ist, dass auch eine öffentliche Auseinandersetzung mit weiteren Werken Falladas folgen wird.
Denn: Auch wenn Hans Fallada nun seinen Platz in der Weltliteratur zu finden scheint, so ist er in seiner Bedeutung doch noch nicht überall angekommen.
Immer wieder sind es Ausstellungen oder Lesungen, die die Leute ins Greifswalder Falladahaus führen, seltener jedoch das Interesse an Hans Fallada, der unter dem bürgerlichen Namen Rudolf Ditzen in der Steinstraße 59 geboren wurde.
Wer mehr über Leben und Werk des weltweit bekannten Autors erfahren möchte ist montags und mittwochs von 14-17 Uhr im Falladahaus Greifswald willkommen. Eine Entdeckung, die sich lohnt.
Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein. Aufbau Verlag 2011, 704 Seiten, 19.95 €.
Diese Rezension entstand für Plattform, die Literatursendung auf radio 98eins.