Das Versprechen ist groß: Programme analysieren die auf dem Rechner vorhandene Musik. Und sie erstellen ausgehend von gewissen Vorgaben speziell abgestimmte Playlisten zur Freude des Users. Dabei kann man sich auf gewisse Überraschungen gefasst machen.
Ich ziehe gerade um. Nein, das ist gelogen, macht sich aber gut als erster Satz, wie Sarah Kuttner mal in einer ihrer Kolumnen deutlich gemacht hat. Noch ziehe ich nicht um, aber die Zeit neben dem Herunterschreiben und Recherchieren von Nachrichten wird zur Zeit wirklich von solch existenziellen Fragen eingenommen, wo man ohne viel Geld an zwei ordentliche Tische (keine Couchtische oder ähnlich höhenreduzierte Ablageflächen) und dazugehörende Stühle kommen kann und ob man wirklich eine größere Auswahl an Töpfen für die neue Einbauküche benötigt in einem Singlehaushalt. Für das gepflegte Recherchieren nach neuer, unbekannter oder zu Unrecht vernachlässigter Musik für die geneigten Leser unserer Online-Postille bleibt also kaum Zeit übrig.
Aber halt: Wozu hat man eigentlich einen Computer und diverse Programme, um den tausenden Musiktiteln geordnet beizukommen? Also: Es lebe die Computerplayliste (das dürfte für iPod-User gleichbedeutend mit dem Druck auf die Shuffle-Taste sein)! Da ich am Sonntag sowieso dabei war, das leicht veraltet anmutende Repertoire mit mehreren elektronischen Tanznummern aufzuhübschen, ließ ich mir gleich mal einen 70minütigen Mix anfertigen. Ausgangspunkt war dabei Wires and Watchtowers der Thievery Corporation, einfach, weil der Track schon von den hyperintelligenten Programmen einer ausführlichen Analyse unterzogen war. Naja, eigentlich wollte ich doch mal ein wenig der Faszination nachhören, die jüngere Menschen bei der extrem verlangsamten und verkifften Variante des Reggae verspüren. Also: Mix erstellen und überraschen lassen.
Doch die Überraschung war ganz schön heftig und ließ mich zeitweise an der Qualität meiner digitalen Musiksammlung ebenso zweifeln wie an der der eingesetzen hochinnovativen Software: Vom gepflegt melancholischen Dub-Verschnitt der genannten Produzenten schickte mich das Programm auf eine musikalische Kreuzfahrt, die den ganzen Modernisierungswahn meinerseits ad Absurdum führte: Statt moderner Tanzmusik fütterte mich der PC mit reichlich bequemen Bossa-Nova-Fassungen alter Hits (Back to Black in einer Hinrichtung von Monique Kessous! – grausam!) und ähnlichen Banalitäten der Musikindustrie, dass mir spontan Filzpantoffeln an den sommerlich nackten Füßen zu wachsen drohten.
Nur manchmal war da ein Aufwachen meiner Ohren zu verzeichnen. Etwa als zwischen diesen Lounge-weilern plötzlich Ausschnitte aus Aretha Franklins großem Gospel-Album Amazing Grace und dem Rocknroll-Zirkus der Stones ertönten. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Auch nicht, dass es irgendeine Verbindung vom Electro-Dub hin zum Blues von Guy Davis und der netten Coverversion „Ein Mädchen namens Gerd“ von Bernadette La Hengst nach Johnny Cash geben könnte. Seltsame Pfade, die die Computertechnik mittlerweile durch die Musik schlägt. Doch das eigentliche Ziel, musikalisches Neuland in meiner Sammlung zu erschließen, wurde völlig verfehlt… Oder sollte die ganze in langen Jahren aufgebaute Sammlung vielleicht doch nur eine spießig-verwurstete Langeweile sein? Vielleicht sollte ich einfach noch mal die Mix-Taste drücken, wenn auch die anderen knapp 300 ähnlichen Titel fertig analysiert sind. Aber vielleicht ist dann mein Umzug ja schon überstanden…