Es ist Sommer. Die Mittelaltermärkte sprießen überall. Ritterspiele, Handwerkskunst und jede Menge Dudelsäcke gibt es für die interessierten Besucher. Und für den Rezensenten stellt sich die Frage: Was war eigentlich das Mittelalter? Und warum brauchen wir es heute?
Es ist bald wieder Sommer. Die Sonne wärmt schon gewaltig, Bäume und Blumen verbreiten ihre Pollen. Und es ist Mittelaltermarkt. Überall. Es wird getöpfert, Brot gebacken, Met geschlürft. Gaukler gaukeln eine Welt vor, die zum Glück lange vorbei ist. Und das an jedem Wochenende überall in Deutschland. Dudelsäcke dudeln, Hexen werden nicht mehr verbrannt. Selbsternannte Kelten verbreiten ihre selbstgebastelte Religion. Der Rubel (entschuldigung: der Taler) rollt. Überall ist Mittelalter. Wenn nicht diese Woche in Greifswald, dann eben in paar Wochen in Ludwigsburg und dazwischen irgendwo auf Rügen.
Es ist schon erstaunlich, wie unter einem Markenzeichen alles mögliche verkauft werden kann. Naturprodukte etwa. Oder Kunsthandwerk. Aber auch Scharlatanerie. Oder zumindest gute Laune. Nur ist mir wirklich nicht klar, woher diese Faszination eigentlich kommt. Diese Sehnsucht danach, mit den Händen zu fressen und bis zum Umfallen zu saufen etwa. Oder die nach möglichst authentischer Musik zur gepflegten Untermalung des Fressens.
Wobei: so viel authentische Musik gibt’s aus dieser Zeit gar nicht. Was auf den Märkten allüberall zum Besten gegeben wird ist bestenfalls eine durch die Fetentauglichkeitsbrille gefilterte Rekonstruktion einer mittelalterlichen Musik. Oder: es wird als mittelalterlich verkauft, was frühestens aus der Barockzeit stammen kann, aber wunderbar versaute Texte über Pfaffen oder Mönchlein hat. Schenkelklopfen allüberall. Ja so warn’s halt damals…
Dabei kann die Beschäftigung mit der Musik des Mittelalters – und sei es nur mit den Liedtexten, weil die Melodien oft nicht mehr überliefert wurden – auch heute noch spannende Ergebnisse zeitigen. Wenn man sich beispielsweise „Silenda Simiarum“ von Gryn Aap anhört, da ist von fetenseeliger Saufmusik nicht viel zu hören. Stattdessen jede Menge lyrischer Klänge von Harfen, Drehleiern und zahlreichen anderen Instrumenten. Hier hat sich jemand (Bran der Rastlose) nen Kopf gemacht, wie Musik im Mittelalter geklungen haben könnte. Das klingt nicht spektakulär, hat mehr ruhige als mitreißende Momente – und ist mit zwanzig Minuten sehr kurz – und doch macht es deutlich: das Mittelalter war nicht so. Es war eine Zeit, in der in verschiedenen Regionen Europas und Vorderasiens ganz verschieden musiziert wurde. Und es wurde Musik gemacht, die oft völlig untauglich zum Saufen war, weil sie so leise daher kommt, dass das kleinste Schlürfen sie übertönen würde. Gryn Aap manchen vielleicht auch nicht wirklich Musik des Mittelalters – jedenfalls nicht auf dieser CD. Aber sie versuchen, sich wirklich jenseits der Vermarktungsklischees in eine bunte Welt einzufühlen und sie auf heutige Weise zum Klingen zu bringen. Und darauf kommt es an. Nicht auf den lautesten Marktstand auf dem Mittelaltermarkt.