Mit „Letzte Fischer“ gelangte Volker Harry Altwasser 2011 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Uwe Roßner sprach mit dem gebürtigen Greifswalder über seinen abstürzenden Laptop, den Glanz von Buchpreisen und die Freiheit des anderen Erzählens.
Herr Altwasser, seit ihrem Debüt „Wie ich vom Ausschneien loskam“ im Jahre 2003 ist viel passiert. Wie würden Sie das beschreiben?
Altwasser: Viel offizieller Stillstand und viele Jahre des Schreibens und des Suchens, des Kürzens, des Wegwerfens und Neuüberlegens, des Scheiterns, des Verzweifelns, des Abwenden und doch Weitermachen. Die vier letzten Rostocker Jahre waren gut. Zudem kam ich mit „Letzte Haut“ an meinen Verlag Matthes & Seitz in Berlin heran.
Wie erlebten Sie das Jahr 2011?
Altwasser: Der bisherige Höhepunkt. Nach dem Sommer überschlugen sich für einen in Mecklenburg-Vorpommern geborenen Menschen zwei große Ereignisse kurz hintereinander.
Was bedeutet Ihnen die Longlist-Platzierung des Deutschen Buchpreises?
Altwasser: Das war eine sehr gute Überraschung. Mein Verlag hatte das Buch ohne mein Wissen eingereicht. Auf solche großen Dinge hatte ich nie den Fokus gelegt.
Danach erhielten Sie in Hamburg den Italo-Svevo-Preis.
Altwasser: Das Schöne war, es kam so zufällig, so ungeplant. Für mich war immer klar, Schriftsteller werden zu wollen. Irgendwann muss man sich dann hinsetzen und ein paar Bücher abliefern, um auch glaubwürdig zu bleiben.
Wie ist es heute für Sie, als freischaffender Schriftsteller zu arbeiten?
Altwasser: Der Buchmarkt hat sich verändert, ich nicht. Mein Leben ist das gleiche wie nach dem Studium am Literaturinstitut in Leipzig 2003. Ich kann mich schwer verbiegen. Ich erlaube mir das paradiesisch zurückgezogene Leben eines Schriftstellers. Meine Bücher sollen sich in den Markt drängen. Mal sehen, wie lange das gut geht.
Wie hat sich Ihr Schreiben verändert?
Altwasser: Die letzten dreizehn Jahre waren nötig, um meine Spezialität herauszuarbeiten zu können. Man sagt auch, mit vierzig sei man als Schriftsteller noch ein junger Dachs.
Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus?
Altwasser: Ich schreibe drei bis vier Stunden am Tag. Die andere Zeit denke ich nach, recherchiere oder lese viel. Bei einem Manuskript schaffe ich fünf Seiten am Tag. Ich habe einen kleinen Laptop, den ich schon längst hätte wegschmeißen sollen. Freunde haben mir das gesagt. Bei dem ist die Lüftung kaputt und nach einer Stunde läuft der so heiß, dass er dann immer abstürzt. Da muss ich sehr konzentriert arbeiten und rechtzeitig speichern, um eine Pause machen zu können. Dieser technische Rahmen gefällt mir beim Schreiben.
Was ist Schreiben für Sie und was hat es mit der Erzählhaltung des Pragmatikers auf sich?
Altwasser: Die Erzählhaltung ist sehr wichtig für mich. Die sieben Jahre waren nötig, um die Spezialität des Schreibens herauszuarbeiten zu können. Aus sich heraus eine Erzählhaltung zu finden. Ein Schriftsteller muss immer verschiedene Autorenhaltungen haben, um die jeweilige Geschichte am besten erzählen zu können. Das ist ein komplizierter und schwer erklärbarer Prozess. Das ist ungemein wichtig für mich. Dann kann ich erst anfangen.
Viele Autoren aus Mecklenburg-Vorpommern haben sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Zu nennen wären dabei Judith Zander, Judith Schalansky oder Peter Wawerzinek. Sind Schreibende aus MV derzeit im Kommen?
Altwasser: Es ist nicht neu oder im Kommen, sondern es kehrt wellenförmig wieder. Die Tradition ist sehr, sehr weit. Alfred Döblin kommt aus Pommern. Koeppen, Fallada, die Barocklyrikerin Sibylla Schwarz und Uwe Johnson auch. Es sind immer Prosaautoren. Ich glaube, das Erzählen kam man im Norden, speziell im Nordosten sehr gut lernen, weil so wenig Ablenkung da ist. Wir sind hier geboren, holen unser Rüstzeug uns woanders und bleiben meistens auch dort. Ich bin allerdings einer der Wenigen, der zurückgekommen ist.
Worin unterscheidet sich die literarische Qualität dieser Erzähltradition?
Altwasser: Sie liegt beim Bestehen auf der Freiheit, anders zu erzählen. Döblin hat eine ganz neue Erzähltechnik herausgearbeitet. Koeppen hat seine langen, intensiven Sätze. Ich glaube, wir erfinden im Nordosten nicht unbedingt etwas Neues, sondern etwas Anderes, weil wir hier oben einen geschützten Raum haben.
Wie stehen „Letztes Schweigen“, „Letzte Haut“ und „Letzte Fischer zueinander im Verhältnis?
Altwasser: Als Deutschlandtriologie waren sie ursprünglich nicht geplant. Es hat sich so ergeben. Immer sind es die letzten Dinge: bei „Letzte Haut“ das Ende des Nationalsozialismus, beim „Letzten Schweigen“ das Ende der DDR und bei „Letzte Fischer“ ist es das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Der Anspruch ist, das Ende einer gesellschaftlichen Entwicklung herauszuspüren. Das interessiert mich immer und dies mit einer Biografie zu verknüpfen.
Ihr Hochseeepos „Letzte Fischer“ ist auch eine Hommage an das Erzählen. Was reizte Sie daran?
Altwasser: Ich habe überlegt, wo kommt das Erzählen her und war relativ schnell beim Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Ich dachte, was ist der Fisch wirklich. Die Angler und Hochseefischer müssen etwas zu erzählen haben, weil sie so lange schweigen. Sie hören der See zu. In der Kneipe werden sie nach dem dritten Bier redselig. Das habe ich versucht auf eine literarische Ebene zu heben.
Was fasziniert sie eigentlich an Seefledermäusen?
Altwasser: Das Aussehen, ihre skurrile Art der Fortbewegung und es sind Tiere, die es seit Ewigkeiten gibt, aber noch nicht so in der Literatur oder in der öffentlichen Wahrnehmung aufgetreten sind.
Wie sind Sie auf dieses Tier gestoßen?
Altwasser: An „Letzte Fischer“ habe ich an die fünfzehn Jahre gearbeitet. Beim Durchblättern eines Fischlexikons fand ich diese Fischart auf der vorletzten Seite.
Was ist ihr nächstes Projekt?
Altwasser: Im September kommt ein ziemlich verrücktes Buch heraus. Zwei Hauptfiguren sind aus „Letzte Fischer“ sind ja noch übrig. Es wird außerdem um den letzten Pommernherzog Bogislaw XIV. gehen. Hätte er etwas mehr Rückgrat gehabt, wäre der Dreißigjährige Krieg viel früher zu Ende gewesen.