Von der Natur des Pianos her ist es eher ein Instrument für Städte. Und so spielt sich die Entwicklung des Piano-Blues auch zuerst dort ab. Schon Louis Armstrong schildert in seiner Autobiographie, dass es vor allem die Bordelle im Viertel Storyville waren, wo Pianisten ihr Geld verdienen konnten mit Blues, während die Bläser wie er vor allem bei Paraden oder Beerdigungen engagiert wurden.
Wo sich Blues, Jazz, Ragtime und Swing treffen
Daneben gab es in den Städten für Klavierspieler und andere Musiker noch eine andere Einnahmequelle: House Rent Parties. Wer Mietschulden hatte, veranstaltete eine Partie. Er lud sich paar Musiker ein, schaffte ein Klavier in die Wohnung und die Besucher brachten die Getränke und hoffentlich genug Kleingeld mit, um nicht nur die Räumung der Wohnung zu verhindern sondern auch die Musiker für ihre Arbeit zu bezahlen. Schon bald wurde hier der Ragtime durch die Öffnung hin zum Jazz zu einem flexibleren Spielstil hin aufgebrochen.
Pianisten wie der 1894 geborene Cow Cow Davenport mixten die Rhythmen des Ragtime mit laufenden Basslinien in Achtelnoten – und schufen so den Boogie Woogie, Wobei in der Musikhistorie umstritten ist, wo der Stil erstmals wirklich ausgeprägt auftauchte. Manche gehen sogar so weit, in den zweiten Satz von Beethovens 32. Pianosonate zu schauen. Dort ist die dritte Variation des Themas tänzerisch mit heftigen Synkopen versehen.
Schon 1913 war „Boogie“ ein Synonym für die genannten Rent Parties. Und schon vor 1900 wurden Musikstücke veröffentlicht, die „Boogie“ im Titel hatten. Allerdings hatten die mit dem Stil noch nichts zu tun. Die ersten Tonaufnahmen waren „That Syncopated Boogie Boy“ des American Quartet, was Edison selbst 1913 auf Tonwalze aufnahm. Aber die ersten Boogie-Figuren mit laufendem Bass konnte man erst 1917 beim „Weary Blues“ der Louisiana Five hören.
Leadbelly erinnerte sich, dass er das erste Boogie-Woogie-Piano schon 1899 im Nordosten von Texas gehört hatte. Und auch Jelly Roll Morton konnte ähnliche Erinnerungen beisteuern. So ist man mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass sich der Boogie Woogie dort entwickelt habe. In Texas nannte man den schnellen Blues „Fast Western“. Und in Texas war es wohl auch, dass farbige Pianisten das Klavier von einem europäischen Konzertinstrument zu ein einem polyrhytmischen Instrument umwandelten, dass hervorragend Züge imitieren konnte. Denn von daher kommen die gleichmäßig laufenden Basslinien, die erst klare vier Viertel waren, später sich zu acht Achteln verschnellerten.
1928 jedenfalls erschien die erste so zu nennende Boogie Woogie Schallplatte: Pine Top Smith veröffentlichte „Pine Top’s Boogie Woogie“, ein Lied, dessen Text aus Tanzanweisungen bestand, wie man den Boogie zu tanzen hatte.
Pianisten wie Albert Ammons, Meade Lux Lewis und Pete Johnson wurden geradezu zu Superstars am Piano, besonders nachdem sie bei den von John Hammond organisierten Konzerten „From Spiritual to Swing“ bei dem weißen Publikum bekannt geworden waren.
Der Boogie passt so richtig in die Zeit des Swing – und so ist er auch nicht nur eine Pianomusik geblieben sondern wurde auch von den Bigbands – oder auch von Countrymusikern in allen möglichen Varianten gespielt. So konnten etwa die Andrews Sisters vom „Boogie Woogie Boogle Boy“ singen oder fordern „Beat Me Daddy Eight To The Bar“. Und Dave Bartholomew aus New Orleans verlegte den Boogie mit allen möglichen Tierparodien auf den Bauernhof mit seinem Barnyard Boogie.
Heute sind es vor allem recht konservativ eingestellte Pianisten wie Axel Zwingenberger, Frank Muschalle oder Vince Weber, die mit Boogieprogrammen live zu erleben sind. Die Reproduktion alter Stücke – phantastische Kompositionen in teilweise irrsinnigem Tempo – wirkt live wesentlich mehr als auf Platte. Doch nach spätestens einer Stunde fragt man sich, ob denn die Musiker heute keine eigenen Ideen haben. In der Blütezeit des Boogie war es ähnlich wie damals beim Ragtime: alles was irgendwie interessant klang, wurde zum Boogie umfunktioniert. Doch traut sich heute etwa jemand, aus aktuellen Tagesschlagern Boogies zu bauen? Wahrscheinlich gibt es auch solche Pianisten – doch werden sie kaum die Chance haben, ihre Ideen auf Platte oder im Rundfunk einem breiteren Publikum bekannt zu machen.