Als Jimi Hendrix in London eintraf und die dortige Rockszene ebenso wie die Frauenwelt im Sturm eroberte, war er als Gitarrist und Songschreiber ein Phänomen. Schon bald jammte er mit Cream und jagte dabei Eric Clapton frustriert von der Bühne. Kurz vorher war er eher ein Mythos für die durch die USA tourenden Briten: Ein faszinierender Gitarrist, der im legendären Cafe Wha? zeigte, was mit der E-Gitarre und den Strukturen von Blues und Rock alles möglich ist. Doch die Geschichte vorher blieb den meisten unbekannt.

Steven Roby & Brad Schreiber: Becoming Jimi Hendrix: From Southern Crossroads to Psychedelic London, the Untold Story of a Musical Genius

Nun gibt es zwar schon viele bis zu viele Biografien, die sich dem Leben von Jimi Hendrix widmen, doch blieb in denen bislang die Zeit vor seinem Starruhm und den großartigen Alben mit der Jimi Hendrix-Experience meist nur eine kurze Einleitung. Hier setzen Steven Roby und Brad Schreiber mit ihrem 2010 erschienenen Band „Becoming Jimi Hendrix“ an: Es sind genau die Jahre zwischen der desaströsen Kindheit in Seattle und dem Abflug nach London, die sie darstellen. Sie berufen sich dabei auf zahllose Interviews mit Musikern, Zeitzeugen und Freundinnen von Hendrix. Außerdem werten sie die Armeeunterlagen von seiner Zeit bei den Fallschirmspringern und Gerichtsakten aus.

Interessant ist das Buch vor allem für diejenigen Fans des Gitarristen, die seine Verwurzelung im Blues und dem Rhythm & Blues der 50er Jahre konkret nachvollziehen wollen. Hier werden so ziemlich alle Bands aufgelistet, in denen er jemals gespielt hat. Und es werden die Gründe geschildert, warum er regelmäßig von bekannten Soul-Stars angeheuert und meist nach kurzer Zeit wieder rausgeschmissen wurde: Denn Hendrix konnte zwar so ziemlich jede Musik spielen, die nötig war. Doch war von Anfang an der Wille bestimmend, seinen eigenen Stil zu finden und sich keinem Star unterzuordnen. Selbst ein ähnlich schriller Paradiesvogel wie Little Richard konnte Hendrix nicht allzulange ertragen. Wobei diese Zusammenarbeit ebenso wie die mit den Isley Brothers oder King Curtis Hendrix für etliche Monate nicht nur das Überleben sicherte sondern ihn auch weiteren Kreisen bekannt machte als ein Gitarrist, auf den man achten musste.

Für den Historiker sind die Auflistungen sämtlicher Konzerte und sonstiger Ereignisse sicherlich ebenso wichtig wie die Dokumentation der für den Zeitraum bekannt gewordenen Studio-Sessions, an denen er beteiligt war. Hierbei stand den Autoren das Familienarchiv der Hendrix-Familie zur Verfügung, was für Veröffentlichungen bislang eher selten war. So ist „Becoming Jimi Hendrix“ eine wichtige Lektüre für jeden, der sich mit Hendrix und der Musik der 60er Jahre beschäftigen will. Wer allerdings das Phänomen „Hendrix“ wirklich verstehen will, kommt an Büchern wie dem von Charles Shaar Murray nicht vorbei, der genauer die musikalischen Wurzeln im Blues und Jazz verfolgt und insgesamt weniger biografisch als psychologisch und motivgeschichtlich interessiert ist.

Verlag: Perseus Distribution (2. September 2010)

Sprache: Englisch
ISBN-10: 0306819104
ISBN-13: 978-0306819100