Vom kalifornischen Songwriter Alexei Wajchman sollte man keine leichte Kost erwarten. Schon das 2011 veröffentlichte Album seiner Band Blind Willies zeichnete ein düsteres Bild von Wahnsinnigen, Nutten und ihren Zuhältern und den dunklen Seitenstraßen von San Francisco. „Every Day Is Judgement Day“ ist zeitweise ebenso dürster. Aber die Lieder über Freiheit im weitesten Sinne sind kämpferischer und politischer.
Album des Monats Juli 2014 bei der „Wasser-Prawda“
„Ladies and Gentlemen, this way to the gas.“ Ein scheinbar geschmackloser Vers. Wie kann man über den Schrecken von Auschwitz einen Tango schreiben? Doch Alexei Wajchman hat gerade diese Zeile vom Titel autobiografischer Erinnerungen eines Überlebenden entlehnt. Und er ließ sich vom Ort des Massenmordes selbst inspirieren: „Cremo Tango“ ist ein verstörender Song geworden, einer der den Schrecken fühlbar macht, auch durch den scheinbar harmlos dahinswingenden Tangorhythmus. Auch der nächste Song des Albums zählt zu denen, die einen zunächst sprachlos da sitzen lassen: In „42 Jews“ zählt er ohne Kommentar Völkergruppen und Angehöriger bestimmter Schichten auf, die im Laufe der Jahrhunderte Opfer von Massenmorden wurden: Juden und Palästinenser, Armenier, Zigeuner und Angehöriger afrikanischer Völker, Sklaven – und ganz zum Schluss: „and Jesus too“. Ganz langsam baut das von einem einfachen Rhythmus begleitete und durch die Tonarten sich nach oben schraubende Gitarrenriff eine Spannung auf, die sich erst in einem wütenden Solo der verzerrten E-Gitarre entladen kann.
Ein Album über Freiheit? Hier ist kein optimistischer Hurra-Patriotismus zu hören. Die Lieder der Blind Willies schauen eher dahin, wo im politischen und persönlichen Umfeld die Freiheit fehlt und was sich daraus entwickelt.
Musikalisch sind die Musiker im Laufe der Jahre wesentlich vielseitiger geworden: von einfachen Folkmelodien, von Blueseinflüssen und Americana im weitesten Sinne bis zu wütendem Rock reicht das Spektrum. Doch die Musik ist hier immer nur das Transportmittel für die gnadenlos genauen und niemals von ironischer Distanzierung abgeschwächten Beobachtungen eines unwahrscheinlich beeindruckenden Songwriters. Erst beim letzten Song „Big City“, durch das Wajchman durch seine langjährige Arbeit mit Kindern inspiriert wurde, wird ein wenig von der düsteren Atmosphäre dieses Albums hinweggenommen und enlässt den Hörer mit positiven Gedanken.
Selten in den letzten Jahren sind mir politische Lieder begegnet, die textlich und musikalisch so gut zusammenpassten – die Blind Willies werden damit kaum die Charts erobern. Denn dort ist ja meist nur die gleiche geistlose Banalität zu finden. Für denkende Musikhörer allerdings dürfte „Everyday Is Judgment Day“ auf der Liste der beeindruckendsten Alben des Jahres landen. (Bandcamp)