Was macht einen Solo-Act zum Duo? Wenn der andere auch da ist… Dass Tim Lothar, hoch dekorierter dänischer Bluesgitarrist, am Ende einer mehrtägigen Zitterpartie „da“ war, kostete ihn einiges an Nerven und Optimismus. Denn, ob er – rechtzeitig oder überhaupt – zur Internationalen Blues Challenge (IBC) in Memphis/Tennessee – gelangen konnte, stand kurz vor Start in den Sternen.
Ein Deutsch-Dänisches Duo im Semifinale der IBC in Memphis. Von Memphis Mini.
Der dänische Blues-Musiker, der vom Baltic Blues e.V. für die Teilnahme an der IBC nominiert wurde und seinen Duopartner Holger „HoBo“ Daub einlud, ihn zu begleiten, saß im Norden Dänemarks fest. Starker Schneefall in Frederikshavn und Aalborg, gestrichene Zug- und Flugverbindungen wenige Tage vor Abflug und unklare Wettervorhersagen zwangen ihn, umzudisponieren. Er buchte einen Flug Hamburg/ Amsterdam, schlug sich mit dem Zug so weit südlich durch, wie er kam und wurde in Kolding abgeholt. Auf dem Hamburger Flughafen wollte er sein Ticket dann aktualisieren lassen – trat er doch die lang gebuchte USA-Reise nicht von Aalborg, sondern von Amsterdam an. Lapidare Information am Info-Schalter: „Geht nicht.“ „Sorry?“ „Geht nicht.“ Eine Weiterreise nach Memphis sei nicht möglich. Reiseantritt ab Aalborg nicht bestätigt, also Flug nach Memphis nicht zulässig. So seien die Regeln. Ergebnis: Ein fassungsloser Musiker und eine farblose, gleichgültige weibliche Person, die weder um Hilfestellung noch um Lösung des Problems bemüht war. Erst die entzückende Angestellte beim Check-in, bei der das Gepäck wartete, machte wieder Hoffnung: „Fliegen Sie nach Amsterdam und gehen Sie da direkt zu KLM. Schildern Sie ihr Problem. Das klappt schon…“
Eineinhalb bange Stunden später: Sie sollte Recht behalten. Tim Lothar durfte in den Flieger nach Minneapolis/Memphis und fand am Ende wieder bestätigt, was er zwischendurch selber fast bezweifelt hatte: „It always works out.“ (Es klappt am Ende doch irgendwie.) Nach insgesamt 40 durchwachten Stunden, aber keinerlei weiteren Problemen: glückliche Landung in Memphis. Hier erstmal Füße hoch, Warten auf Holger Daub, der kurze Zeit später mit einem anderen Flug eintraf. Tag eins in Memphis: Einmal den Mississippi sehen, Finger eintauchen, bei strahlendem Sonnenschein das Programm durchspielen und sich vorbereiten auf den International Showcase im New Daisy Theatre, der eineinhalb Tage später stattfinden sollte: Ausgewählte IBC-Nominierte durften sich hier Mitmusikern und Zuschauern schon einmal außerhalb der Challenge präsentieren.
Das Teilnehmerfeld in diesem Jahr war groß: 255 Blues-Acts aus der ganzen Welt waren für die IBC gemeldet; 125 unter der Kategorie „Bands“ (2013: 124), 101 für „Solo/Duo“ (2013: 80), 29 Youngsters in der Kategorie „Youth Showcase“ und damit beim weltgrößten (Blues-)Musik-Wettbewerb dabei. Tim Lothars/Holger Daubs Auftritt im New Daisy begann mit zwei Schrecksekunden – einmal, als Jay Sielemann, Geschäftsführer der „Blues Foundation“, die beiden völlig überraschend auf Bühne rief, obwohl noch eine Band vor ihnen spielen sollte. Die professionelle Planung der IBC sieht einen äußerst straffen Zeitplan vor: fällt ein Act aus, rückt der folgende nach. Das hieß für die beiden: Zack, zack – Instrumente greifen und rauf auf die Bühne. Zweiter Schreck: Holgers Harp-Amp machte Probleme, die aber gelöst werden konnten, so dass der Auftritt als „stressful but went fine“ abgespeichert wurde. Überwältigend die Reaktion des Publikums – es gab ehrliche Anerkennung: Von allen Seiten reckten sich Arme, schüttelten die beiden Hände, gratulierten ihnen Kollegen und Bluesfans zum gelungenen Auftritt; Sitznachbarn stellten sich als Fans aus Kanada, Musiker aus Australien (Chris O’Connor und Familie) oder eben den USA (z.B. The Octavia Blues Band) vor.
Der erste Wettbewerbsauftritt für das Duo Lothar/Daub folgte dann einen Tag später im Club 152 – natürlich ebenfalls auf der Beale Street: Die Location – herrlich düster, das Publikum interessiert und aufmerksam, die Jury taufrisch, der Sound perfekt. Mit in der Konkurrenz, die sich so aber gar nicht anfühlte, an diesem Tag alte Bekannte von Tim Lothar: Die spanischen Suitcase Brothers (Foto vor Club 152 mit Gitarren), die in 2013 bei der IBC Zweite wurden; Little G Weevil, Sieger des gleichen Jahres oder Nico Wayne Toussaint & Michel Foizon aus Frankreich. So zurückhaltend Tim Lothar im Umgang wirkt, so ausdrucksstark ist er auf der Bühne: Als würde ein Schalter umgelegt, arbeitet er sich mit seiner Gitarre, einer beeindruckenden, starken Stimme und Einsatz des ganzen Körpers durch die sehr persönlichen Stücke. Immer meint er, was er singt, nie fehlen seiner Musik Seele und Aufrichtigkeit. „HoBo“ Daubs, von Sonny Boy Williamson, Little Walter oder Rod Piazza beeinflusstes, dynamisches und mitreißendes Mundharmonikaspiel, seine passgenauen Improvisationen und die songdienliche, emotionale Spielweise illustriert und unterstreicht eloquent, was der Gitarrist da liefert. Tim Lothar und Holger Daub legten einen tollen Auftritt hin und bekamen wieder eine Menge anerkennende Kommentare, die sie direkt zurückgeben konnten. Tim Lothar: „I want the Suitcase Brothers to win. They are better than ever.“ Die Suitcase Brothers: „We want Tim Lothar to win!“ Lothars Urteil über die Quarter Finals: „This night was fun. The best acts were the Europeans – Spain and France. Nice to meet all these guys again.“ Wie auch immer – am Ende waren die beiden weiter. Tom Shakas Bruder (Swamp Shaka Duo with Tony C) samt Familie stellte begeistert fest, dass mit Holger ein Hamburger in Memphis dabei war, Buck Hoffmann vom Duo Buck Hoffmann & Paul McQuade ließ Tim nach dem Auftritt auf seiner Gibson L1 von 1945 spielen (Foto).
Sowohl im Hotel als auch hier wieder faszinierend zu sehen – die Solidarität und Freundlichkeit zwischen den Musikern – ob vorher miteinander bekannt oder nicht. Da wurde sich im Fahrstuhl kurz unterhalten (Joe Mauldin und Frau, Nico Wayne Toussaint, diverse Bands) – am Ende traf man seine Hotelnachbarn auf dem nächsten Auftritt wieder: Die hatten sich die Lothar/Daub-Auftritte herausgepickt und trotz des eigenen engen Zeitplans alles daran gesetzt, rechtzeitig dabei zu sein. Ein Radiointerview bei Vinny Bond Marini von „Music on the Couch“ (Foto) und ihr großartiger, professioneller TV-Live-Auftritt bei Ditty TV (Foto) komplettierten die unvergleichlichen musikalischen Erfahrungen des Dänisch-Deutschen Duos hier in Memphis. Dann, schließlich, das Halbfinale: Ort der Semi-Finals am Freitag war das „12 bar“ im Jerry Lee Lewis. Hier war es sehr viel lauter, der übergewichtige junge Mann am Mischpult wirkte leicht desinteressiert, die Jury von den anstrengenden Tagen zuvor durchaus ermüdet. Startplatz: Letzter Solo/Duo-Act von acht Auftritten um 22.30 Uhr. Mit im Starterfeld so gute Leute wie Lucious Spiller, The Suitcase Brothers oder Micah Kesselring, der das Semi-Finale viermal hintereinander für unterschiedliche Blues Societies erreicht hat. Klar war: Von den acht starken Teilnehmern würden an diesem Semi-Abend nur zwei weiter kommen…
Spät abends dann die erlösende Info: Tim Lothar und Holger Daub waren nicht mehr dabei – nun war Freizeit und Sightseeing angesagt! Von wegen. Tim wurde noch am selben Abend krank, schlief zwei Tage lang. Holger jammte bis tief in die Nacht zum wiederholten Male im New Daisy mit sämtlichen Bluesgrößen, die die IBC aufzubieten hatte; Tim verschlief auch das Finale im prachtvollen Orpheum, das Tim Williams in der Kategorie Solo (zweiter Lucious Spiller) und Mr. Sipp mit Band gewann. Aber, ganz mit sich im Reinen und überglücklich, konnte Tim sich ehrlich freuen über eine tolle Woche in Memphis und das persönliche Semifinale: „Our concert went fine – perhaps our best one.“