Wiederholte Liebe – Predigt zu 5. Mose 6 am 14. Juni 2009

Ihr Lieben,

mein Latein- und Griechischlehrer konnte ziemlich brutal sein. Nicht nur, dass er gezielt mit seinem dicken Schlüsselbund warf, wenn man in seiner Stunde einzuschlafen drohte. Nein – er quälte uns mit Vorliebe mit der Wiederholung von Vokabeln und Grammatik. Noch wenn irgendwann mal die erste Schaufel Erde auf deinen Sarg fällt, will ich es von unten hören: horao – opsomai – eidon – heoraka – heoramai – ohphten. So sein Standardspruch im Griechischen.

Auf logische Diskussionen ließ er sich nicht ein: Manche Dinge muss man einfach auswendig draufhaben. Die müssen sofort griffbereit sein. Man könnte sich ja mal plötzlich brauchen. Und ehrlich: die Stammform horao – sehen kenn ich noch immer im Schlaf. Wenn auch sonst nicht mehr viele andere der fünfzig oder mehr griechischen unregelmäßigen Verben.

Sieben Mal – so haben kluge Werbestrategen herausgefunden – sieben Mal muss der Mensch durchschnittlich etwas wiederholen oder an etwas erinnert werden bis er es sich wirklich langfristig merken kann! Das soll so sein, wenn man bewusst etwas lernen will, Vokabeln einer Fremdsprache, den Stoff für irgendeine Prüfung, oder wenn Musiker ein neues Stück einüben. Das soll aber auch zu bei mehr „unfreiwilligen" Lernvorgängen zutreffen, von denen sich Werbung Erfolg verspricht.

Daher wird man die gleichen Plakate immer wieder in der Stadt sehen, wenn eine Kampagne läuft: Wiederhole es immer wieder, bis du es im Unbewussten hast: Bild kämpft. Caffier ist Schuld, das Greifswald nicht mehr Kreisstadt sein soll, darauf einen Dujardin…

Der Text, den ich als zweiten Predigttext rausgesucht habe, der fällt genau in diese Kategorie. Der zeigt: diese Methode hat schon vor Jahrtausenden funktioniert. Auch im 5. Buch Mose geht es um einen Erinnerungstext und um Methoden des Erinnerns und Lernens.

40 Jahre Wüstenwanderung liegen hinter Israel nach der Flucht aus Ägypten, so erzählt das AT- das gelobte ist Land zum Greifen nah, und nun soll Mose seine Leute noch einmal erinnern an die Vereinbarungen, die Gott mit ihnen getroffen hat, an den Bund, den Gott mit Israel geschlossen hatte.

Mose zählt noch einmal auf, woran sie sich halten sollen, damit ihr Leben gelingen kann, es geht um die Gebote, die er damals mitgebracht hatte aus seiner Begegnung mit Gott im Sinai.

Er zählt die Gebote, die Anweisungen zum Leben, noch einmal auf. Und immer wieder heißt es dazu: das sollt ihr lernen und darauf achten, damit es euch wohl ergehe. Und das alles auf der Grundlage der Erinnerung: vergiss nicht, der Herr, unser Gott, ist der, der dich aus Ägypten geführt hat! Nicht irgendein anderer, unberechenbarer Gott, sondern der, der dich schon einmal gerettet und befreit hat. Und schließlich kommt – wie in einer kompakten Zusammenfassung:

Deuteronomium/ 5. Mose 6
4. Höre, Israel, Jahwe unser Gott, Jahwe ist einzig.
5. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
6. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. (Luther: du sollst sie dir zu Herzen nehmen).
7. Du sollst sie deinen Söhnen und Töchtern wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Sie sollen Schmuck auf deiner Stirn werden.
9. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses schreiben und in deine Stadttore.
Wiederholen, einschärfen, immer wieder sprechen – fromme Jüdinnen und Juden tun das mit diesem Text bis heute, jeden Morgen und Abend, allein oder gemeinsam im Gottesdienst – das „Schema Israel" – das „Höre, Israel" gehört zu ihren regelmäßig gesprochenen Gebeten!
Die Anfangsworte des hebräischen Textes haben ihm seinen Namen gegeben, vergleichbar unserem Vaterunser.

„Höre, Israel, der Herr, unser Gott ist einzig" das steht auch in den kleinen Kapseln an den Gebetsriemen, die sie sich zu diesem Gebet umlegen, das steht auch in den etwas größeren, länglichen Kapseln, die sie an ihre Wohnungstüren hängen und die sie kurz berühren, wenn sie die Wohnung betreten. (viele von Ihnen und Euch werden das kennen, von Israelreisen, aus Filmen, aus Begegnungen mit jüdischen Gemeinden hier bei uns). Sie entnehmen diesem Text ganz konkrete Anweisungen, die ja vergleichsweise leicht zu befolgen sind: bestimmte Texte sprechen, Erinnerungszeichen umhängen oder anbringen, das kann man gut tun ;
und: häufig wiederholte Texte, Zeichen und Symbole, die uns regelmäßig begegnen, sie können uns auch gut-tun… Denn dahinter steckt die Überzeugung, dass äußere Zeichen und Haltungen auch im Innern von Menschen etwas bewirken können;

Zeichen und Haltungen können hilfreich sein, wenn es darum geht, sich auf etwas ganz zu konzentrieren, zur Ruhe zu kommen, sich die Worte zu Herzen zu nehmen, sich ihnen zu öffnen und etwas anzufangen damit für die Gestaltung des eigenen Lebens.

  • Es reicht natürlich nicht aus, Worte immer wieder vor sich hin zu sagen, sie auswendig zu wissen und irgendwo aufzuschreiben, vielleicht sogar in künstlerisch gestalteter Form.
  • Das kann nur ein erster Schritt sein, die Vorbereitung sozusagen auf das, was daraus erwachsen, entstehen soll. Das Ziel ist, dass diese Worte in uns auch etwas bewirken. Mose beschreibt Gott als einzig, d.h. als ungeteilt, heil und ganz.
  • Und so möchte Gott auch seine Menschen, ungeteilt, heil und ganz,
    – ihm entsprechend, Ebenbild Gottes,
    – nicht mehr zerrissen und verfolgt von Bildern der Vergangenheit, von Spuren der Sklaverei in Ägypten, von Enttäuschungen und zerbrochenen Träumen.

„Darum sollst du den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft-," damit das gelingen kann

Überhaupt irgend etwas „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und all seiner Kraft" tun zu können, das scheint mir zu den ganz großen Sehnsüchten unserer Zeit zu gehören. Wir beklagen uns immer wieder darüber, dass die Zeit fehlt, sich Dingen wirklich komplett widmen zu können, dass uns die Konzentration fehlt, sich in einem Buch oder einer Musik völlig zu verlieren. Wir sind meist nicht heil und ganz. Wir zersplittern unser Leben in alle möglichen Teile, die manchmal kaum noch was miteinander zu tun haben.

Die Sehnsucht ist da, aber das Paradoxe ist, dass in unserer Gesellschaft im Gegensatz dazu immer noch die Leute am angesehensten sind, die den vollsten Terminkalender haben, sich völlig zu zerreißen versuchen, auf tausend Hochzeiten gleichzeitig tanzen und oft genug nichts richtig zu Ende kriegen.

Es kann angehen, dass das etwas damit zu tun hat, dass oft andere an einem zerren und ziehen (Hast du dies schon gemacht, versuch doch mal jenes und du solltest aber auch…) und man versucht, all diesen (vermeintlichen) Ansprüchen gerecht zu werden. Das ungute Gefühl, das dabei entsteht, führt wohl dazu, dass Menschen, die es dann wirklich schaffen und nichts anderes im Kopf haben als… Fußball, ihren Verein, zumindest mit vorsichtiger Skepsis betrachtet werden. Mitunter heißt es dann sogar über so jemand: der ist ja vielleicht fanatisch! Dabei zeigt er nur: mir ist diese Sache so wichtig wie nichts anderes. Hier ist das Zentrum meines Lebens.

Gott lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und aller Kraft… Aber wie?

Jetzt kann man natürlich daherkommen und versuchen, diese Anweisung einfach in die Reihe der anderen mit hineinzustellen, so als könnte man das auch leicht befolgen und einfach tun.
Doch es wird sich bald zeigen, dass dies so einfach nicht ist. Ich kann mir die Zeit zum Beten nehmen, ich kann selbst die Worte der Bibel immer mit mir rumtragen. Ich kann sie vor mich hin sagen, wenn ich unterwegs bin, vor dem Einschlafen und wann auch immer.

Aber Gott lieben: Das lässt sich nicht in Regeln und Arbeitsabläufe fassen. Das entzieht sich dem Handbuch. Denn wir versuchen damit, etwas Ungreifbares fassbar und uns verfügbar zu machen. So als könnte man Liebe produzieren, einfordern oder gar herstellen mit dem „du sollst…" – oder mit bestimmten Texte und Symbolen. Aber Gott ist nicht verfügbar, sodass er in unsere Vorstellungen verpackt werden könnte!

Im zweiten Examen war Thema der großen Klausur: Was heißt es heute: Gott über alle Dinge fürchten lieben und vertrauen? Sie haben acht Stunden Zeit. Und jetzt schreib mal drauflos. Eine Horrorprüfung war das: Wie soll man in acht Stunden theologisch korrekt, historisch fundiert und mit Bezügen zum gegenwärtigen Leben der Christen dazu was umfassendes zu Papier bringen? Ich kam mörderlich ins Schwimmen, hing bei Luther ne Weile fest – um dann deutlich zu machen, wie wichtig es doch ist, die Gebote im Konfirmandenunterricht zu behandeln in ihrer Relevanz für das Leben heute. Doch Gott zu lieben – wie das aussehen soll, das konnte ich nicht in Worte fassen.

Wahrscheinlich hätte ich mir ein Beispiel an den Juden nehmen sollen: ihre ganze Geschichte deuten sie im Blick auf diesen Gott, der sie aus Ägypten befreit hat: Gott mischt sich ein, er ist nicht fern sondern nahe. Dem Volk, dem Einzelnen, uns allen. Und er wendet sich zuerst uns zu; so wie am Sinai, so wie in der Befreiung aus ägyptischer Sklaverei – und das wird im Hebräischen viel deutlicher und klingt ganz anders, denn da steht gar nicht so die Forderung im Vordergrund, vielmehr (schwer zu übersetzen): „Du wirst…" Weil da diese Befreiungstat in der Geschichte war, weil Gott der ist, der so etwas kann und vollbringt, am Sinai und wo auch immer, darum wirst du ihn lieb haben. Deswegen ist es wichtig, davon etwas zu wissen, und darum sind die alten Geschichten so wichtig, das Wiederholen und Erzählen – und sich darin wieder finden, sie zu verknüpfen mit der eigenen Geschichte. „Höre, Israel, höre Mensch, der Herr, dein Gott ist einzig!"

Und das ist es auch, was letztlich Jesus von uns will: das weiterzusagen. Gott ist einer, der die Menschen liebt. Er ist einer, der einzigartig ist in seiner Liebe, weil er eben erst mal überhaupt keine Bedingungen stellt. Und er ist einzigartig darin, dass er unser Leben begleiten will, es in die richtige Richtung führen will. Das sollen wir als Jünger weitersagen.<–>