Charles BukowskiAuf seinem Grabstein in San Pedro steht: „Don’t try“ – „Versuchs erst gar nicht“: er hat es trotzdem immer wieder versucht. „Zu Lebzeiten hackte er […] Nacht für Nacht mehr in die Maschine, als der Markt verdauen konnte“, wie der Spiegel vor einigen Jahren schrieb.

Knapp zehn Jahre früher schrieb dasselbe Magazin: er wurde „gegen Lebensende immer durchsichtiger […] immer leichter.“ Er lernte „immer besser […], mit seinen Mythen und Masken zu spielen.“ Und trotzdem ist Henry Charles Bukowski jr. der breiten Masse des deutschsprachigen Publikums gänzlich unbekannt – nicht zufällig ist Word und Open Office dieser Name fremd – einige haben den Namen schon mal gehört, haben aber nichts von ihm gelesen und nur sehr wenige lesen ihn. Schlimm ist das nicht, es ist aber auch nicht schön, wenn ein genialer Dichter und großartige Texte im Kontext der Frage „Welche amerikanischen Schriftsteller kennst Du?“ unter- und nicht auftauchen. Das soll an dieser Stelle anders sein.

Charles Bukowski wurde am 16. August 1920 in Andernach geboren, zog 1923 mit seinen Eltern – dem US-amerikanischen Soldaten Henry Bukowski und der Deutschen Katharina Fett – nach Los Angeles. Es folgten bescheidene Verhältnisse: Der Vater betrog die Mutter, war dem Alkohol nicht abgeneigt und misshandelte den Sohn. Nach der Schule begann Bukowski ein Journalismus-Studium, versuchte sich wenig erfolgreich als Schriftsteller und pendelte vor allem von Stadt zu Stadt und von einem Job zum anderen. 1952 arbeitete er für drei Jahre als Briefzusteller, begann 1954 nach einer beinahe tödlich verlaufenen Magenblutung, Gedichte zu schreiben und arbeitete ab 1858 wieder für die Post. Diese elf Jahre als Briefsortierer verarbeitete er in seinem ersten Roman „Post Office“ – auf deutsch: „Der Mann mit der Ledertasche“ – außerdem schrieb er wöchentliche Kolumnen für die alternative Zeitung „Open City“ – einige dieser Kurzgeschichten erschien später in den „Notes of a Dirty Old Man“. 1964 wurde er Vater einer Tochter, 1970 schmiss der den Job bei der Post hin und versuchte, von seiner literarischen Tätigkeit zu leben – dieses Vorhaben glückte u.a. durch eine regelmäßige finanzielle Zuwendung seines damaligen Verlegers John Martin. Seit 1978 – nach einer Ehe, zahlreichen Beziehungen und einer mehrere Jahre dauernden Affäre mit der Bildhauerin Linda King, welche er in dem Roman „Woman“ („Das Liebesleben der Hyäne“) nachzeichnete – lebte er mit Linda Lee Beighle zusammen. Rückblickend auf diese Jahrzehnte konstantierte Bukowski in seinen Tagebuchaufzeichnungen, dass ihre Bemühungen um seine Gesundheit ihm das Leben wohl um einige Jahre verlängert haben. Denn Bukowski war bekannt für seinen Lebensstil: Tage auf der Pferderannbahn, Alkoholexzesse, Prügeleien, Probleme mit der Polizei – sei es auf Grund von kleineren Diebstählen, einem Vollrausch oder auch heftigen Streitereien mit seinen Frauen, die besorgte Nachbarn auf den Plan riefen.

Neben diesen eigenen Erfahrungen verarbeitete Bukowski in seinen Texten das Leben abseits des amerikanischen Traumes. Seine Protagonisten, neben seinem Alter Ego Henry „Hank“ Chinaski, sind Kriminelle, Arbeitslose, Säufer, Obdachlose und Prostituierte. Seine Sprache verzichtet auf übermäßigen Schmuck – kurze Sätze und fehlender Reim sind die charakteristischen Merkmale seiner Lyrik – was seine Texten aber zu nichts minder Besonderem macht. Ein kurzes Gedicht, „Liebe“, soll dies verdeutlichen:

 

Liebe? sagte er – Gas / Küss mich zum letzten Mal / Küss meine Lippen  / Küss mein Haar / Meine Finger / Meine Augen meinen Verstand / Damit ich vergessen kann // Liebe? sagte er – Gas // Er hatte ein Zimmer im dritten Stock / War abgeblitzt bei einem Dutzend Frauen / Bei 35 Zeitschriften und / Einem halben Dutzend Arbeitsvermittlungen / Was aber nicht heißen soll, dass er / Ein verkanntes Genie war // Er drehte alle Gashähne auf / Und legte sich aufs Bett // Ein paar Stunden später / Steckte sich jemand / Auf dem Weg zu Zimmer 309 / Im Flur eine / Zigarre an // Das Sofa flog aus dem Fenster / Eine Wand fiel in sich zusammen / Wie nasser Sand / Und eine rote Stichflamme schoß /Zwanzig Meter in die Luft // Dep Typ im Bett /Tat es nicht mehr weh / Ihm War es egal / doch ich würde sagen / An diesem Tag / War er verdammt gut.

 

Ein zweites charakteristisches Merkmal: Bukowski ist derb, obszön und schreckt vor keiner Drastik in seinen Romanen, Kurzgeschichten und Gedichten zurück. Dies hat ihm nicht nur den Spitznamen „Dirty Old Man“ eingebracht, sondern auch zuweilen Ärger: In einem Text schildert der Erzähler die Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchens, was zu einem Aufschrei in den Medien und zum Aufwerfen einer grundlegenden Frage führte: Darf Literatur alles? Ein weiterer kurzer Auszug aus seiner Kurzgeschichte „Geburt, Leben und Tod einer Untergrundzeitung“:

 

Schließlich wurde ich reingerufen von einer sehr schwarzen und wohltuend geschmeidigen und gut angezogenen Negerin, die ziemliche Klasse hatte und sogar einen Hauch von Soul, und ihr Lächeln verriet, dass sie wusste, man würde mir einen reinwürgen, es lag aber auch so ne Andeutung darin, dass sie nicht abgeneigt wäre, mich mal ein bißchen an ihr Loch ranzulassen. Das änderte zwar nichts an der Situation, aber es half.

 

Ein dritter Aspekt, der hier nicht fehlen darf, ist sein Hang zum Komischen, zum zuweilen Absurden und nicht selten zum Ironischen. In seinen Tagebuchaufzeichnungen aus seinen letzten Jahren, die im deutschsprachigen Raum unter dem Titel „Den Göttern kommt das große Kotzen“ erschienen sind, reflektiert er unter anderem sein Leben, Literatur und den Tod auf herrlich selbstironische Weise. Zwei Auszüge müssen genügen:

 

Ich weiß, was sie spüren. Ich spüre es selbst. Die Wörter sind einfacher geworden, dabei wärmer und dunkler. Ich speise mich aus anderen Quellen. Die Nähe zum Tod verleiht Energie. Von der Kraft der Jugend bin ich zur Stärke des Alters gekommen. Es wird keine Zerfallserscheinungen geben. Jetzt entschuldigt mich, ich muss ins Bett. Es ist fast ein Uhr morgens. Ich rede mir die halbe Nacht um die Ohren. Lacht darüber, solange ihr noch könnt.

Ich habe den Eindruck, wir dringen nicht mehr so durch wie damals. Als hätten wir unsere Möglichkeiten verbraucht. Als hätten wir es nicht mehr drauf. […] Aber was ich so zu lesen bekomme . . . dieser antrainierte Stil; alles wirkt so routiniert. Vielleicht habe ich in all den Jahren zu viel gelesen. […] Die Lügen springen ins Auge, die clevere Politur ätzt . . . ich kann schon den nächsten Satz erraten, den ganzen Absatz . . . Da funkelt nichts, da knallt nichts raus, da wird nichts riskiert. Es ist ein Job, den sie gelernt haben wie das Reparieren eines tropfenden Wasserhahns.

 

Bukowskis spätere Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass autobiografische Züge meist nur noch in symbolischer Form sowie stark verfremdet begegnen. In seinem letzten Roman „Pulp“ (dt. „Ausgeträumt“), den er während seiner letzten Krebserkrankung verfasste, gerät der Privatdetektiv Nick Belane an einige eigenartige Klienten: der Tod, in Gestalt einer schönen Frau, beauftragt ihn, den vermeintlich toten Celine zu suchen; ein Beerdigungsunternehmer will, dass ihm Außerirdische vom Hals geschafft werden und ein Ehemann erhofft sich, seine Frau beim Seitensprung zu überraschen. Die Fälle löst Belane mehr oder minder gut. Der größte seiner Aufträge, ein roter Spatz, aber findet ihn am Ende selbst:

 

Ich muss wohl das Bewusstsein verloren haben. Als ich wieder zu mir kam, wusste ich, dass ich nicht mehr lange hatte. Ich verlor eine Menge Blut. Auf einmal war mir, als hörte ich Musik. Eine Musik, wie sie mir noch nie zu Ohren gekommen war. Und dann passierte es. Vor meinen Augen erschien etwas und nahm Gestalt an. Es war rot. Aber ein Rot , wie ich es noch nie gesehen hatte. Das war er also. DER RED SPARROW. Gigantisch. Strahlend. Schön. Noch nie hatte es einen gegeben, der so groß war, so real, so prachtvoll. Er stand vor mir, und plötzlich erschien neben ihm noch etwas. Lady Death. Die hatte auch nie schöner ausgesehen.

 

Als Bukowski im März 1994 starb, genoss er Kultstatus, mit diesem eng verbunden ist das Bild des saufenden und krakeelenden Genies, das er zu Lebzeiten gerne beförderte. Seine literarischen Werke sind aber weit mehr als das und entfalten eine ganz eigene Faszination. Und sie haben es verdient, im Kontext oben erwähnter Frage aufzutauchen. Und wenn nur das eintritt, was über ihn oft gesagt wurde: „Der in den USA vielleicht nicht berühmteste, doch in allen Buchläden meist geklaute Autor.“

 

 

Zitate und Textauszüge wurden folgenden Veröffentlichungen entnommen (in Reihenfolge ihres Auftauchens):

  • Spiegel vom 16.01.2006; Gundolf S. Freyermuth: Die Kunst des Verlierens.
  • Spiegel vom 25.11.1996: Heilige Säufer.
  • Charles Bukowski: Liebe, in: Flinke Killer. dtv 2000.
  • Charles Bukowski: Geburt, Leben und Tod einer Untergrundzeitung, in: Kaputt in Hollywood. Fischer Taschenbuch Verlag 2001.
  • Charles Bukowski: Den Göttern kommt das große Kotzen. Kiepenheuer & Witsch 2008.
  • Charles Bukowski: Ausgeträumt. dtv 1997.

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