Mit dem Duo Vernon and Jewel feierte der Soulsänger Vernon Garrett in den 60er Jahren seine ersten Erfolge. Doch nach dem Krebstod seiner Gesangspartnerin und Frau Jewel dauerte es einige Zeit, bis er musikalisch wieder Fuß fassen konnte. Mit „The Story of Vernon Garrett“ (VÖ.: 25. Mai 2012) zeichnet Tramp Records den Beginn seiner Solokarriere nach, die ihn später zu Labels wie Ichiban Records führte.
Dass die Anfänge eines Sängers im Kirchenchor liegen, entspricht so vielen Biografien, dass es schon fast ein notwendiges Klischee darstellt. Doch selten bekommt man die Geschichte so ausführlich geschildert wie im Booklet zu Tramp Records neuester Ausgrabung in Sachen Geschichte von Soul und Funk. Wie der zuständige Diakon zum Begin der wöchentlichen Sonntagsschule fragt, wer denn gerne ein Lied singen möchte und außer Vernon Garrett alle verschämt verstummen. Das erinnert mich an meine Kinderzeit. Doch der junge Garrett hatte den Mut und meldete sich jede Woche wieder.
Für Garrett war so der Weg zur ersten Gospelgruppe mit 15 Jahren vorgezeichnet. Danach stieg er bei den Southern Wonders ein und später bei den Swan Silvertones, die unter anderem im Vorprogramm der Soul Stirrers auftraten. Doch vor dem wirklichen Erfolg wurde der Sänger erstmal zum Militärdienst gezogen. Es war die Zeit des Koreakrieges und Garrett diente an Bord der USS Sarsfield. Als er zurück kam, da hatten Sänger wie Sam Cooke den Schritt aus der Kirche gewagt und den Weg in die Popmusik geebnet. Garrett stieg zunächst bei der Gesangsgruppe The Mixers ein. Doch als die sich nicht dazu entschließen konnten, den Erfolg in Kalifornien zu suchen, ging er allein nach Los Angeles, wo im Club von Johnny Otis die wichtigste Talentshow der Region lief. Gleich beim ersten Anlauf der erste Sieg, später sang wieder in verschiedenen Gruppen. Dann traf er Sängerin Jewel, mit der er bald einen festen Job in einem Club in Compton hatte und auch einen Plattenvertrag. Doch das ist ein anderer Teil der Geschichte von Vernon Garrett. Nach Jewels Tod wollte er zunächst nichts mehr mit Musik zu tun haben.
Doch dann begann er doch wieder zu singen. Zunächst nahm er für Kent Records und dann später für die verschiedensten Kleinstlabel auf: Soul und Funk ganz im Stile von James Brown. Zuweilen hart, aber immer voller Gefühl. Nicht so kompromisslos wie Brown und längst nicht so erfolgreich. Doch all diese Nummern, die mehr als die Hälfte des Albums von Tramp Record ausmachen, sind bemerkenswert und eingängig. Warum nie jemand sie bislang auf Platte oder CD wiederveröffentlicht hat, ist nicht nachzuvollziehen. Dass Tobias Kirmayer dem nicht widerstehen konnte, leuchtet sofort ein. Und wie auch schon bei der Geschichte der Soul Brothers Inc. ist auch hier wieder das Album mehr als die Musik, wird einem quasi eine höchst tanzbare Geschichtslektion erteilt.
Wobei Garrets Geschichte 1975 beileibe nicht zu Ende war. Vielmehr begann sein eigentlicher (und in gewisser Weise bis heute dauernder) Erfolg als Solosänger gerade dann mit der Single „I’m at the Crossroad“, der zum größten Erfolg seiner Karriere wurde. Später dann ging er wie etwa auch Johnnie Guitar Watson zu Ichiban Records und sorgte dafür, dass die nicht vollständig als Hiphop-Label in Erinnerung blieben. Und heute wohnt Garrett wieder in Dallas und nimmt immer noch Platten auf. „When an idea comes to me I’ll write a song, so I’m looking forward to a few more years in the recording business.“
Ob man davon auch bei Tramp Records demnächst wird klingende Beispiele finden wird? Ich selbst würde das begrüßen, wenn die Songs denn so gut sind, wie diejenigen auf „The Story of Vernon Garrett“.