Michael Muhammad Knight – Taqwacore. Eine Rezension von Ole Schwabe
Michael Muhammad Knight: Taqwacore
Erscheint als HardcoverPlus – Buch und E-Book in einem
Verlag Rogner & Bernhard. Erhältlich bei Zweitausendeins
306 Seiten
Euro € 19,95
ISBN 978-3-95403-000-2
Yaki, Anfang zwanzig und wohlerzogen, studiert Ingenieurswissenschaften in Buffalo. Anders als seine Komilitonen wohnt er nicht im Studentenwohnheim, sonder in einer WG. Eine Entscheidung, die seine Eltern beruhigt, schließlich herrschen auf dem Campus fürchterliche Zustände für einen jungen Muslim. Dass ihr Sprößling ausgerechnet inmitten seiner Glaubensbrüder im Epizentrum eines religiös-revolutionären Erdbebens lebt, können sie nicht ahnen.
Kurzum: Es geht um eine junge Frau, sechs Männer und ihre Liebe zu Allah, Punkmusik, Kiffen, zu vorehelichem Sex und hemmungslosem Trinken. Und um die Frage, bis wann man eigentlich ein guter Muslim ist.
»Es ist so, als würde ein NASCAR-Fahrer bei einem Tempo von 500 Stundenkilometern frontal gegen die Kaaba krachen.«
»Okay.«
»Unaufhaltsame Kraft trifft auf unbewegliches Objekt.«
Da ist zum Einen Amazing Ayyub, impulsiv, ohne Arbeit und Geld, permanent auf der Suche nach Frauen und Spaß. Oder Fasiq, der nur in seltenen Momenten nicht mit dem Koran auf dem Schoß und dem Joint in der Hand auf dem Dach vor dem Badezimmerfenster abhängt. Dabei meist an seiner Seite: Jehangir, der weitgereiste Freidenker und exzessiv trinkende Philosoph, dessen Nähe zu Allah sich in theologischen Monologen im Vollsuff oder legendären Boardslides auf dem Geländer des örtlichen Museumsplatzes ausdrückt. Daneben Rude Dawud, der Rastaman aus dem Sudan, der coole Typ von nebenan. Rabeya, stets in ihren mit Bandaufnähren geschmückten Ganzkörperschleier gehüllt, ist einzige Frau im Haus und angehalten, lediglich die Hintertür zu benutzen. Sie singt wilde Interpretationen von Iggy Pop‘s „Nazi-Girlfriend“ und nimmt bei Diskussionen kein Blatt vor ihren voll verschleierten Mund. Sie ist Punk: selbstbewusst, individuell, spontan, klug, aufmüpfig.
Das Bild war komplett: Ein Punkrocker mit einem zionistischen T-Shirt und einem Budweiser in der Hand kriegt von einem Mädchen in einer Burka einen geblasen, während zweihundert besoffene Punks dabei zuschauen.
Komplettiert wird das Bild durch Umar, den martialischen Fanatiker voll religiösem Jähzorn. Neben Drogen, Sex und Alkohol kann man in seinem Weltbild durchaus auch darüber diskutieren, ob Saiteninstrumente, Tee oder eine WG mit einer Frau grundsätzlich haram, sprich verboten sind. Wenn die andere auf den religiösen Grenzen pogen, ausgesetzte Hunde anschleppen oder in seinem Bett Zina, den außerehelichen Verkehr ausleben, prügelt er die Betreffenden schonmal aus dem Haus.
Ich konnte sie mir alle so gut vorstellen, jeden einzelnen in seinem üblichen Outfit: Nieten, Iros, Burkas, Aufnäher, Tattoos, Sonnenbrillen, Pork-Pie-Hüte, Kapuzenpullis. Und dann gab es noch mich. Wo zum Teufel war mein Platz in diesem Zoo?
Genau dies ist eigentliche Frage dieses Romans: Wo gehört eigentlich das heftig verklemmte und unterbewusst unglückliche Bürschchen aus gutem Haus hin? Inmitten seiner extrovertierten, überdrehten, lauten und unglücklich durch die Gesellschaft schlingernden Freunde ist Ich-Erzähler Yaki mit Abstand der Ruhigste, trotz seines zukunftsweisenden Studiums der Ingenieurswissenschaften allerdings auch der Orientierungsloseste.
Auch wenn ich nie irgendetwas tat, um die Gruppe zu unterhalten, kam ich mir mit ihnen zusammen so vor, als sei ich einer von den coolen Typen.
Seine zähe Entwicklung innerhalb der Handlung ist vorhersehbar, nicht spannend. Das hemmunglose Gekiffe, Geficke und Gesaufe seiner Freunde, die verbohrte Religiösität des Hardliners Umar, Witz und Selbstreflektion der voll verschleierten Rabeya – all das arbeitet die Mittelmäßigkeit, die Profillosigkeit, die Verlorenheit des Yaki deutlich heraus.
„Ich ging zurück zu Dawuds Zimmer, öffnete die Tür und stand verlegen da, während ich zusah, wie sie rauchten und lachten.“
Für alle Protagonisten geht um Identität, um sie Suche nach dem eigenen Platz in einer saturierten, verfallenden Gesellschaft der vermeintlich hunderttausend Möglichkeiten. Islam und Punk faszinieren durch ihre Spiritualität und Energie, bei gleichzeitig verfettendem Dogmatismus und Korinthenkackerei. Wieso also nicht beide kombinieren und auf das Konventionelle, das Einengende scheißen?
»Da sind all die armen Kids, die denken, sie sind minderwertig, weil sie ihre zwei Fadschr, ihre vier Zuhr, vier Asr, drei Maghrib, vier Ischa, ihre scheiß Sunna, ihr Witr, ihr Nafl nicht schaffen, sie tragen keine Strümpfe aus Leder und sie putzen sich die Zähne nicht mit Zweigen, sie haben keine Bärte, sie tragen nicht den Hidschab, vielleicht sind sie zu ihren scheiß Highschool-Feiern gegangen und die einzige Moschee in der Nähe war eine ganz normale, poplige Takbir-Moschee und sie mussten so tun, als würden sie alles richtig machen, sich so den Arsch abwischen, wie Bukhari es vorschreibt, und das richtige Du’a machen – also, ich sage, scheiß drauf und das ganze Haus hier sagt scheiß drauf.
Allerdings ist es wie überall: Sobald Dinge einen Namen haben, ziehen Menschen automatisch Grenzen, welche aufzeigen sollen, bis wohin sich Erscheinungsformen noch unter den erdachten Überbegriff subsumieren lassen. Was ist also noch normal für einen Punk? Wie muss ein guter Muslim leben? Die Kehrseite der freien Auslegung schützender Bergriffsmauern: Alles ist unter jedem Überbegriff möglich, Punk und muslimischer Glauben lösen sich im Meer der Vielfalt, in den beliebigen Fluten des freien Lebens auf. Alles und alle sind irgendwie zu krass, zu überdreht, reizüberflutet aber frei. Die so erhoffte Sicherheit und Führung bleibt aus, schon wieder kann jeder alles tun und lassen, so sein wie er wirklich sein will. Genau in dieser Zwickmühle befinden sich, freilich ohne dies so zu benennen, die meisten der auftretenden Personen.
»Weißt du, was mit Künstlern passiert, wenn sie sterben?«, fragte Ayyub.
»Was denn?«, antwortete Fasiq.
»Wenn du Lebewesen malst oder zeichnest, dann sagt Allah, wenn du gestorben bist: ›Bring deine Geschöpfe zum Leben, wenn du kannst‹, und natürlich kannst du es nicht, also bringt Allah sie zum Leben und dann quälen sie dich für immer.«
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte Fasiq.
»Denk mal drüber nach«, sagte Ayyub. »Es ist krass, Mann. Diese Typen, die die Looney Tunes gemacht haben, die werden von Bugs Bunny und Daffy Duck verbrannt, erstochen und ausgepeitscht.«
»Darüber steht nichts im Koran«, entgegnete Fasiq.
»Es steht in den Hadithen«, sagte Ayyub.
»Jeder Scheiß steht in den Hadithen!«, schrie Fasiq. »Du kannst einen Hadith finden, in dem steht, dass Mohammed Kiefernzapfen als Dildos benutzt hat.«
»In Arabien gab es keine Kiefern«, sagte Ayyub.
»Leck mich!«, sagte Fasiq.
Passagen wie diese zählen zu den wenigen Stellen, an denen Knight die Verdichtung der gegensätzlichen Zutaten tatsächlich bis zur Komik treibt. Knight geht es nicht um Leselust generierende Lacher auf jeder zweiten Seiten, nicht darum, seine Spannungsfelder „Punk“ und „Islam“ zum Vergnügen einer westlichen Bestsellerleserschaft zu verheizen. „Taqwacore“ liesst sich über weite Strecken unprätentiös bis langweilig, plätschert ohne Spannungsbogen oder abwechslungsreiche Erzählperspektiven dahin. Ein Buch, das wie seine Akteure im Sonnenlicht kiffend auf dem Hausdach fläzt und dem System in genau diesem Moment den prächtigsten aller Mittelfinger entgegenreckt. Dennoch gibt es sie, die wilderen Passagen. Diese aber leben in ihrer Aufrichtigkeit genau das, was man in der Rap-Musik, im besten Fall ja auch Punk, als „Realness“ anerkennt: Sie wirken auf den Leser wild und bekloppt, weil sie es sind. Nicht weil sie es sein wollen, nicht weil ihr Autor der Popkulturindustrie in den dollargrünen Arsch kriechen möchte. Michael Muhammed Knight geht es nicht um die Provokation oder das Aufscheuchen gackernder Spießer in Religion und Gesellschaft, sondern um eine eigene, emotionale Auseinandersetzung mit prägenden Stationen und Inhalten seines jungen Lebens.
Dieser subjektive Trieb bindet weite Teile der literarischen und sprachlichen Sprengkraft. „Taqwacore“ ist ein stetig glimmender Leuchtturm der Orientierung für zwischen Ideologien und Dogmatismen eingequetschte junge Menschen. Es ist kein Buschfeuer, kein glühendes Aufflammen im rauschenden Blätterwald. Seine Eindringlichkeit schlummert in den leisen Tönen.
»Ich glaube, es geht nur darum, hässlich zu sein.« Ich lachte, dann wurde mir klar, dass er es ernst meinte. »Darum kannst du kein Punk sein«, fuhr er fort. »Du siehst gut aus, du ziehst dich gut an und du wirst mal ein großartiger Ingenieur sein.« Ich fand, dass Jehangir Tabari eigentlich ein wirklich attraktiver junger Mann war, auch wenn er sich mit seinem Iro und seiner Kluft absichtlich hässlich machte. Falls er jemals in einer Emo-Pop-Band wie New Found Glory singen wollte, hatte er das Gesicht dazu, aber er fluchte zu viel und hatte sich nie die Zähne richten lassen – um die echten Punks ausfindig zu machen, bräuchte man nur auf ihre Zähne zu achten, sagte er immer. »Aber ja, Mann … ich glaube, darum geht es … hässlich zu sein …« »Was sind dann die Taqwacores? Hässliche Muslime?« »So ungefähr.«
Die Minutiösität der Auseinandersetzung lässt die inneren Kämpfe des Michael Muhammed Knight erahnen. Erst im letzten Drittel der gut zweihundert Seiten gewinnt die Handlung etwas an Fahrt, Weltenbummler Jehangir lädt all seine Taqwacore-Lieblingsbands aus Kalifornien ein und das ohnehin schon zugemüllte Haus platzt für einige Tage aus allen Nähte. Die Anwesenheit von Gruppen wie Osama bin Laden‘s Tunnel Diggers, Vote Hezbollah oder Burning Books for Cat Stevens prägen die Szenerie und Bewohner auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Punk ist gegen alles. Der Sänger von Vote Hezbollah pinkelte auf einen Koran. Das kam gut an. Dann nahm er die heilige Schrift, schüttelte ein paar Tropfen ab, blätterte die dünnen feuchten Seiten vorsichtig um und rezitierte die Sure Ya Sin mit absoluter Ernsthaftigkeit. Irgendwie ergab das alles einen Sinn.
Eine Sinn ergibt auch das Ende des Buchs, wenn es auch ein klassischer und vorhersehbaren ist. Provokation und sprengende Grenzen lassen das von Organisator Jehangir bewusst vielseitig gehaltene Gemenge aus Zügellosen und Traditionalisten letztendlich explodieren.
Rabeya stand auf und drehte sich zu den Zuschauern um. Sie hob den Niqab an – wieder konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, doch die anderen schon – und spuckte mit einer ruckartigen Kopfbewegung in die Menge. Weiße Spermafäden flogen wie argentinische Bolas durch die Luft […].
Michael Muhammed Knight hat mit „Taqwacore“ vor rund zehn Jahren ein Buch geschrieben, welches heute dringender denn je gelsen werden sollte. Nicht wegen seiner Sprache oder Spannung, wohl aber wegen der Innbrunst und Liebe, mit der sich junge Menschen hier an ihren religiösen Gefühlen abarbeiten. Heranwachsende Gläubige, die das ihnen eingebleute „Opium fürs Volk“ anarchisch hinterfragen. Knight gelingt es durch seinen Roman außerdem, die durch Massenmedien und deren plakative Effekthascherei verblendeten, zu erden. Leset zum Abschluss also des Dichters weise Worte, ausgesprochen von Jehangir und gerichtet an die Gläubigen dieser Welt.
»Die Leute sind so unentspannt und emotional, was Religion betrifft, und nehmen das alles so ernst, manchmal braucht man da einen Punk, der sagt: ›Scheiß auf euch, scheiß auf euch, scheiß auf euch und auf alles, wofür ihr steht, ihr seid so voller Scheiße und ihr habt Sperma in den Haaren.‹ Niemand sollte sich einbilden, er sei etwas Besseres.«