Der Roman „Fegefeuer“ von Sofi Oksanen beschreibt die tragische Geschichte der alten, in Estland lebenden, Bäuerin Aliide Tru, welche eines Tages ein „Bündel“ in ihrem Garten entdeckt. Das „Bündel“ stellt sich als Mensch heraus, genauer gesagt, als die russische Prostituierte Zara, die trotz der anfänglichen Skepsis von der alten Frau aufgenommen wird.Schnell stellt sich heraus, dass Zara nicht zufällig bei der alten Bäuerin gelandet ist, diese könnte nämlich die Schwester ihrer Großmutter sein.
Mit der Zeit lernen die beiden Frauen sich einander anzuvertrauen und geben immer mehr Details über ihre Vergangenheit preis, wobei schlussendlich auch Aliides dunkles und bislang gut gehegtes Geheimnis zu Tage gefördert wird.Thematisch knüpft Oksanen dabei an ihren ersten Roman, Stalinin lehmät, an. Allerdings spielt die wenige Tage dauernde Rahmenhandlung im Jahr 1992, kurz nach der Unabhängigkeit Estlands, und damit näher an der Gegenwart, als das Erstlingswerk. Dabei kombiniert der Roman durch geschickte Rückblenden Vergangenheit und Gegenwart und spiegelt das Leiden zweier Frauen und derer Familien von der Zeit von 1936 bis zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa wider. Detailliert wird geschildert, wie die Frauen ihre schreckliche Vergangenheit, Besatzung, Kollaboration, Folter, Menschenhandel und Prostitution erlebt haben und was es aus ihnen gemacht hat. Die Frauen sind allerdings keine einfachen Opfer, denn auch sie sind nicht ohne Schuld geblieben. Sofi Oksanen beschreibt diese Schrecken durch die Nutzung unterschiedlichster Textsorten, wie Tagebuchexzerpte, KGB-Akten und die Berichte über die Kriegsexzesse im ehemaligen Jugoslawien der Journalistin Slavenka Drakulic, die sie in ihre Geschichte einwebt.Die Passagen sind dabei, wie Fragmente mit wechselnder Erzählperspektive aneinandergelegt und ergeben so ein einzigartiges Mosaik, welche teilweise die Wirren der Zeit wiedergibt.
Im Roman werden die Szenen und Charakter plastisch und dicht beschrieben, was nicht zuletzt daran liegen könnte, dass der Roman auf dem gleichnamigen Theaterstück von ihr beruht, mit welchem sie 2007 den Durchbruch auf nationaler Ebene schaffte.
Der Originaltitel des Romans lautet Pudhistus, was so viel wie Reinigung bedeutet, wovon der Titel Fegefeuer leider nicht alles retten kann. Trotzdem ist die Übersetzung aus dem Finnischen von Angela Plöge, soweit ich es beurteilen kann, gut gelungen und sehr solide. Zusammengefasst kann man sagen, dass der Roman Fegefeuer von Sofi Oksanen nicht zu der Kategorie leichte Bettlektüre zählt, sondern eher zu den tiefgründigeren aber trotzdem sehr spannenden und unterhaltsamen Geschichten, welche sich sehr positiv vom populären Einheitsbrei unserer Zeit abheben. Und auch wenn die männlichen Charaktere zum Teil etwas flach sind, so ist dies trotzdem kein Roman ausschließlich für Frauen. Auch Männer werden ihre Freude mit der Geschichte von Verrat, Sadismus, Machtgier und über die Abgründe des Grauens haben.
Dass ich mit dieser Meinung nicht ganz allein bin, zeigen auch die vielen positiven Kritiken. Die Frankfurter Rundschau zum Beispiel schrieb: “Ein kühner, grandios geschriebener Roman zur rechten Zeit“, der Kultur Spiegel steigerte dies sogar mit dem Kommentar, dass der Roman spannend, bewegend, kraftvoll und originär sei. Dies wurde allerdings noch getoppt von der NZZ, der Neuen Züricher Zeitung, jene lies verlauten: „Der neue Stern am nordischen Literaturhimmel heißt Sofi Oksanen“
Der Roman ist in mehr als 25 Ländern erschienen und vielfach ausgezeichnet worden. Unter anderem auch mit dem Literaturpreis des nordischen Rates, dem Finlandia Preis und dem Runeberg-Preis. Damit ist Fegefeuer das bisher einzige Werk, das in Finnland sowohl mit dem Finlandia- als auch mit dem Runeberg-Preis ausgezeichnet wurde. Außerdem ist Oksanen die jüngste Autorin, die einen dieser beiden Preise gewonnen hat und schließlich ist sie auch die erste ausländische Autorin, der der Prix du Roman FNAC zugesprochen wurde.
Der Roman wird nach einem Drehbuch von Marko Leino verfilmt und soll es noch im Jahr 2012 auf die große Leinwand schaffen.
Sofi Oksanen – Fegefeuer
Taschenbuch: 400 Seiten
- Verlag: btb Verlag
- ISBN-10: 3442742129
- ISBN-13: 978-3442742127
- EUR 9,99