BlaupunktRadio1954Letztens rief mein Chef an, ob ich denn ab und zu Radio höre. Nicht bei der Arbeit, so meine Antwort. Das ist schlecht, meinte er. Ich sparte meinen Kommentar, denn ihm ging’s nicht um das Radiohören als solches, sondern um die Wahrnehmung der aktuellen Nachrichten.

Da hatte er natürlich recht – wenn man die aktuelle Lage im Blick behalten will als Nachrichtenjournalist, müsste man eigentlich den lokalen Rundfunk anhören. Aber ich bin dazu physisch und psychisch nicht in der Lage. Die Musikauswahl und die Moderationen machen mich krank. Und sie machen mich traurig. Denn eigentlich war ich mal ein Extremhörer. Aber das ist schon paar Jahrzehnte her. Und heute könnte das, was ich an Erinnerungen habe, von manchen schon als Märchen aufgefasst werden.

Es war einmal (1982, um genau zu sein), da hatte ich das Geld für mein erstes Radiogerät zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt galt: Die Oberhoheit über das Gerät im Wohnzimmer haben die Eltern. Und nur, wenn sie nicht in der Nähe waren, durfte man sich den Sender seiner Wahl suchen. Aber ansonsten: Finger weg! Der Deutschlandfunk durfte auf Mittelwelle schon gar nicht verstellt werden. Und annehmbare Musik in Gegenwart der Eltern war Klassik.

Aber dann – ein Radio in meinem Zimmer. Und plötzlich war die Welt eine andere. Tage und Wochen bekamen eine neue Struktur. Nachmittags etwa musste man damals einfach Bayern 3 einschalten. Weil da Herr Gottschalk seine Sendung hatte (ja, Mr Wetten das persönlich! – ne damals hatte ja noch jemand anderes diesen Job) . Und der stellte Musik vor, erzählte dazu, lud Gäste ein. Stunden voller Musik. Und am Montagabend musste man dann auf RIAS wechseln. Dort gab’s die Schlager der Woche mit Lord Knut (ehemals bei den Lords als Musiker aktiv) – einer der schrägsten Typen der Rundfunkgeschichte. Und es gab abende, da hörte ich Rock’n’Roll oder Swing. Für alles gab es Sender, Sendungen und Moderatoren, die einem ihre Liebe zu bestimmten Richtungen nahe bringen konnten.

Dann kam der Umzug in diverse Täler und Ebenen der Ahnungslosen – erst Moritzburg bei Dresden und später Greifswald. Nichts war’s mehr mit der westlichen Sendervielfalt. Aber dafür lernte man über dt64 ganz andere Musik kennen: von Metal über Punk bis hin zum Techno hatten alle Stile ihre eigenen Sendungen. Und auch wenn man die Musik nicht mochte, hielten einen die Moderatoren doch bei der Stange. Marusha etwa – bevor sie somewhere over the rainbow der Hitparaden verschwand.

Dann kam die Wende und dt64 verschwand letztlich aus den Radios im Norden. Und damit begann meine Rundfunkabstinenz.Denn ob öffentlich-rechtlich oder privat: Alle Sender hatten sich verschworen, nur noch die gleiche computergenerierte Einheitssauce zu servieren. Und wenn die Moderatoren nicht abgeschafft wurden, dann waren sie nur noch Aufsager und Witzereißer, die mit dem Musikprogramm nichts mehr zu tun hatten. Nur noch ein paar Oasen (oder gallische Dörfer) wehren sich gegen diesen Trend. Deutschlandradio etwa oder Radio Eins. Aber ansonsten: Good Bye, Radio Days… oder: Das Radio ist tot.

Zeit für eine Totenrede? Nein, zum Glück nicht. Denn es gibt ja schließlich das Internet. Erst letzte Woche stieß ich auf eine Seite von jemandem, der aus Liebe zum Radio seine eigene Sendung macht: Radio Bingen ist ein monatlicher Podcast – oder seien wir deutlich: eine monatliche Radiosendung mit handverlesener Musik und guten Moderationen. Da das Radiomachen bei Verwendung geschützter Musik natürlich teuer wäre, konzentriert sich Peter allerdings auf GEMA-freie Werke. Und davon gibt’s ja zum Glück genügend für jeden Musikgeschmack. In der aktuellen Sendung stellt er etwa die Hamburger Kitchen Cowboys vor oder die auch hier schon gebührend gefeierte Band Elle Lefant. Bin schon gespannt, was in vier Wochen aus Bingen zu hören ist.

QuantcastUnd noch ein Grund, das Trauern gar nicht erst anzufangen: Wenn alles so läuft wie geplant, kann man den Bluespfaffen ab Herbst regelmäßig im Radio hören. Beim hiesigen Sender 98eins soll im Oktober eine Bluessendung starten. Alle zwei Wochen sollen dann Neuerscheinungen und Klassiker aus Blues und Soul und den Randgebieten vorgestellt werden. Ich bin sehr gespannt und sortiere schon die Titel für die Probesendung, die demnächst produziert werden soll. Wir halten Euch auf dem Laufenden.

PS.: In der Probesendung soll unter anderem auch australischer Blues zu hören sein. Deshalb gibt’s hier auch Musik von Adam Hole and Marji Curran Band.