Predigt vom 16. März 2008 von Raimund Text: Johannes 13, 1-15 (34-35)
Ihr Lieben,

ich weiß nicht, wie Euch das gehen würde, wenn ich jetzt mit einer Schüssel Wasser herum gehen würde, um Euch die Füße zu waschen. Ich selbst hätte meine argen Probleme damit, wenn jemand dies bei mir machen wollte. Das geht mir ein ganzes Stück zu nahe, wird zu persönlich.

 

13,1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, daß seine Stunde gekommen war, daß er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.
13,2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,
13,3 Jesus aber wußte, daß ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und daß er von Gott gekommen war und zu Gott ging,
13,4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
13,5 Danach goß er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
13,6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?
13,7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.
13,8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.
13,9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!
13,10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als daß ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.
13,11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
13,12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wißt ihr, was ich euch getan habe?
13,13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch.
13,14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
13,15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
13,34 Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.
13,35 Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.

Nur der Evangelist Johannes berichtet von dieser Begebenheit aus dem Leben Jesu kurz vor Ostern. Nach dem gemeinsamen Mahl wechselt der Meister seine Kleider und wäscht seinen Jüngern die Füße. Das ist für alle eine ungewöhnliche und überraschende Tat. Der Meister dient seinen Schülern – und nicht umgekehrt. Was sonst die Schüler ihrem Lehrmeister, die Diener für ihren Herrn zu leisten haben, was zu ihren ureigensten Pflichten gehört, vollzieht beim letzten Mahl Jesus Christus selbst. Er tut dies ohne vorherige Ankündigung, ohne Worte, eher schweigend, aber bestimmt.

Es ist rührend und bewegend zu hören, wie Jesus den Jüngern die Füße wäscht, fast zu intim und demütigend! Man versteht sehr gut die Reaktion des Petrus – Herr, wäschst du mir die Füße? Nein, nie und nimmer sollst du mir die Füße waschen!

Ein jeder, der selbst erfahren hat, wie das ist, wenn man so hilflos ist, dass andere einen waschen müssen, kann sich ausgezeichnet in die Reaktion des Petrus versetzen. Es ist demütigend!
„Unerhört! So geht das nicht!“ fällt Petrus ein. „ Das ist nicht richtig. Der, der mit unserem Vater besonders verbunden ist, der uns lehrt und unterweist, zu dem wir aufblicken und der über uns steht, wie wir meinen, dieser Jesus wäscht uns die Füße. Das können, nein, das wollen wir nicht zulassen – er darf sich nicht sich erniedrigen und demütigen, soll uns nicht dienen. Wir haben zu dienen, wir haben es für ihn zu tun. Und wir hätten und müßten…..“
Damals war die Aufgabe, den Gästen die staubigen Füße zu waschen, dazu noch etwas, was man dem jüngsten Sklaven überließ.

Vielleicht ist Petrus' Nein, von Jesus die Füße gewaschen zu bekommen, auch ein Versuch, sich gegen die tiefere Bedeutung der Fußwaschung zu wehren. Dass er sehr wohl weiß, dass man sich nicht selbst rein waschen kann – im übertragenen Sinne, von Sünde und Schuld! Das ist etwas, was man von anderen empfangen muss – demütig und dankbar. Und es ist ja nie angenehm, dass es etwas gibt, was man nicht selbst gut tun kann.
Was ist es nämlich, das einen Menschen rein machen kann? Jedenfalls nicht unsere eigenen Entschuldigungen, sondern gerade einzig die Vergebung und Nachsicht anderer.

Aber am letzten Abend, als Jesus noch lebte, kniete er also nieder, nahm ein Handtuch um den Leib und wusch den Jüngern die Füße – wie ein Sklave. Es ist eine Umkehrung der Verhältnisse. Jesus macht sich freiwillig zum niedrigsten Diener seiner Freunde. Und er setzt damit ein Beispiel: Auch bei Euch darf es nicht darum gehen, sich irgendeinen Status zu erringen, einen ausgezeichneten Ruf oder was auch immer: Entscheidend ist, dass Ihr den anderen Menschen dient, dass ihr euch für sie völlig engagiert.

Und – das ist dann die andere Seite: Die Jünger und so auch wir gehören in eine Gemeinschaft. Eine echte Gemeinschaft, in der man nicht nach Schluss des Gottesdienstes wieder auseinander rennt. Eine Gemeinschaft, in der man mit allen Schwächen und Stärken zusammen gehört. Und in der man einander immer wieder vergibt, den anderen symbolisch gesprochen von seinen Fehlern rein zu waschen bereit ist.

So ist Vergebung, die uns die Unbefangeheit gibt, das Leben zu leben, in dem niemand umgehen kann, schuldig zu werden, wenn anders wir die Verantwortung auf uns nehmen, die darin besteht, Mensch zu sein.
Und dann nahmen die Ereignisse ihren Lauf – in der Nacht zwischen Gründonnerstag und Karfreitag.
Judas verließ sie, um wie verabredet Jesu Feinden Bescheid zu geben, wo sie ihn gefangen nehmen könnten. Das geschah im Garten Gethsemane im Schutze der Nacht.

Dort gab er Jesus den verräterischen Kuss, so dass ein Judaskuss seitdem das Erbärmlichste von allem bezeichnet hat: einen Freund zu verraten mit Hilfe einer eigentlich liebevollen Geste.
Man kann es nicht lassen, darüber nachzudenken, wer Judas im Grunde gewesen ist und warum er Jesus verriet.
Er war einer der Jünger Jesu gewesen, einer der Vertrauten Jesu. Warum verriet er ihn? Judas Iskariot hieß er – und er war Sikarier – Mitglied der extremen Widerstandsbewegung, die hoffte, dass Jesus der politische Messias sein würde, der sich an die Spitze eines Aufstandes gegen die Römer stellen würde.
Hoffte Judas, dass er, wenn er Jesus an die Feinde verraten würde, ihn zu einem solchen Aufstand provozieren könnte?

Oder verriet Judas ihn aus Enttäuschung? Weil er jetzt eingesehen hatte, dass Jesus eben nicht der starke Mann war? Oder ist Judas in Wirklichkeit etwas ganz anderes – ist er im Grunde ein Held und kein Schurke?
Das hat man diskutiert, nachdem eine Handschrift aufgetaucht ist, die man Judasevangelium nennt. Sie soll aus dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammen. Und etwas von der Geschichte enthalten, die wir aus den 4 anderen Evangelien kennen: dass Jesus gefangen genommen wurde und dass Judas Geld dafür bekommen hatte, dass er ihn an die Römer auszulieferte. Aber das Interessante ist, dass Judas hier nicht als ein verräterischer Schurke dargestellt wird, sondern ganz im Gegenteil als ein Held. Er führt faktisch den Willen Gottes aus. Ohne den Verrat des Judas kein Kreuz und kein Tod und keine Auferstehung. So sollte es das Verdienst des Judas sein, das Heil durchzuführen.

Judas sollte derjenige sein, der Einsicht in das Geheimnis des Heils hatte und deshalb wusste, dass es notwendig war, dass Jesus starb, um die Menschheit zu erlösen. Nicht zuletzt, weil Jesus zu sterben wünschte. Er wünschte, dass sein Geist befreit werden könnte aus dem armseligen Dasein in einem Menschenleib.
So wird Judas plötzlich zu dem, der das Richtige getan hat, zu einem Helden, und er ist kein Verräter.
Dieser Gedanke findet sich nun bereits im NT. Die Evangelisten beschreiben Judas ja gerade als Gottes Werkzeug – als den, der faktisch nötig war, damit das Heil und die Versöhnung verwirklicht werden konnten – und zugleich als Verräter.

In hinlänglichem Abstand von dem ersten Ostern – nach Kreuz und Tod und Auferstehung – kann man zurückblicken und sagen, dass Judas notwendig war – sein Verrat war erforderlich, denn sonst wäre das Heil nicht zu seinem Ende geführt worden.

Aber das ist absolut nicht dasselbe, wie ihn zum Helden zu machen.

Judas ist und bleibt der Verräter, wie Petrus der kleine und ängstliche, der versagt, ist und bleibt. Ein Judas und ein Petrus können nie Helden genannt werden. Sie werden allezeit Bilder des kleinen und verräterischen Menschen sein.
Und das ist es, was sie für uns heute noch begreifbar macht: Da sind Schwächlinge, keine Helden. Da sind Menschen – keine Halb- oder Viertelgötter. Da sind Typen mit schmutzigen Füßen und fleckigen Westen. So wie auch wir sind. Und deshalb können und sollen wir Jesus nachfolgen – so wie diese Feiglinge und Verräter, die immer wieder neu zu ihm zurück gekommen sind.

Amen.