Predigt vom 14. Oktober 2007 von Raimund über Brief an die Epheser 4, 22-32

 

Ihr Lieben,

erinnert Ihr Euch? In einer meiner ersten Predigten im Kontorkeller hab ich Euch als alte Gänse bezeichnet. Damit wollte ich Euch eigentlich ermuntern, Euch in Bewegung zu setzen. Nicht zuhören und schnattern, sondern zuhören und losfliegen. Am liebsten würde ich die Predigt heute einfach wieder halten.

So wie der Pfarrer, der jeden Sonntag die gleiche Predigt hielt: Schließlich wird das seinen Gemeindegliedern zu dumm und sie beschweren sich beim Bischof. Daraufhin kommt eines Sonntags ein Oberkirchenrat unangemeldet in die Kirche zum Gottesdienst, setzt sich hinter eine Säule und hört sich das an. Nach dem Gottesdienst erscheint er in Begleitung eines Kirchengemeinderates in der Sakristei. "War das heute wieder die gleiche Predigt?" fragt er. "Natürlich, Wort für Wort", antwortete der Pfarrer. "Haben Sie denn etwas dazu zu sagen, dass Sie immer die gleiche Predigt halten?", wurde er gefragt. Da wendete er sich an die Umstehenden und bat, dass sie doch einmal ein paar Gedanken aus der Predigt wiederholen mögen, doch es folgte ein betretendes Schweigen, und niemand wollte etwas sagen. "Sehen Sie", sagte daraufhin der Pfarrer, "wie soll ich zu einem neuen Thema übergehen, solange meine Gemeinde das alte noch gar nicht verstanden hat?"

Wenn ich mich so an die letzten Gottesdienste hier erinnere – da ist insgesamt nicht viel an Bewegung zu spüren gewesen. Wenig Leute, die manchmal nur kommen, wenn man sie ne halbe Stunde vorher anruft, … Spaß macht mir das nicht wirklich. Auch wenn ich sehr gerne predige. Ich will zumindest wissen, dass das, was ich mir überlege und aufschreibe noch auf Interesse stößt.

Wir labern und labern – und passieren tut wenig bei uns Christen. Berufung, Nachfolge – das klingt immer gut in einer Predigt oder dem gepflegten Gespräch mit den Mitchristen. Doch eigentlich: Welches Risiko gehen wir ein? Wo fangen wir – bildlich gesprochen – an zu fliegen? Satt und zufrieden und schön auf Zimmertemperatur, so kann man das Leben genießen. Alle Gefahren draußen verdrängen – und dass die Gänse am Ende ihres Lebens in der Pfanne landen, verdrängen wir auch gern.

Zu Großem sind wir Gänse berufen – wir können fliegen, weil Gott uns wunderbar gemacht hat. Zu Großem sind wir Menschen berufen – Jesus hat uns einen Weg gezeigt mit seinem Wort. Doch der Weg ist ganz sicher nicht der bequeme und sichere Trott des normalen Alltags, nicht das folgenlose Labern mit vollem Bauch bei angenehmen 20 Grad. Denn dessen Ende findet, bildlich gesehen, in der Bratröhre statt. Lecker so ein Gänsebraten, nicht wahr? Und vor allem: er kann nicht mehr wegfliegen… So war damals 2004 mein Schlußsatz der Predigt. Und ich weiß nicht, wie weit für jeden einzelnen von uns nicht inzwischen die schlußendliche Bratröhre gekommen ist.

Letztens fiel mir beim Stöbern im Zeitungskiosk eine DVD in die Hand „Glauben ist alles" heißt der Film, der sich darauf befand, eine nette Komödie über einen Priester und einen Rabbi in New York und ihre Probleme mit den Gemeinden – und natürlich auch mit den Frauen. Diese beiden Jungtheologen (gespielt von Ben Stiller und Edward Norton) haben mit ihrer lockeren Form zu predigen innerhalb kurzer Zeit volle Häuser – auch wenn die alten Gemeindeglieder ganz schön geschockt reagieren, wenn etwa in der Synagoge plötzlich ein christlicher Chor auftritt, um den Gemeindegesang zu beleben.

Glauben ist alles – ist das wirklich so bei uns? Oder halten wir nur noch aus Bequemlichkeit am Namen der Freibeuter Gottes fest? Wo ist bei uns Bewegung? Wo wird was neu bei uns?

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.
26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
27 und gebt nicht Raum dem Teufel.
28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
29 Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.
30 Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.
32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Oh Mann – Ermahnungen ohne Ende, die der Verfasser des Epheserbriefes da zusammen gestellt hat. Manche finden das von Zeit zu Zeit ganz gut, manche finden es eher abstoßend, so angepredigt zu werden. Gut ist es sicherlich, gelegentlich ermahnt zu werden, über einem während des Tages entflammten Zorn die Sonne nicht untergehen lassen. Aber soll man uns heute Morgen wirklich sagen, dass wir nicht stehlen, sondern unser Geld aus eigener Arbeit verdienen sollen? Soll man uns sogar ein bisschen mit Schwefelgestank drohen: Passt auf, dass ihr durch euere Schwächen und Fehler dem Teufel nicht zu nahe kommt? In der Tat: Über diesen Abschnitt aus dem Epheserbrief kann man geteilter Meinung sein!

Unser heutiger Predigttext ist eher gesetzlich. Er ermahnt: 'Da Christus bereits in euer Leben getreten ist, so hört doch endlich damit auf, so auszusehen, als wäret ihr noch gar keine Christen. Wo Christen sind, da muss es auch nach Christen schmecken und duften!' Das ist der zusammengefasste Inhalt des Ganzen, mit dem wir heute konfrontiert werden.

Das ist es, was uns immer wieder neu gesagt werden muss, damit wir unsere "frühere Lebensweise" ablegen können und zu einer ganz anderen Art von Leben und Zusammenleben unter uns kommen. Wer von uns kennt denn diese menschlich uralten Laster nicht: Lüge, Zorn, Diebstahl, Beleidigungen, Verbitterung, Unbeherrschtheit, lautstarken Streit oder eine feindselige Gesinnung? Jeder von uns weiß auch nach 2000 Jahren Christentum, dass es das alles in der Welt gibt und ein jeder von uns aktiv oder passiv daran teilhat. Deshalb müssen wir uns Sonntag für Sonntag und Predigt für Predigt darin bestärken lassen, anders zu leben, und wir können als Christen anders leben, weil uns der Glaube an den menschenfreundlichen Gott dazu ermutigt und bestärkt. Das ist das Thema um das es in immer neuen und anderen Varianten geht.

Wenn Mephistopheles in Goethes Faust dem Dr. Faust sagt: "Du bleibst doch immer, was du bist!" , so steckt darin eine ungeheure Festlegung, ja Verurteilung des Menschen, sich nie wandeln und ändern zu können. Doch was wäre denn die Erziehung eines Menschen wert, wenn nicht die Hoffnung mit ihr verbunden wäre, dass der Mensch in seinem Leben reift, dass er lernt, ja dass er sogar manchmal gerade aus seinen Fehlern lernen kann. Veränderung ist ja nur da möglich, wo ich mich meinem Leben stelle, auch den Schattenseiten meines Daseins. Und da krankt es in der Welt allgemein – und auch bei mir im Besonderen. Schwächen zuzulassen ist nicht in. Paulus geht es um mehr, weil er dem Glauben aus dem Geist Gottes heraus einiges mehr zumutet. Und so muss man unseren Briefteil auch als einen Kommentar zur Taufe hören. Mit der Taufe wird ein Mensch in eine ganz besondere Beziehung mit Gott hineingenommen und von daher sollte ihm ein anderes Leben möglich sein. So benutzt er das plastische und gut verständliche Bild vom An- und Ausziehen eines neuen oder eines verbrauchten Bekleidungsstückes. Höhepunkte oder ganz besondere Zäsuren im Leben werden doch oft gerade dadurch unterstrichen, dass ich mir neue Kleider, einen neuen Anzug anschaffe.

Paulus es jedenfalls für möglich, dass wir uns ändern können. Und diese Kraft gilt es auch für uns jeden Tag neu zu entdecken. Weil wir Menschen dieses menschenfreundlichen Gottes sind, darum sind wir an seinen guten Geist, an den Heiligen Geist erinnert, der allem Ungeist entgegensteht. Paulus geht es also faktisch nicht um die eine oder andere Korrektur, eine Schönheitsreparatur an unserem defekten Leben, sondern tatsächlich um die viel grundsätzlichere Frage nach unserer Gottesbeziehung, nach einem Glauben, der Menschen heilen hilft.

Als Christen werden wir uns immer wieder einmal danach fragen, was unterscheidet Christen eigentlich von Nichtchristen, was unterscheidet uns von einem Menschen, der an gar nichts glaubt? Die Antwort liegt in den von Jesus Christus vorgegebenen und vorgelebten Orientierungen und Maßstäben für unser Leben, für ein Leben, in dem Schuld und Versagen dann auch nicht mehr verdrängt werden müssen, und wo Vergebung und damit auch die Korrektur verkehrter Verhaltensweisen möglich ist. Wir müssen uns nichts über unser Leben vormachen, sondern wir dürfen ganz und gar hoffnungsvoll in den kleinsten Schritten anfangen, uns zu ändern, damit Situationen sich ändern können und mit uns zusammen dann auch andere Menschen.

Wem der Glaube der Bibel fremd geworden ist, dem bleibt kaum etwas anderes übrig, als an sich selbst, den Menschen zu glauben – und wo das hingeführt hat, schildert uns Paulus mit seinem Katalog menschlicher Laster und Schwächen und das sehen und erleben wir Tag für Tag um uns herum. Es geht also um einen Paradigmenwechsel unseres Lebens, um eine ganz andere, neue Weltsicht und eben nicht um die eine oder andere kleine Korrektur. Wer die Welt verändert haben will, muss zuerst bei sich selbst damit anfangen. Und das ist so herausfordernd, wie z.B. die fast existentiellen Entscheidungen mit dem Rauchen aufzuhören, nicht mehr zu trinken oder kein Fleisch mehr zu essen. Erst mit solchen wirklich einschneidenden Schritten, werden wir gedanklich falsch eingeschliffene Lebensweisen ablegen, verändern können. Ja, wir können zu Menschen werden, die humaner, menschlicher leben, weil wir uns von unserem Gott begleitet wissen. Er gibt uns die verändernden Maßstäbe vor, die neues Leben möglich machen. Und eigentlich geht es damit darum, dass das Leben heil wird. Der Wochenspruch für die heute beginnende Woche aus dem Buch des Propheten Jeremia fasst das zusammen: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!"

Eben davon spricht der Epheserbrief in dem Abschnitt, der heute der Predigttext ist: über Beziehungen, die heillos sind; über ungeordnete Verhältnisse; über Worte, die kränken und krank machen können; über Umgangsformen, die verletzen; über Lebenseinstellungen, die ungesund sind; über Wünsche und Ziele, die ins Verderben führen. Wie wir davon los kommen, heil werden, darum geht es im Brief an die Epheser.

So höre ich die Mahnungen und Ratschläge im Epheserbrief sehr nachdenklich, als eine kritische Frage an mich als Christen und Prediger. Der Zorn zum Beispiel: daß es eine bleibende Aufgabe ist, mit dem Zorn unter den Schwestern und Brüdern umzugehen. Eine Geschichte dazu, sozusagen eine Auslegungsgeschichte zum Epheserbrief, hat mich besonders nachdenklich gemacht: Ein Mönch, der in einem Kloster lebte und häufig zornig wurde, sprach zu sich selbst: Ich will in die Einsamkeit gehen, denn wenn ich niemanden mehr habe, mit dem ich streiten kann, wird sich vielleicht meine Leidenschaft legen. Als er aber in die Einöde gezogen war, und allein in einer Höhle wohnte, geschah es, daß er eines Tages, als er seinen Wasserkrug gefüllt und auf den Boden gestellt hatte, zufällig etwas Wasser verschüttete. Als er den Krug ein zweites und drittes Mal wieder gefüllt hatte, nachdem ihm das Mißgeschick immer wieder passierte, packte er den Krug und zerschlug ihn in Stücke. Nachdem er sich wieder gefaßt hatte, sah er ein, daß ihn der Geist des Zornes erneut verblendet hatte, und er sprach zu sich: Sieh, nun bin ich zwar allein, aber der Geist des Zorns hat mich auch hier erfaßt. Ich will daher wieder in mein Kloster zurückkehren, denn überall muß ich kämpfen und ertragen und bin auf Gottes Beistand angewiesen. Damit machte er sich auf und kehrte wieder an seinen vorigen Platz zurück.

Mich beeindruckt an dieser Geschichte die Ehrlichkeit: ein Bruder in Christus, der sicher die Ermahnungen im Brief an die Epheser kennt, der sie beherzigen will und trotzdem immer wieder von Zorn und Ungeduld überwältigt wird. Kein idealisiertes Bild von einem heiligen Leben, sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme. Dazu die Versuche, mit den Emotionen umzugehen, der Rückzug in die Einöde, um Streit zu vermeiden, und die Entdeckung, daß auch damit der Kampf nicht gewonnen ist. So beeindruckt mich an der Geschichte, wie die bleibende Anfechtung auch für die Christen gesehen wird; und zugleich die Beharrlichkeit, mit der der Mönch an dieser und jener Stelle versucht, mit seinem Zorn fertig zu werden.

Was bleibt am Ende, wenn wir ehrlich sind mit uns? Mit dem Zorn, der Lüge, dem Geschwätz, dem Haben-Wollen, der Bitterkeit? Wenn wir ehrlich sind mit uns, dann bleibt am Ende nur die Bitte und Wendung zu Gott: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!"

Das ist eine Einsicht, die nun auch im Epheserbrief angezeigt ist. Man darf seinen Vergleich nicht wörtlich nehmen, denn ich kann ja mich selber, den alten Menschen nicht einfach ablegen, wie ich ein Gewand ausziehe. Und wie ginge das: einen neuen Menschen anziehen, als ob man in eine neue Haut einstiege? Nimmt man es aber im übertragenen Sinn, dann ist entscheidend, daß ich zwar beteiligt bin im Ablegen und Anziehen, daß aber der neue Mensch nicht durch mich geschaffen ist, sondern bereit liegt, „nach Gott geschaffen … in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit."

So also auch in der Liste der Ermahnungen die Anzeige, daß es zwischen gutem Rat und ehrlicher Einsicht, zwischen Anfechtung und Kampf in Wirklichkeit auf Gott ankommt. Und damit am Ende erfahrungsgesättigt die Bitte: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!" Und zum heil werden gehört aber auch, sich in Bewegung zu setzen, Dinge anzugreifen, die einem wichtig sind. Oder auch sich zu beschweren, wenn einem Sachen nicht oder nicht mehr gefallen. Und damit dem anderen die Chance geben, etwas besser zu machen. Oder um wieder auf die Gänse zu kommen: Endlich über die engen Grenzen des Hofes hinaus zu fliegen.

Amen.