Ihr Lieben,
immer wieder sagt man mir in Gesprächen: Bei mir redest du umsonst vom Glauben. Für mich ist das nichts. Für mich ist das alles unglaubwürdig – und vor allem unwichtig.
Unwichtig? Frage ich dann manchmal zurück. Unwichtig – worauf verlässt Du Dich in Deinem Leben? Was ist Dir denn überhaupt wichtig? Wie schaffst Du es, im Leben klarzukommen?
Ich frag das nicht mit einem Hintergedanken. Sondern weil es mich wirklich interessiert. Für mich selbst ist der Glauben wichtig, um mir die Tatsachen des Lebens in eine richtige Relation zu sortieren. Zu wissen, dass ich nicht einfach nur das Produkt eines Zufalls bin, ist mir wichtig. Denn dann kann ich auch mit meinen Schwächen besser umgehen.
Aber manchmal hab ich so den Eindruck, dass die Fragen über Gott und den Glauben nur aus Neugier gestellt werden. Neugier, weil es in unserer Zeit manchen so vorkommt, als bräuchten wir den Glauben nicht mehr.
(16) Während aber Paulus sie in Athen erwartete, wurde sein Geist in ihm erregt, da er die Stadt voll von Götzenbildern sah.
(17) Er unterredete sich nun in der Synagoge mit den Juden und mit den Anbetern und auf dem Markt an jedem Tag mit denen, die gerade herbeikamen.
(18) Aber auch einige der epikuräischen und stoischen Philosophen griffen ihn an; und einige sagten: Was will wohl dieser Schwätzer sagen? andere aber: Er scheint ein Verkündiger fremder Götter zu sein, weil er das Evangelium von Jesus und der Auferstehung verkündigte.
(19) Und sie ergriffen ihn, führten ihn zum Areopag und sagten: Können wir erfahren, was diese neue Lehre ist, von der du redest?
(20) Denn du bringst etwas Fremdes vor unsere Ohren. Wir möchten nun wissen, was das sein mag.
(21) Alle Athener aber und die Fremden, die sich da aufhielten, brachten ihre Zeit mit nichts anderem zu, als etwas Neues zu sagen und zu hören.
(22) Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Männer von Athen, ich sehe, daß ihr in jeder Beziehung den Göttern sehr ergeben seid.
(23) Denn als ich umherging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar, an dem die Aufschrift war: Einem unbekannten Gott. Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, das verkündige ich euch.
(24) Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind,
(25) noch wird er von Menschenhänden bedient, als wenn er noch etwas nötig hätte, da er selbst allen Leben und Odem und alles gibt.
(26) Und er hat aus Einem jede Nation der Menschen gemacht, daß sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, indem er festgesetzte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnung bestimmt hat,
(27) daß sie Gott suchen, ob sie ihn wohl tastend fühlen und finden möchten, obgleich er nicht fern ist von jedem von uns.
(28) Denn in ihm leben und weben und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: `Denn wir sind auch sein Geschlecht.
(29) Da wir nun Gottes Geschlecht sind, sollen wir nicht meinen, daß das Göttliche dem Gold und Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und der Erfindung des Menschen, gleich sei.
Athen – die kulturelle Hauptstadt der Antike – das war für Juden und die ersten Christen eigentlich die Hauptstadt der Gottlosigkeit.
Über der Stadt liegt ein dreifacher Glanz der Geschichte:
Da ist einmal der "Glanz der großen Taten". In Athen wurden die Männer der Tat, die großen Helden gerühmt, gefeiert und besungen. Überall konnte man ihnen begegnen, den lebenden und den in Stein gemeißelten. Über ihre Taten wurde diskutiert, als ob mal selbst dabei gewesen wäre.
Das Wort "Politik", das bis heute das aktive Teilhaben und Teilnehmen an Worten und Taten zur Gestaltung des Lebens umschriebt, stammt aus der Sprache der Griechen. Gleichwertig neben dem Glanz der großen Taten griechischer Helden steht der "Glanz der Gedanken". Wo gab es so viele Dichter und Denker wie in Athen? Homer, Sophokles, Sokrates, Plato. Wer etwas werden wollte, musste nach Athen gehen und mit den Weisen und Gelehrten diskutieren und philosophieren.
Das Wort "Philosophie" stammt ebenfalls aus der Sprache der Griechen.
Zum Glanz der Taten und der Gedanken, zur Politik und Philosophie gesellt sich als drittes der Glanz der Kunst. Da ist das Wahrzeichen der Stadt, die Akropolis, da sind die Statuen und Tempel. Jeder Fensterrahmen, jede Mauer und jeder Pflasterstein ist ein kleines Kunstwerk. Form und Schönheit werden in Athen geprägt.
Das Wort "Poesie" stammt ebenfalls aus der Sprache der Griechen.
Zwar ist die große Zeit Athens längst vorbei – doch der Stolz drauf ist noch immer ganz wichtig für die Menschen dort. Man hat seine Traditionen, man hat sich eingerichtet – und ob nun der Kaiser in Rom eigentlich zuständig ist – wen kümmert das. Wenn er was lernen will, dann lässt er die Gelehrten aus Athen kommen. Und selbst die römischen Götter – was sind sie anders als die Griechenlands mit neuem Namen. Athener sind ein stolzes Völkchen. Und eines, das schon alles zu wissen glaubt. Eigentlich ist das nicht die Gegend, wo man mit einer christlichen Predigt ankommen kann.
Doch was Paulus auf seiner Reise gemerkt hat: Die Athener mögen zwar eigentlich Heiden sein. Doch ihre Neugier, ihr Streben nach Wissen und Erkenntnis ist eben auch ein Punkt, bei dem man mit seiner Predigt anfangen kann. Und er lässt sich nicht lang bitten – und wählt Worte, die genau in dem Streben nach Neuem und Interessanten ihren Anknüpfungspunkt haben – und die in keiner Weise irgendeinen Vorwurf enthalten:
Was Lukas hier schildert, ist eine Predigt ganz nach den Gesetzen der antiken Rhetorik: Gelehrt, brillant formuliert, es nimmt die Zuhörer mit von dem Punkt, wo sie mit ihren Gedanken sind. Ihr Männer von Athen – eigentlich erzähle ich euch ja nichts neues. Ihr habt die vielen Götter, die ihr verehrt. Aber ihr habt – ohne es zu ahnen – auch schon den Gott gefunden, von dem ich rede. Ihr kennt ihn noch nicht – aber ihr habt ihm einen Altar gebaut. Der Gott ist der, der die Welt geschaffen hat. Der Gott ist der, auf den es ankommt. Und der ist nicht irgendwo in der nebulösen Ferne oder auf dem wolkenverhangenen Olymp. Nein – dieser Gott ist keinem von uns fern. Der kommt uns nahe in den Menschen, er kam uns ganz nahe in Jesus.
"Männer von Athen. Ich sehe, dass ihr in allen Stücken gar sehr die Götter verehrt. Ihr seid in jeder Hinsicht sehr religiös."
Kritik oder Kompliment? Vielleicht beides. Die meisten werden jedenfalls gedacht haben: Genau so ist es.
"Ich habe alles gesehen und kann nicht verschweigen, dass ich alle Hochachtung für so viel Glanz empfinde. Ich fand einen Altar mit der Inschrift: 'Dem unbekannten Gott'."
"Ausgerechnet damit muss er kommen", werden einige gedacht haben, jener Altar, den überaus ängstliche Naturen aufgebaut haben. In das Gesamtkonzept Athens passt dieser Altar nicht hinein. Du hast ja recht: wir können uns nicht auf der einen Seite unserer Weisheit und unseres Wissens rühmen und auf der anderen Seite zugeben, dass es für uns einen unbekannten Gott gibt."
Vielleicht steckt in der Einleitung der Verteidigungsrede des Apostels doch mehr Ironie oder Humor als uns bewusst ist: "Was seid ihr bloß für kluge und weise Leute, dass ihr bei aller Religiosität einen Winkel für einen unbekannten Gott frei lasst. Was ist das für eine Angst, einen Gott vergessen zu haben!"
Ganz fremd ist uns das Denken nicht. Auf dem Altar des 'unbekannten Gottes' wird immer noch viel geopfert. Schaden wird es schon nicht, und es könnte ja sein, dass doch etwas dran ist. Man will dem 'unbekannten Gott' natürlich nicht näher kommen. In dem Augenblick, wo der 'unbekannte Gott' bekannt wird, könnte er ja auch Forderungen stellen.
Und genau da sieht Paulus seine Chance. Er will den unbekannten Gott bekannt machen, will ihn aus der Anonymität herausholen und ihn damit verbindlich machen. Ein unbekannter Gott ist immer ein unpersönlicher und unverbindlicher Gott, alles bleibt unverbindlich.
"Gut, dass ihr diesen Altar gebaut habt. Was ihr unwissend verehrt, ohne es zu kennen, das verkündige ich euch!"
Keine Kritik an den anderen Altären, Tempeln und Statuen, lediglich Identifizierung des Unbekannten. Dieser euch unbekannte Gott ist nicht mit Händen gemacht, im Gegenteil: aus seinen Händen kommt alles Leben. Er ist der Schöpfer des Sichtbaren und des Unsichtbaren. Nicht ihr habt den unbekannten Gott geschaffen und ausgedacht, sondern ihr seid Geschöpfe des allmächtigen Gottes. Dieser Gott bedarf keiner Weisheit, keiner Tat, keiner Kunst. Aber er braucht euch und ihr braucht ihn. Bisher habt ihr ihn ignoriert aus Unwissenheit. Aber jetzt hole ich ihn für euch aus seiner Anonymität heraus, jetzt werdet ihr ihn kennenlernen, weil ich ihn euch verkündige. Er ist nicht einer unter vielen Göttern, er steht über allem und über allen. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Von heute an seid ihr Wissende. Ihr seid nicht ärmer, sondern reicher geworden, weil ihr jetzt den Gott kennt, der die Welt und alles in ihr gemacht hat, der der Herr ist über Himmel und Erde, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt.
Dieser Gott ist nicht nur Schöpfer und Herr der Welt, der alles einmal in Gang gesetzt hat. Er hat immer wieder Kontakt zu uns aufgenommen, zuletzt und vor allem durch einen Mann, den er gesandt hat, der unter uns gelebt hat, der gestorben ist, den Gott aber, weil er der Schöpfer und damit der Herr über Leben und Tod ist, von den Toten hat aufstehen lassen."
Damit ist ein Stichwort gefallen, das nicht unwidersprochen bleibt. An der Auferstehung eines Toten scheiden sich für die Athener die Geister. Über Gott und die Götter können wir ja noch diskutieren, auch über einen unbekannten Gott, aber es ist unmöglich, dass auch nur einer der Götter Kontakt zu den Menschen aufnehmen könnte und dass ein Toter wieder zum Leben erweckt wird.
Die einen spotten. Spott sieht ja immer nach Überlegenheit aus, verrät aber doch Betroffenheit. Durch Spott versucht man, das Anliegen eines anderen abzublocken. Spötter haben oft die Lacher auf ihrer Seite.
Andere sagen: Es ist genug. Wir wollen dich ein andermal hören.
Leider ist Paulus nicht zu dem eigentlichen Thema gekommen. Das alles ist ja nur die Einleitung seiner Predigt, dass Gott der Schöpfer der Welt ist. Er wollte mehr von Jesus erzählen. Er wollte das Evangelium verkündigen, dass Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, dass er unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. In diesem Jesus ist Gott keinem von euch fern, er ist jedem Menschen nah.
Alles in allem hat es den Anschein, dass Paulus in Athen wenig Erfolg gehabt hat. Von einer Christengemeinde in Athen hören wir nichts, auch nicht von einem "Brief des Paulus an die Athener".
Vielleicht wird Paulus sich an das Wort Jesu erinnert haben, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt. Ja, reich waren sie, reich an Taten, reich an Wissen, reich an Kunst, reich an Religiosität, reich an Bildung und Kultur.
Paulus weiß aber auch, dass das, was menschlich unmöglich ist, bei Gott doch möglich ist. "Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig an Christus. Unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen."
Paulus in Athen – eine brilliante Rede. Und ein Misserfolg – wenn auch nicht auf ganzer Linie. Und das ist es, was mir immer wieder Mut gibt, mich mit meinen Predigten – oder in Gesprächen ansonsten – auf Gott ansprechen zu lassen.
Keinem von uns ist Gott fern – das ist das, was mich dabei trägt. Auch wenn die Leute eigentlich nicht glauben, ihm zu begegnen – es gibt dafür keine Garantie. Und daher gibt es Hoffnung.
2. Ich höre und bewahre die Botschaft: Gott ist nicht fern einem jeden von uns. Das möchte ich für mich in Anspruch nehmen und es denen sagen, die an der Ferne Gottes leiden. Es gibt so verschiedene Menschen und so unterschiedliche Lebenssituationen. Es gibt Menschen, denen der Glaube sehr wichtig ist, und andere, die vor vielen Jahren zum letzten Mal gebetet haben. Es gibt gläubige Menschen und solche, die den Glauben an Gott bekämpfen, weil sie ihn für unsinnig und schädlich halten.
Und doch: Keinem von uns ist Gott fern! Ich möchte mir und ihnen sagen: Er ist bei uns alle Tage und überall.
3. Und schließlich: Misserfolge sprechen nicht gegen die Botschaft des Evangeliums, nicht gegen Gott, sondern sind Teil unseres Glaubens und Lebens. Und wenn es nur einer wäre, der am Ende meines Lebens sagt: Dieser Mensch hat mir einen Denkanstoß gegeben. Durch ihn habe ich gelernt, nach den Grundlagen meines Glaubens zu suchen.