Hoffnung im Angesicht des Todes – Predigt über Johannes 11 (Die Auferweckung des Lazarus) – 19. September 2010

Ihr Lieben, es gibt Themen, die wollen wir am liebsten ganz weit weg drängen. Auf der Liste steht der Tod ganz oben. Der ist von einer ganz anderen Qualität, als unsere Ängste vor Krankheiten oder Unfällen, vor Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit. Der Tod als die Grenze unseres irdischen Lebens ist nichts, womit ich mich gerne beschäftige. Der macht mir – besonders wenn ich auf all das, was in meinem Leben falsch gelaufen ist – immer wieder Angst. Als ich mir die Texte für diesen Sonntag durchlas, war die erste Reaktion: Muss das sein? Die zweite war: Such doch lieber Texte aus, die für einen anderen Sonntag vorgeschlagen sind. Es gibt doch genügend Sonntage, deren Texte wir hier noch nie behandelt haben.

Joh 11, 1.(2).3.17-27.41-45

11,1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.

11,2 Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war krank.

11,3 Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.

11,17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.

11,18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt.

11,19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.

11,20 Als Marta nun hörte, daß Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.

11,21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.

11,22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.

11,23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.

11,24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.

11,25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt;

11,26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?

11,27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, daß du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.

11,41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast.

11,42 Ich weiß, daß du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich’s, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast.

11,43 Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!

11,44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und laßt ihn gehen!

11,45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.

Doch dann erinnerte ich mich an ein Erlebnis, ich glaub, ich habe es manchen schon erzählt. Vor Jahren war ich einmal bei einem Greifbar-Gottesdienst, wo genau dieser Text von Jesus und Lazarus als Predigttext vorkommen sollte. Ich war neugierig, wie Professor Herbst damit umgehen würde. Und er redete sehr viel von Vertrauen auf Jesus. Doch gerade als es spannend wurde, hörte die Predigt auf – die ganze Auferweckung von Lazarus ließ er weg. Feige kam er mir vor. Und ich fragte ihn hinterher, wieso er gerade das Wichtigste des Textes einfach weglassen könnte. Und er sagte: Das ist für die Gottesdienstbesucher zu schwierig. Ehrlich: Was für ein Prediger ist man, wenn man sich vor den schwierigen Themen drückt, seien sie einem nun unbequem oder zu schwierig um sie den anderen zu erklären? Da hatte mich mein Ehrgeiz gepackt. Ich konnte mich nicht mehr drücken vor der Geschichte. So unbequem ich sie finde, so schwer zu glauben und schwer zu predigen. Also – hier noch ein neuer Anfang für die Predigt: In den letzten Wochen hab ich abends mir immer wieder ein paar Folgen einer amerikanischen Serie angeschaut: Scrubs handelt von jungen und nicht mehr ganz jungen Ärzten in einem Krankenhaus. Neben den für Comedy-Serien üblichen Liebesverwirrungen und üblen Streichen wird die Serie dann besonders gut, wenn die Ärzte geschildert werden, wie sie mit aussichtslosen Situationen, mit unheilbaren Krankheiten und dem Sterben von Patienten umgehen. Wie sie nach Worten ringen, um den Familien zu sagen: dieser Mensch ist nicht mehr heilbar. Wir sind mit unserer Kunst am Ende. Und alles was wir noch tun können, ist, ihm die letzten Tage oder Stunden so angenehm wie möglich zu machen. In einer Folge tauchte die Schwester eines der Ärzte auf. Während Cox (Perry Ulysses), ein nach außen zynischer und fast hasserfüllt wirkender Arzt einen Patienten quasi dem Tode anvertraut hat – Wir können nichts mehr tun! – fällt seine Schwester ihm ins Wort: außer beten. Und ohne dass ihr Bruder das merkt, betet sie mit der Familie die ganze Nacht über. Als dann die nächsten Befunde zeigen, dass die Krankheit doch nicht zum Tode führen wird, sieht Cox sich schon als der Super-Doc, für den er sich immer hält. Aber die Familie dankt nicht ihm, sie dankt seiner Schwester. Denn sie war es, die ihnen in einer aussichtslosen Situation zur Seite stand und die ihnen damit Hoffnung gegeben hat. Denn das ist genau der Punkt, der uns Christen von Menschen, die nicht an Gott glauben, unterscheidet: Es gibt immer Hoffnung. Selbst der Tod ist nicht das letzte Verlöschen, der große Schlussstrich unter alles. Das glauben wir seitdem Jesus von den Toten auferstanden ist. Der Tod ist nicht das Ende. „Ich glaube an die Auferstehung der Toten“ heißt es im Glaubensbekenntnis. Für viele Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, ist das neben der Jungfrauengeburt das schwierigste in diesem alten Text. Aber im Gegensatz zur Jungfräulichkeit Marias ist das wirklich eines der Kernthemen unseres Glaubens. Doch schon zu Zeiten Jesu hatten Menschen Schwierigkeiten, darauf zu vertrauen. Und so ist der Ärger, der sich bei Maria und Martha in die Trauer um ihren Bruder Lazarus mischt, verständlich: Dass Jesus heilen kann, das hatte er immer wieder gezeigt. Und so hatten sie ihn rufen lassen, als Lazarus krank wurde. Doch Jesus verspätet sich, er kommt zu spät. Wer länger als drei Tage im Grab liegt – so die damalige Rechtslage – ist wirklich und endgültig tot. Der Bruder, der Ernährer der Familie und der Freund Jesu ist wirklich gestorben und begraben. Warum kommst Du jetzt erst? Du hättest ihn retten können? Doch Jesus bringt die Anklagen in eine neue Richtung: Es geht nicht nur um das Heilen. Es geht um den Glauben, um das Vertrauen, dass bei Gott eben alles, auch das scheinbar Unmögliche, möglich ist. Und so setzt Jesus ein Zeichen: Das Vertrauen auf Gott hat nichts mit einer Vertröstung auf ein Jenseits zu tun. Es wirkt sich hier und Jetzt aus. In einer Welt, wo der Tod scheinbar alles beherrschen und zerstören kann. Er ruft Lazarus aus dem Grab zurück. Er lässt den Stein vom Grab wegwälzen, der einen Rückweg scheinbar verhindert. Und Lazarus lässt sich heraus rufen. Die Schilderung, wie er mit den Grabtüchern umwickelt aus der Höhle kommt, könnte bei aller Drastik fast an irgendeinen Zombie-Film erinnern. Doch sie untermalt genau das Gleiche wie die Rede von den vier Tagen, die er tot war: Hier ist eine Grenze durchbrochen worden, die endgültig schien. Es ist deutlich, warum Johannes, oder wie auch immer der Verfasser des Evangeliums geheißen hat, diese Geschichte genau an diese Stelle gesetzt hat: Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Das Ende seines Lebens am Kreuz ist nahe. Und so nimmt er die Menschen, die ihn in Betanien erleben, quasi mit auf seinen Leidensweg. Er zeigt ihnen, welche Macht Gott hat. Und welche Hoffnung auch wir haben können. Aber, liebe Gemeinde: übersteigt dieses Thema und seine Konsequenz für das reale Leben nicht die Erfahrungen der Menschen damals wie heute gleichermaßen? Der Tod ist das wohl am schwersten Fassbare überhaupt! Gerade darum ist es so wichtig, liebe Gemeinde, dieses Faktum der Auferstehung, wie Jesus es hier demonstriert immer wieder zu bedenken, sich zu vergegenwärtigen und für das eigene Leben als reale Möglichkeit zu erkennen. Wenn wir unser Glaubensbekenntnis nur sprechen, ohne wirklich zu glauben, erreichen wir nichts, nicht einmal eine vage Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wenn wir glauben, dass Gott uns diese Möglichkeit des ewigen Lebens wirklich bereithält, ja in Jesu Auferstehung den Weg eindeutig beschrieben hat, sollten wir diese Möglichkeit nicht nur in Betracht ziehen, sondern dankbar und ohne Zweifel für uns annehmen. Wie? Indem wir darauf vertrauen!

Jesus Christus spricht jeden von uns ganz persönlich an, wenn er sagt:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.

AMEN