Eine gewisse Ironie schwang bei dem Veranstaltungsort mit. Es war im Sommer 1989, als Erich Honecker zur Einweihung des Doms nach Greifswald zum Gottesdienst gekommen war. Gesungen hatte er damals auch. Vor dem Rathaus stimmte er mit FDJlern „Bau auf, Freie Deutsche Jugend, bau auf!“ an.
Am 28. Oktober 2000 kam Jahre später Wolf Biermann nach Greifswald für ein Konzert im Dom. Eingeladen hatte den Sänger die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Geplant hätten sie dieses Konzert schon seit vielen Jahren, sagte der Geschäftsführer der Gesellschaft, René Neumeister. Es sei ein „Glücksfall“, dass es jetzt kurz nach dem 10. Jahrestag der Deutschen Einheit möglich geworden sei.
Er würde überall singen, „wo lebendige Menschen“ seien, sagte Biermann, selbst in dem „letzten Kuhkaff“ Greifswald. Denn Provinzialität sei immer „eine Frage des Kopfes“. Für etwa 700 Besucher wurde Biermanns Konzert zu einer Zeitreise in die nähere und fernere Vergangenheit.
„Paradies uff Erden“ heißt sein Programm, das Lieder und Gedichte umfasst, die er während eines einjährigen Aufenthaltes in der „hassgeliebten Stiefmutterstadt“ Berlin 1998/99 schrieb. Neben wehmütigen Erinnerungen an Ostberliner Originale wie den Kohlen-Otto oder die Wirtin Molli von der Friedrichstraße 116 steht Wut auf die Verbrecher und Verbrechen der Stasi in der DDR.
Biermann vermied dabei jede Verklärung der alten Zeit, die „warm wenn auch muffig“ war. Zwanzigmal größer als die Gestapo sei die Stasi gewesen, sagte er. Dies sei ein Beweis dafür, wie viele Menschen den Mut hatten, gegen das politische System der DDR ihre Meinung zu sagen. „Das waren doch keine Idioten“, betonte Biermann immer wieder im Blick auf die Führung der DDR. Das gewaltige Spitzelsystem mit seinen enormen Kosten sei nicht aus unbegründetem Verfolgungswahn aufgebaut worden, sondern sei ein Zeichen für den Mut vieler Menschen im Lande gewesen. Deshalb sei es auch falsch, die Schließung oder gar Vernichtung der Stasi-Akten zu verlangen.
Sein Gedicht „Einem Hirten ins Gebetbuch“, behandle eine „Berufskrankheit der Pastoren“, sagte er. Sie verurteilt zum Verzeihen, auch wenn sie selbst nichts von dem erlitten hätten. Vergebung verkomme so zum Ablass „zum Nulltarif“. Vielmehr sollte sich auch die Kirche mehr um die Opfer kümmern, forderte Biermann. Für diese seien die Stasi-Unterlagen oft der einzige Nachweis dafür, was sie in der DDR erlitten hätten. Die Zukunft werde „im Streit um die Vergangenheit“ entschieden, sang Biermann im Lied „Im Steinbruch der Zeit“.
Anmerkung: Beitrag erschien im Oktober 2000 in der Pommerschen Kirchenzeitung.