Die Geschichte des Blues ist von Anfang an auch die Geschichte der Frauen im Blues. Auch auch als der Blues in den Städten elektrifiziert wurde, waren Frauen dabei. Big Mama Thornton (1926-1984) setzt als Sängerin nicht nur die Tradition von Bessie Smith fort. Ähnlich wie Muddy Waters prägte ihre Stimme ebenso wie ihre Bluesharp den Blues der 50er Jahre. Michael Spörke hat 2014 die erste Biografie Thorntons veröffentlicht.
Es ist schon tragisch, wie die öffentliche Wahrnehmung das Werk vieler Künstler verkürzen kann. Big Mama Thornton etwa wird oft nur auf zwei Songs reduziert, die noch dazu in anderen Versionen wesentlich erfolgreicher waren: Mit der Originalversion von „Hound Dog“ lieferte sie Elvis Presley eine Steilvorlage. Bald war vergessen, dass sie mit der Komposition von Leiber & Stoller 1953 sieben Wochen lang auf Platz eins der R&B Charts stand. Und „Ball & Chain“ wurde durch Janis Joplin zu einem Meilenstein der Hippiemusik Kaliforniens. Janis Joplin aber hatte ganz anders als Elvis immer die Schöpferin des Songs gewürdigt und ihr in den späten 60ern damit ganz andere Zuhörergruppen gesichert. So konnte die Sängerin auch nach Abflauen der Blueswelle in den USA und neben den diversen Bluesfestivals in aller Welt aktiv bleiben.
Dass bis 2014 allerdings noch keine Biografie der wegweisenden Sängerin vorhanden war, macht deutlich, wie schnell sie nach ihrem Tode nur noch ein Name für Fans und Fachleute war. Hier hat der deutsche Politikwissenschaftler und Musikautor Michael Spörke jetzt Abhilfe geschaffen. Seine im amerikanischen Verlag McFarland veröffentlichte Biografie „Big Mama Thornton. The Life and Music“ fußt auf ausführlichen Interviews, die er mit Freunden und Kollegen der Sängerin führte ebenso wie auf der Auswertung von Artikeln und Plattentexten, die zu ihren Lebzeiten veröffentlicht worden waren.
Gerade aus den Interviews entsteht in dem Buch ein buntes Bild der Künstlerin, das sich in vielerlei Hinsicht von den vorgefassten Meinungen über sie unterscheidet. Öffentlich wurde sie immer als harte und schwierige Person geschildert, die irgendwann nur noch unter Alkoholeinfluss auftreten konnte. So wird etwa ihre Masche, auf der Bühne Mitglieder ihrer jeweiligen Band lautstark zu kritisieren, wird als Teil ihrer von Humor geprägten Performance erkennbar.
Spannend ist für mich vor allem auch die Schilderung von Thorntons Wirken innerhalb der Hippiekreise Kaliforniens, wo sie nicht nur mit Janis Joplin, sondern auch bei Konzerten von Grateful Dead und anderen Stars der Tage auftrat. Dieses Kapitel ihres Lebens war mir bislang noch unbekannt – im Gegensatz zur Karriere in den 50ern und ihren Auftritten in Europa bei den American Folk Blues Festivals.
Allein schon wegen der verarbeiteten Fakten ist das ein Buch, das eine Menge Leser verdient hat. Natürlich hat diese Biografie auch Schwächen. Doch liegen diese für mich im oft sehr trockenen Stil Spörkes. Er stellt oftmals die verschiedenen Daten unkommentiert in einen chronologischen Zusammenhang und enthält sich im Wesentlichen einer Wertung oder Einordnung. Da hätte man sich als Bluesfan doch eine etwas lebendigere und leidenschaftlichere Schreibe gewünscht. Aber das ist vielleicht nur mein Eindruck.
Was für mich allerdings absolut unverständlich ist, warum das Buch lediglich in einer englischen Fassung in einem amerikanischen Verlag erschienen ist. Gibt es hierzulande so wenig Interesse an Themen der Popmusikgeschichte, dass eine Veröffentlichung sich nicht lohnen würde? Spörkes erstes Musikbuch, eine Biografie der Band Big Brother & The Holding Company war 2003 noch auf Deutsch erschienen.
Michael Spörke: Big Mama Thornton. The Life and Music
McFarland & Co. 2014
188 Seiten (Softcover)
ISBN: 978-0786477593
Euro 26,10
Ebook (Kindle): 13,91 Euro