Ry CooderNatürlich, es gibt sie immer noch, die Protestsänger. Diese Typen voller Engagement, die dem Zeitgeist entschieden mit ihren Gitarren und betroffenen Texten zusetzen wollen. Doch Spaß machen sie nicht. Wie es wirklich geht, zeigt Ry Cooder mit seinem neuen Album "Pull Up Some Dust And Sit Down".

Ach waren das noch Zeiten, als damals in New York Leute wie der ganz junge Dylan oder Phil Ochs fast die Funktion von Nachrichtenkommentatoren hatten. Als je nach Ereignis schnell das politische Lied dazu in den Cafés erklang. Oder als die deutschen Liedermacher wie Hannes Wader sich mit mitreißenden Stücken nicht nur gegen neue Waffen stellten sondern gleich das ganze System in Frage stellten. Irgendwann war aber die Zeit vorbei, wo politische Liedermacherei noch sexy war. Für manche viel zu schnell. Für andere nicht schnell genug. Denn wenn man im Rückblick die alten Lieder hört, dann verbreiten sie zu oft eine muffige und verstaubte Sicht. Sie sind oft so belanglos und vernachlässigbar geworden wie alte Lokalzeitungen. Und tanzen kann man dazu auch nicht. Und ehrlich: "Sag mir wo die Blumen sind" – das war großartig im Sommer vor dem Abitur mit Gitarre abends am Lagerfeuer. Doch heute – vergiss es!

Der Meinung ist – für manche wirklich überraschend – Ry Cooder. Natürlich hatte er immer wieder mit Songs soziale Themen angesprochen. In der Frühzeit seiner Karriere aber meist durch die Neubelebung alter Songs etwa aus der Zeit, wo Woody Guthrie noch mit seiner Klampfe die Gewerkschaftstreffen zum Singen brachte. Heute bräuchte man neue Protestlieder als das mit den dahingegangenen Blumen, meint er und veröffentlicht mit "Pull Up Some Dust And Sit Down" gleich einen Rundumschlag gegen die Verhältnisse in den USA heute. Er zielt – bösartig, satrisch treffend und mit scheinbar einfachen Melodien auf Banker, die verschärften Einwanderungsgesetze, gegen die Kriege, die die USA heute führen oder die Tatsache, dass immer mehr Menschen ihre Häuser verlieren. Jesse James im Himmel wünscht sich nichts sehnlicher als seine Knarre, um die ganzen Banker abzuknallen. Und wenn man John Lee Hooker zum Präsidenten gemacht hätte, gäbe es sicherlich nicht nur Bourbon, Scotch & Beer, sondern Milch und Brot für alle, die Hunger haben.

"with champagne and shrimp cocktails/and that's not all you find/there's a billion dollar bonus/and no banker left behind" –  dass man zu solchen Texten sogar tanzen kann, dass ist das eigentlich faszinierende an dieser Scheibe. Cooder vermischt musikalisch die ganze reiche Tradition vom klassischen Folksong über TexMex, Oldtime Jazz, Blues und rockigen Klängen. Endlich mal wieder hört man ihn dabei auch seine lang vermisste elektrische Slide-Gitarre ausgiebig singen. Erinnerungen werden wach an die Zeiten, als Cooder schon als künftiger Gitarrist der Stones galt. Aber auch das Erbe Guthries hört man. Und den Blues nicht nur in der Lesart von John Lee Hooker. Selbst die zünftige Polka mit Akkordeon kommt zu ihrem Recht, wenn er in dem scheinbar simplen Weihnachtsschunkelsong "Christmas Time This Year" die "Segnungen" der Kriege für zahlreiche Familien abfeiert.

Es ist ein einziges Fest, dieser Scheibe zuzuhören. Doch gleichzeitig fragt man sich, warum in Deutschland kaum jemand so witzig, tanzbar und – man verzeihe mir das Wort – sexy politische Lieder schreibt. Herren wie Knyphausen haben sich in ihren Selbstbespiegelungen schnon längst selbst ins Abseits gestellt, Konstantin Wecker modernisiert scheinbar zu jeder Gelegenheit seinen "Willy". Und Wader oder Degenhart und Mey fallen überhaupt kaum noch ins Gewicht. Schon zu lange wartet man hier auf ein neues Lebenszeichen etwa von Stoppok, der das am ehesten könnte. Oder sollten mir die jungen Talente in dieser Gattung entgangen sein? Wann bekommt hier jemand so einen schönen Song hin wie "John Lee Hooker for President" – oder meinetwegen auch etwas ähnlich mitreißendes und politisch engagiertes wie damals Udo Jürgens mit dem "Griechischen Wein" oder dem "Ehrenwerten Haus"?