CoverMartin Kohan: Sittenlehre – Rezension von Erik Münnich

Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 2 (16. August 2010)
ISBN-10: 3518421824
ISBN-13: 978-3518421826
Originaltitel: Ciencias morales

Die ersten Seiten des Romans „Sittenlehre“ des  1967 in Buenos Aires geborenen Schriftstellers Martin Kohan kommen schwer daher: Langatmige  Beschreibungen des Colegio National, seiner Geschichte und seines auf strikter Einhaltung von Disziplin basierenden Alltags in nüchterner Sprache, die das Erwartete tut und auf jede Überraschung verzichtet. Doch nach weiteren Seiten zeigt sich, dass hier genau die Stärke des Buches liegt. Kohan gelingt die Beschreibung der argentinischen Militärdiktatur zur Zeit des Falkland-Krieges am Beispiel eines Elite-Gymnasiums in Buenos Aires und die Sprache, die er hierfür findet, ist dem Perfiden solcher Systeme eingeschrieben: Sachlich und genau dokumentiert er die gymnasiale Ordnung, die durch einen ungeheuerlichen Überwachungsaufwand gekennzeichnet ist. Kohan verzichtet auf Überhöhungen oder Dramatisierungen, was das Verstörende und Beängstigende des Geschehens erschreckend deutlich zum Ausdruck bringt.

Die zwanzigjährige Aufseherin Maria Teresa ist erst seit einem Jahr am Colegio National und erfüllt ihre Aufgaben gewissenhaft. Sie beobachtet genau, nicht einmal die kleinste Bewegung scheint ihr zu entgehen. Bei Vergehen greift sie ein  – der falsche Abstand zwischen den Schülern, eine Hand eines Schülers, die zu fest auf der Schulter einer Schülerin zu liegen scheint – bei gröberen Dingen erteilt sie dem Oberaufseher Herrn Biasutto Meldung – so bei einem Mädchen, das sich außerhalb des Schulgeländes an einen Jungen schmiegt. Selten reflektiertes Pflichtbewusstsein, nicht minder gefährlicher Eifer und der Wunsch, dem Oberaufseher zu beeindrucken, führen zu Situationen, die außer Kontrolle geraten nur schwer wieder korrigiert werden können. Sie sperrt sich in die Knabentoilette ein, um Jungen beim Rauchen zu erwischen und wird dort von Herrn Biasutto vergewaltigt. Da sie aber diesen Übergriff als Teil der Machtbefugnisse des Vorgesetzten begreift, kann dieser diese Tat wiederholen, ohne ernsthafte Konsequenzen zu befürchten.
Kohan gelingt die Beschreibung des  Charakteristischen diktatorischer Systeme mit erdrückender Genauigkeit. Er zeichnet nicht nur ein erschreckendes Bild der argentinischen Militärjunta, sondern versteht es, die Auswüchse eines Überwachungssystemes ohne unnützen Schnickschnack aufs Papier zu bringen.

Der Roman „Sittenlehre“ ist bei Suhrkampf erschienen und für 19,90 Euro im Handel zu erwerben.

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