Predigt vom 17. Dezember 2006 im "Schalanderkeller"

Text: Lukas 1, 29-45

Ihr Lieben,

ich weiß nicht, wie Euch das geht – aber mir fällt es von Jahr zu Jahr schwerer, mich auf Weihnachten zu freuen. Die Zeit rast dahin – und plötzlich sind überall die Lichter und das Tannengrün, Stollen wird gegessen und Spekulatius. Die Weihnachts-CD's tönen über den Markt. Und ich bin eigentlich mehr damit beschäftigt, drüber nachzudenken, wie ich die nächsten Wochen über die Runden komme, was das nächste Jahr bringen wird, ob ich denn nun endlich mal nen richtigen neuen Job bekomme. Und dann stehe ich im Regen an der Bushaltestelle und überlege, was ich denn in der nächsten Predigt sagen soll.

„Neue Liebe neues Glück" verspricht ein Plakat am Wartehäuschen. Und: „Genieße Weihnachten mit eisgekühlter Coke".

Das kann es doch nun wirklich nicht sein – das heißt: das mit der Liebe ist ja eigentlich nicht schlecht, doch die Werbung für eine Singleseite? Und dann die ganzen Familien, die mehr oder weniger fröhlich oder auch verstritten vom Weihnachtsmarkt kommen und wieder nach Hause wollen am Abend. Ich fühle mich außen vor, als ginge mich das gar nichts an. Zu weit von Weihnachten entfernt sind meine Gedanken. Doch dann fällt mir plötzlich eine der schlechtesten Predigten ein, die ich jemals gehört hab. Zumindest war ich immer der Meinung, sie wäre schlecht gewesen. Doch der Anfang kann so übel nicht gewesen sein, wenn er mir heute wieder in den Kopf kommt:
Advent. Er kommt. Wir müssen zum Bahnhof. Wir müssen ihn abholen.

Denn darum geht es ja eigentlich in dieser Zeit: Wir warten darauf, dass jemand kommt, der unser Leben in die richtige Spur bringt. Wir warten – doch nicht im stillsitzen und Nichtstung. Auch wir müssen uns bewegen, müssen uns darauf einrichten, dass sich überhaupt was verändern kann.

Liebe Gemeinde,
Maria aber stand auf in den Tagen und ging in das Gebirge zu einer Stadt in Juda. Und sie kam in das Haus des Zacharias und grüßte Elisabeth. Und als Elisabeth den Gruß Marias hörte, da hüpfte das Kind in ihrem Leibe.
Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gebenedeit bist du unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!

Woher kommt mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?

Siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, da hüpfte vor Freuden das Kind in meinem Leibe.
O selig bist du, weil du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist vom Herrn.
Maria hatte Besuch bekommen. Und das, was er ihr gesagt hatte, ließ ihr keine Ruhe mehr: Sie war auserwählt, die Mutter des Retters zu werden, die Mutter dessen, den Gott zum Heil von uns Menschen in diese Welt schicken will. Gott will uns Menschen erretten. Und er hat mich auserwählt, mich die einfache Frau aus Nazareth.
Voll Freude zog Maria los, um ihre Verwandte, die Elisabeth zu besuchen. Elisabeth, die Frau des Zacharias, die ebenfalls ein Kind erwartete.

Zwei Frauen besuchen sich, beide erwarten ein Kind – ein Besuch unter Verwandten – eine alltägliche Situation? So was gibt es immer wieder? Recht habt ihr.

Und auch wieder nicht. Und das macht das Besondere dieses Besuches aus, das macht das Besondere an diesen Frauen und ihren Kindern aus: Denn auch bei Elisabeth war das Kind, auf das sie wartete, ein besonderes. Als Johannes der Täufer kündigte er später das Auftreten Jesu an. Gott hat mit ihren Kindern etwas vor.
Gott hat mit uns Menschen etwas vor und dafür braucht er Menschen, dafür braucht er die Elisabeth und ihren Sohn Johannes und er braucht Maria und ihren Sohn Jesus: Gott will uns Menschen nahe kommen, er will uns Menschen nicht allein lassen. Gott selbst will ein Mensch werden. Er will zu uns kommen. Das ist die frohe Botschaft, die Maria gesagt bekommen hatte, und die sie mit ihrer Verwandten teilen will. Gott kommt zu uns.

Viele Menschen lebten und leben so, als sei Christus noch nicht geboren, als sei Gott draußen aus unserer Welt, draußen, wo er nicht stört, wo er uns nicht betrifft. Das, was heute viele Menschen für „weihnachtliche" „adventliche" Stimmung halten, das hat mit dem Eigentlichen, dem Warten auf Christus wenig zu tun. Weihnachten: eine Orgie in rot und weiß mit massenhaft blinkenden Lichtern, gekühlte Coke im Glas – so stellt sich die Limonadenindustrie das Fest vor – der von Coca Cola kreierte Weihnachtsmann am Nordpol mit seinem roten Mantel, dem rotnasigen Rentier Rudolph und den vielen Weihnachtselfen und -wichteln ist viel einträglicher und werbewirksamer als der Sohn armer Leute, der irgendwo im Nahen Osten zur Welt kommt. Advent – das heißt: Weihnachtsgeschäft, das heißt Umsatz, das heißt kaufen kaufen kaufen und essen bis zum platzen. Und wenn ich ehrlich bin, dann ist mir das ganz recht, wenn die Leute möglichst viel kaufen – so lange ich im Laden stehe und am Umsatz mit verdiene. Doch dabei geht mir immer mehr etwas verloren – und das ist die eigentliche Besinnung auf Jesus. Es bleibt keine Zeit mehr – und in all dem Dudeln von Weinachts-CD's bleibt dafür auch keine Ruhe mehr. Dafür wächst bei mir die Unruhe und Unzufriedenheit mit mir und dem Leben im allgemeinen. Das kann es doch nun wirklich nicht gewesen sein!

Und das war schon damals im großen Römischen Reich so, auch ohne Weihnachten: Augustus hatte dem Reich Frieden gebracht. Der Tempel des Kriegsgottes hatte geschlossene Türen zu seiner Zeit. Wohlstand wuchs, Luxus machte sich breit. Tourismus blühte: Wer es sich leisten konnte, fuhr nach Spanien, Ägypten oder in das geheimnisvolle Germanien. Die Wirtschaft boomt – weil billige Sklaven die meiste Arbeit machen. Aber die zählen ja nicht wirklich für einen selbstbewussten Römer. Eine heitere Gegenwart versprach eine gute Zukunft.

Doch was keiner erwartet hatte: Auch der Friede – nicht nur der Krieg – verlangte seinen Preis. Nicht nur die Bürokraten und die Hofleute wollten bezahlt sein, nein, auch die Ansprüche ans Leben wuchsen ins Unermessliche. Galt einst das anspruchslose Leben der Soldaten als Ideal, so war es nun die soziale Sicherheit, der Wohlstand, ja der Luxus. Innerlich war das Leben leer, und so suchte man schon damals diese Leere auszufüllen mit immer mehr Gütern. Immer mehr anschaffen – immer mehr Gänge beim Essen – immer brutaler die Zirkusattraktionen. Doch das hilft nicht über die bohrende Leere im Inneren. Das betäubt nur für kurze Zeit. Und der Kater kommt bestimmt nach jeder Orgie.

Sinn und Inhalt fürs Leben lassen sich so nicht mehr finden. Worum geht es eigentlich im Leben? Soll der Besitz, der volle Bauch und der Sex mit Frauen, Männern und Tieren schon alles sein? Soll das der Sinn des Lebens sein, immer nach dem neuesten Kick zu jagen? Der Besitz wuchs – doch auch die Unsicherheit, die Angst vor dem Abschwung und die Fragen nach der Zukunft. Kein Wunder, daß in jenen Jahren Kulte und Religionen aus dem Boden schossen. Der Aberglaube blühte, je bunter und hintergründiger, desto besser. Den Astrologen ging es gut. Wer sprengt den engen Ring unseres Daseins? Wo gibt es etwas, das über den heutigen Tag hinaus gültig ist? Da war Friede im Land, aber ebenso war man unsicher und unzufrieden. Und scheinbar keiner weiß Antwort.

Doch die Antwort kommt nicht zuerst zu den reichen und gelangweilten Römern. Sie kommt an der Grenze des Reiches zu den armen und unbeachteten. Gott kommt, hatten Maria und Elisabeth erfahren. Er kommt in unsere Welt, er kommt zu uns Menschen – er will diese Welt nicht mehr sich selbst überlassen, will uns ein Zeichen geben, wie echtes Leben möglich ist. Leben nicht nur im Luxus und Wohlstand und gleichzeitiger Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. Sondern ein Leben im Einklang mit Gott, mit mir selbst und meinen Mitmenschen. Gott wird Mensch – und ihm geht es zuerst um die Menschen, die nicht satt und zufrieden sind. Ihm geht es zuerst um die Armen und Vergessenen.

Gott kommt – diese Welt wird sich ändern und ändern müssen.
Gott kommt – Sind wir darauf vorbereitet, oder haben wir nur schon viele Geschenke gekauft und verpackt? Gott kommt -bin ich innerlich drauf vorbereitet, dass sich was ändern könnte in meinem Leben. Oder habe ich mich in den Verhältnissen eingerichtet? Advent – Gott kommt – diese Zeit ist eigentlich eine der zwei großen Fastenzeiten der Kirche gewesen. Eine der Zeiten, die besonders für den innerlichen und äußerlichen Hausputz reserviert waren. Besinnt Euch auf Gott und auf das, was in euerm Leben falsch läuft lautete die Hausaufgabe. Besinnt euch – und sucht nach Veränderungsmöglichkeiten. Besinnt euch, zieht Bilanz und trennt euch von dem überflüssigen Ballast, den ihr nicht wirklich braucht.

Gott kommt – Sind wir mit uns und unseren Mitmenschen so im Reinen, daß wir ihm gegenübertreten können? Oder ist dieser Satz für uns nur eine leere Floskel, die halt zur Kirche dazugehört. Die ich halt sagen muß, weil ich nun mal der Theologe bin?

Gott kommt – für Maria und Elisabeth war das ein Grund für große Freude, ein Grund für den Glauben, ein Grund, die Botschaft weiterzusagen. Gott kommt.

Amen.