Er ist 76 Jahre alt und denkt ohne Reue und Selbstmitleid über das Alter, das Leben und über den Tod nach. „Feeling Mortal“ ist seit 2006 das dritte von Don Was produzierte Album von Kris Kristofferson. Und in seiner Intensität kommt es schon fast an die letzten Alben von Johnny Cash heran.
In seiner Jugend habe er so ziemlich alles getan, um zeitig zu sterben, erinnert sich Kristofferson. Aber weder Suff noch Motorradunfälle oder was ihm noch immer einfiel, brachte ihn um. Jetzt ist er tatsächlich ein alter Mann, kein best-ager, kein Silver-Surfer oder welche Begriffe die Industrie auch immer in die Debatte werfen mag: Er weiß – und wir hören es: Er ist ein alter Mann. Die Kraft mag schwinden, doch die Erinnerungen sind da, die Erinnerung an ein voller Kraft und Exzess gelebtes Leben. Und jetzt diese Einsicht: Es ist Zeit, Rückschau zu halten, ein Resüme zu ziehen, Und dazu gehört nicht nur, dass man sich neu mit diesem Gesicht anfreundet, was einem aus dem Spiegel entgegenblickt und einem das Selbstbewusstsein erschüttert. Auch ist das der Punkt, wo man andern deutlich macht: Das ist mein Leben, das waren meine Entscheidungen – und Du hast einfach kein Recht drauf, mir vorzuschreiben, was ich tun und lassen soll. Auch wenn der Stairway nicht mehr wie damals hoch in den Himmel zu gehen scheint sondern eher ganz nach unten in den Keller: Auch das sind Fakten, mit denen man sich arrangieren muss.
Nein, das ist kein bequemes Album. Weder für den Sänger (so vermute ich mal als Hörer) – noch für die Hörer: Einer Lebensbilanz zuzuhören, die so ehrlich und direkt daherkommt, das kann weh tun. Aber das ist es, was „Feeling Mortal“ aus der Vielzahl von Country-Alben heraushebt, die ich nach kurzem Hören wieder beiseite lege. Das hier ist eines dieser Alben, die einen lange begleiten können, die einem beim Nachdenken über Gott und die Welt eher helfen können als noch so perfekt jubilierende Popmelodien aus dem Reich der scheinbar ewigen Jugend.