Zum 18. Mal fanden vom 16. bis zum 20. Oktober die Tanztendenzen statt. Das Greifswalder Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance zog fünf Tage lang viel Aufmerksamkeit auf sich. Es leuchtete in einer ansonst strukturschwachen Region immer mehr und überregional mit internationalen Gastspielen, Workshops und Film auf. Ein Brunch zum Ausklang war eine wohl platzierte Novität.
Ein weiterer Schritt ist gesetzt. „Es lief alles sehr gut“, bilanzierte Sabrina Sadowska. Die Organisationsleiterin freute sich besonders über die vielen Jugendlichen, zu „10 seconds“ von E-Motion kamen. Die Rolle der Unterstützer sei dabei nicht zu unterschätzen. „Alle wissen, dass wir ein hochwertiges Festival haben und auch Aufbauarbeit leisten. Das wird honoriert“, so Sabrina Sadowska. In den Neuen Bundesländern gehörten die Tanztendenzen in Zeiten der Finanzkrise zu den wenigen durch das Institut françrais d´Allemange geförderten Festivals. „Das ist eine Ehre“, bestätigte sie. Hinzu komme die nicht selbstverständliche Empfehlung Greifswalds bei Künstlern.
Aus Frankreich, Tunesien, Japan, Israel, Palästina, der Schweiz und Deutschland kamen die diesjährigen Choreographen, Tänzer und mitwirkenden Künstler. Erstmals ist dabei auch Spanien vertreten. „Die eingereichte Auswahl ist immer wieder erstaunlich und es wird für uns nicht leichter. Die freie Szene hat enorm an Niveau gewonnen. Deren beste Früchte zeigen wir bei den Tanztendenzen“, erzählt Sabrina Sadowska. 200 Einsendungen von 150 Choreographen kamen vor einem Vierteljahr im Festivalbüro an. Themen wie Migration, politische Konflikte und der Suche nach dem Gemeinsamen bildeten 2012 den Schwerpunkt. „Das sind Themen, die uns noch viel stärker prägen werden, als es sie es schon lange tun“, findet die Schweizer Choreographin Anna Huber. Vor sechszehn Jahren gab die Tänzerin mit dem Solo „in zwischen räumen“ in Greifswald ihr Debüt. „Es war schön, wieder an einem Ort zu sein, an dem ich eines meiner allerersten Stücke präsentierte. Die Tanztendenzen genießen einen guten Ruf. Achtzehn Jahre sind eine lange Zeit und es braucht viel Kraft und Ausdauer, so ein Festival zu etablieren“, so die Tänzerin. Befragt zu ihren Erinnerungen von 1996 berichtet sie: „Es war damals das zweite Jahr. Wir waren alle in den Anfängen. Am Theater waren Tanzgastspiele zu dieser Zeit noch nicht üblich. Interessant war es für beide Seiten, sich anzunähern. Für alle war es bereichernd und neu.“ Toll sei die bestehende Offenheit der Organisatoren für die verschiedensten aktuellen Strömungen des Tanzes. Das sei nicht so selbstverständlich, so üblich und andernorts nicht so bewusst beabsichtigt. Die Bandbreite sei immer eine Frage des Blickwinkels, fügt Anna Huber hinzu.
Herrliche Bilder und famose Bewegungen
Nach dem ausdrucksstarken Duo „Frozen“ von Yaron Shamirs (Israel) im Rubenowsaal bot die Choreographin Anna Huber beim ausverkauften Doppelauftakt am vergangenen Dienstagabend einen fabelhaften Surrealismus und poetische Bilder in Zusammenspiel mit dem in der Schweiz derzeit angesagten Videokünstler Yves Netzhammer und dem Musiker Martin Schütz dar.
Vor allem ein jugendliches Publikum zog es am Mittwoch zu „10 seconds“. Die Hip Hop, angedeuteter Kampfkunst, Flamenco und B-Boying umfassende und schlüssig erzählende Choreographie von Takao Baba feat. E-motion begeisterte die gut 170 Zuschauer. Seit mehreren Jahren gewinnen die Macher der Tanztendenzen durch ihre Entscheidung für den Hip Hop immer mehr neues Publikum für den zeitgenössischen Tanz nicht nur in Greifswald.
Eine große Menschentraube versammelte sich am Donnerstagabend auf dem Marktplatz der Universitäts- und Hansestadt. Eine faszinierende Symbiose mit der Wand vollführte die französische Tänzerin Olivia Cubero beim ortsspezifischen Solo „Cette immense intimé“ von Cie Retouramont. Nach Jahren gingen die Tanztendenzen wieder in den öffentlichen Raum und erhielten für diesen Mut viel Zustimmung.
Mit einem Berg aus 1000 weißen Kaffeetassen auf einer kargen Bühne begann am Abschlussabend mit dem Solo „Kawa“ von Cie Chata nicht allein eine Hommage an eine geröstete Bohne, sondern auch einige Offenbarungen der Geheimnisse der Seele. 69 angemietete Ziegelsteine standen für „Die unsichtbare Frau“ von Proviosional Danza bereit. Provisional Danza ist innerhalb der Tanztendenzen die bislang erste eingeladene spanische Kompanie. Das 1987 gegründete Ensemble erhielt vor fünf Jahren den Nationalen Tanzpreis des Spanischen Kulturministeriums.
Mit dem starken Solo „Red Eye Flight“ eröffnete Yaron Shamir am Sonnabend das erste Brunch der Tanztendenzen im St. Spiritus. Es war zugleich das Finale der diesjährigen Saison des Greifswalder Festivals für zeitgenössischen Tanz und Performance. Während der Podiumsdiskussion ging es um das Entstehen und die Umsetzung einer Choreographie.
Gute Resonanzen
Vom Erzählen israelischer Kollegen kannte Yaron Shamir im Vorfeld die Tanztendenzen. „Über die Einladung nach Greifswald bin ich sehr glücklich. Die Bedingungen waren perfekt. Ich wünschte, jedes Festival wäre so wunderbar wie die Tanztendenzen und ich liebe diese Stadt“, sagte der derzeit in Berlin wirkende Choreograph und Tänzer. Er mochte die Kombination aus Auftritten und einem Workshop sehr. „Es ist sehr schön. Ich arbeite gern mit Laien“ fügte Yaron Shamir. Seiner Ansicht nach könnten vom Umfang her noch größer sein. In Greifswald sei dies möglich. „Es ist wunderbar, wie die Zuschauer verschiedenste Arten von Tanz in der Universitäts- und Hansestadt erleben können“, bemerkte er.
„Die Einladung war für uns eine Ehre“, ergänzte seine Partnerin Meytal Blanaru vom Stück „Frozen“. Seit sechs Jahren arbeite sie mit dem Choreographen zusammen. „Während der Aufführung herrschte eine nette Atmosphäre“, erzählte die aus Israel stammende Tänzerin und fügte hinzu: „Leider haben wir von Greifswald selbst nur wenig sehen können. Es ist aber eine sympathische Stadt. Wir haben die Zeit hier genossen.“
„Der direkte Kontakt ist sehr wichtig“, bestätigte Javier Sangro´s von Provinsional Danza. Der Spanier schätzte auch das Angebot der Workshops. „Es entsteht ein Austausch, wenn die Teilnehmer dann im Anschluss direkt zur Vorstellung kommen und wir uns hinterher unterhalten“, erzählte der Spanier. Gern würde die Kompanie wiederkommen.
„Der Applaus war überwältigend“, erzählte sein Kollege Ricardo Santana über den allgemeinen Zuspruch nach der Darbietung von „Die unsichtbare Frau“ am Freitagabend im Großen Saal des Theaters Vorpommern. „Wir wussten nicht, was uns erwartet. Wir touren viel in Südamerika und dort endet gewöhnlich der Beifall nach dem ersten Abgang von der Bühne“, berichtetet dieser.
Die Strahlkraft des Tanzes
„Die Tanztendenzen sind ein Schaufenster und eine Brücke. Deren Macher blicken über den Tellerrand hinaus“, schätze der aus Tunesien stammende Tänzer Hafiz Dhaou das Profil des Greifswalder Festivals ein.
„Das Festibal ist mit seinen stolzen 18 Jahren längst ihren Kinderschuhen entwachsen. Mit Freude konnte ich beobachten, dass sich Greifswald durch sie zu einem besonderen Ort des zeitgenössischen Tanzes und des internationalen Kulturaustausches im Nordosten der Bundesrepublik entwickelt hat“, sagte der Greifswalder Oberbürgermeister Arthur König. Es sei ein kleines Juwel unter den Festivals Mecklenburg-Vorpommerns geworden, dessen Strahlkraft jedes Jahr einen neuen Schliff bekommt. „Das zeigen die finanziellen Unterstützungen von Botschaften und internationalen Kulturinstitutionen sowie die Liste der bislang eingeladenen Künstler“, fügte er hinzu. Nach seinem Willen sollen die Tanztendenzen auch künftig ein fester Bestandteil im Kulturkalender der Stadt se
„Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist die Tanztendenzen wieder auszutragen. Überregional bringen diese unserer Sparte Ballett und dem Theater Vorpommern einen guten Ruf ein.“, so der neue Intendant des Theates Vorpommern, Dirk Löschner. Das Festival sei etwas Seltenes und sollte erlebt werden. „Für annähernd Vergleichbares muss man ansonsten nach Hamburg oder Berlin fahren.“ Im Hinblick auf die Zukunft des Festivals äußert er: „Es ist nicht gefährdet.“
„Mit den Tanztendenzen haben wir ungewollt das Zukunftsmodell im Bereich der Kultur produziert“, wirft Barbara Schöpf vom St Spiritus ein. 1993 wurde es vom Siemens Kulturprogramm, der LAG Soziokultur St. Spiritus und dem Theater Vorpommern gegründet. Ziel war es, in einer strukturschwachen Region durch ein innovatives Kulturprojekt beispielhafte Akzente im Bereich des Tanzes zu setzen. Nach dem Ausstieg von Siemens sei es gelungen eine Mischfinanzierung mit verschiedenen Partnern zu erreichen, um das Festival weiterführen zu können. Der Hebebühnen e.V. kam als Mitveranstalter hinzu. „Die vielen kleinen Beiträge bilden den finanziellen Background, um Tanz von hoher Qualität nach Greifswald und in die Region holen zu können“, so die Mitinitiatorin. Begeistert zeigte sich Monika Reinhold über die Tanztendenzen. 2011 entdeckte sie diese für sich und nahm in diesem Jahr an fast allen angebotenen Workshops teil. Dafür reiste sie jedes Mal von Usedom an. „Das Festival hat zur Entwicklung der Kunstszene beigetragen. Ganz toll fand ich in diesem Jahr die Performance auf dem Markt“, äußerte sie.
Bildunterschrift: Erstmals seit mehreren Jahren bot Olivia Cubero mit „Cette Immense Intimité“ bei den 18. Tanztendenzen im öffentlichen Raum ein Solo für Tänzerin und Wand dar. Foto: Uwe Roßner