Predigt vom 17. Februar 2008 von Raimund über Jesaja 5

Ihr Lieben,

um Wein soll es heute gehen – für Kneipenpredigten das richtige Thema. Um Wein – aber auch um das Anbauen desselben.

Wo der Wein wächst, gelesen, gekeltert und getrunken wird, werden Lieder gesungen. Das geschah zu allen Zeiten und an allen Orten. Der Genuss des Weines stimmt froh. Weinselige Menschen sind zumeist fröhliche Menschen. Und auch der Sänger des Weinberglieds war ein durchaus froher Mensch.

Er lebte im achten Jahrhundert vor Christus in Israel, wahrscheinlich in Jerusalem. Es war vielleicht auf einem Weinfest, als er folgendes Lied vortrug – ich hab, um mich den deutschen Hörgewohnheiten ein wenig anzupassen eine gereimte Form gesucht. Und was man auf so einem Fest erwartete, waren Lieder nicht nur über Wein, sondern auch über Weib und Gesang.

Wenn einer sagte: »Ich singe ein Lied über meinen Weinberg« – dann wussten die Leute: Der will nichts über Rebsorten und Öchslegrade erzählen, sondern Thema ist die Liebe. »Wein, Weib und Gesang« – das gab es auch schon im alten Israel. Stellen Sie sich also eine fröhliche Runde vor, es wird gebechert und gelacht. Und da steht einer auf und singt ein Lied. »Hört mir zu, Freunde, hört das Lied von meinem Weinberg:

 

«Auf fruchtbarem Hügel / da liegt mein Stück Land,

dort hackt ich den Boden / mit eigener Hand,

ich mühte mich ab / und las Felsbrocken auf,

baute Mauern um den Weinberg, / setzte Reben darauf.

Und süße Trauben / erhofft ich zu Recht,

doch was dann im Herbst wuchs / war sauer und schlecht.

Jerusalems Bürger, / ihr Leute von Juda,

was sagt ihr zum Weinberg, / was tätet denn ihr da?

Die Trauben sind sauer – / entscheidet doch ihr:

War die Pflege zu schlecht? / Liegt die Schuld denn bei mir?

Ich sage euch, Leute, / das tue ich jetzt:

Weg reiß ich die Mauer, / als Schutz einst gesetzt;

zum Weiden soll’n Schafe / und Rinder hinein,

ich sag euch, die Mauer, / die reiße ich ein!

Schlecht lohnte mein Weinberg / mir Arbeit und Schweiß,

den Menschen am Weg / geb’ ich ihn preis.

Ich will nicht mehr hacken, / das Unkraut soll sprießen!

Der Himmel soll ihm / den Regen verschließen!

Der Weinberg des H ERRN / seid ihr Israeliten!

Sein Lieblingsgarten / ist Jerusalem!

Gott hoffte auf Rechtsspruch / und erntete Rechtsbruch,

statt Gerechtigkeit / nichts als Schlechtigkeit,

statt Liebe und Treue / täglich Unrecht aufs neue!»

Soviel zum Thema Liebe, Wein und Fröhlichkeit. Die Stimmung kippt. Der Prophet ist ein Stimmungskiller. Das Fest wird zur Gerichtsverhandlung. Was als Unterhaltung beginnt, endet als Anklage. Keine Erheiterung, sondern Ernüchterung. Im Wein ist Wahrheit – Jesaja schenkt seinen Zuhörern reinen Wein ein. Ich möchte die Botschaft des Propheten in drei Stichworten zusammenfassen: Motiviert – frustriert – kuriert .

Motiviert

Jeder Weingärtner hat einen Weinberg, der ihm besonders lieb ist. So wie jener Schwabe, der einem Auswärtigen erklärte: »Noi, noi, von dem Wengert wird nix abg´liefert. Des wär viel zu schad – den Wein sauf´ i selber!« So war es auch im Lied des Propheten. Der Weinberg hatte die beste Lage, von der Sonne verwöhnt. Und der Weingärtner war mit ganzem Herzen bei der Sache. Liebevoll wird der Weinberg bearbeitetet. Er hackt den Boden mit eigener Hand, er setzt Schweiß und Mühe ein. Er bückt sich nach den Steinen – da bekommt man schon vom Zuhören Rückenschmerzen. Aus Felsbrocken schichtet er eine Mauer auf, damit der Weinberg geschützt ist vor Tieren und ungebetenen Erntehelfern. Wir sehen: Keine Mühe war ihm zu viel und keine Arbeit zu schwer. Voll motiviert – hier wird alles Menschenmögliche getan, damit die Ernte gut wird. Hat der Weingärtner etwas versäumt? Die Antwort ist: Nein. Mehr geht nicht.

Und nun sagt der Prophet: Dieser Weingärtner ist Gott. Gott setzt sich ein für sein Volk Israel. Voll motiviert – und das Motiv heißt Liebe. Liebe zu den Menschen, Liebe, die keine Arbeit und Mühe scheut. Sie wird sichtbar an der Geschichte Gottes mit Israel. Die Befreiung aus Ägypten, das Land Kanaan, in dem Milch und Honig fließt, die Stadt Jerusalem mit den Königen David und Salomo. Es ist nicht zu übersehen: Gott hat Israel gehegt und gepflegt, so wie ein Weingärtner seinen besten Weinberg. Israel lebt von der Fürsorge Gottes und erfährt reichlich seine Liebe.

Auch in meinem Leben sehe ich immer wieder dir Mühe, die er sich gibt, um mich endlich dazu zu bringen, „Frucht zu bringen“, das meint: deutlich als Christ zu leben und mich nicht immer wieder zu verstecken. Frucht zu bringen – den Menschen, der meine Worte probiert ein verzücktes Lächeln ins Gesicht zu zaubern – und nicht ihn ratlos und sauertöpfisch zu machen.
Und jetzt wartet Gott auf Antwort. Sein Volk Israel und wir Menschen sollen seine Liebe erwidern. In der Sprache des Weingärtners: Er will Frucht sehen, er möchte gute Trauben ernten. Aber die Mühe ist vergeblich, die Hoffnung bleibt unerfüllt. Was im Herbst wuchs, war sauer und schlecht.

Frustriert

Der Weingärtner ist enttäuscht. Alles vergebliche Liebesmühe. Wo die Reben voller Trauben hängen müssten, finden sich nur ein paar unreife Herlinge. Das reicht nicht mal dafür, einen edlen Sockenstopfer zu keltern. Alles umsonst! Die Arbeit, die Mühe, das Engagement – hätte man sich sparen können!

Bis hierher kann man das Lied das Propheten mit einer gewissen Schadenfreude anhören. Aber dann kommt die Kehrtwende: Bei dieser Lachnummer geht es um uns Menschen! Wir bringen das fertig, was in der Natur gar nicht möglich ist. Wir leisten uns das, ich leiste mir das, was kein Weinstock schafft: Trotz aller göttlichen Mühen bringt unser Leben keine Frucht. Die Motivation des Weingärtners war umsonst.

Zuerst motiviert und dann frustriert. Da fängt einer ein Geschäft an, arbeitet jeden Tag zehn Stunden und mehr – doch auf dem Kontoauszug stehen rote Zahlen. Der Laden kommt nicht auf Touren. Das mühselig gesetzte und illustrierte Buch liegt sinnlos auf der Festplatte herum. Alles vergebliche Liebesmühe – wie viele Lebensgeschichten mag es geben, die so verlaufen …

Und bei Gott? Müsste es da nicht anders aussehen? Auch die Geschichte Gottes mit Israel und mit uns Menschen ist keine Erfolgsstory. Aller Einsatz fruchtet nicht. Es kommt nicht zur Ernte. Die Fässer bleiben leer. Das ist die bittere Wahrheit, die der Prophet am Ende ausspricht. Gott hat seinem Volk die Zehn Gebote gegeben, Gott will, dass in unserem Zusammenleben Gerechtigkeit und Nächstenliebe verwirklicht werden. Doch davon ist nichts zu sehen.

Jesaja klagt seine Zuhörer mit harten Worten an:
Gott hoffte auf Rechtsspruch / und erntete Rechtsbruch,
statt Gerechtigkeit / nichts als Schlechtigkeit,
statt Liebe und Treue / täglich Unrecht aufs neue!

Israel bleibt hinter den Anforderungen Gottes zurück. Die Reichen leben auf Kosten der Armen. Die Händler in Jerusalem verdienen gut, doch der Landbevölkerung geht es schlecht. Lüge und Betrug gehören zum Geschäft mit dazu. Kann man es dem Weingärtner übel nehmen, wenn er zornig wird? Muss er das alles noch länger mit ansehen?

Letzten Monat hat mir Ingo hier gewaltig den Kopf gewaschen. So ähnlich müssen sich auch die Leute damals gefühlt haben: Ihr baut nur Mist – und tarnt ihn hinter gelehrten Sprüchen. Was hier läuft, ist nicht in Ordnung, das geht an der Zielstellung vorbei. Ihr habt doch eigentlich genug Mühe und Zuwendung erfahren – was ist denn los?
Doch mit dem Begriff »Wein« wird auch noch ein anderes Thema angesprochen. Für die Bibel ist der Wein das Zeichen für die Heilszeit, für das Fest und die Freude der Gegenwart Gottes. Nach allem Leid in dieser Welt, nach allen Erfahrungen mit verlorener Liebesmühe lädt Gott uns ein. An seinem Tisch will er uns beschenken mit seiner Fülle. Unser Leben soll im Fest der Freude zur Vollendung kommen. Aber wir Menschen wollen nicht. Wir geben Gott einen Korb und drehen ihm den Rücken zu. Unser Egoismus ist uns wichtiger als das, was Gott uns schenken will. Gottes Tisch bleibt leer und das Heil unerfüllt. Wie hart muss das für Gott sein: Er gibt uns das Leben, er ist motiviert und will nur das Beste. Und dann sehen wir ihn frustriert und enttäuscht.

Kuriert

Der Weingärtner ist kuriert. Mit diesem Weinberg will er nichts mehr zu tun haben. Er reißt die Mauer ein und lässt den Weinberg von Mensch und Tier zertreten. Er hat schon genug Zeit und Mühe verschwendet – jetzt ist Schluss.
Würden wir anders handeln? Wie oft haben wir schon Schluss gemacht und Menschen abgeschrieben? Wie oft ist unser Urteil schon vernichtend ausgefallen: »Bei dem ist Hopfen und Malz verloren«? Was soll ich mich mit dem Typen anfangen – der kriegt doch nix auf die Reihe? Müsste ich mich wundern, wenn jemand das über mich sagt? Ich glaub nicht. Ich hab das in meinem Leben auch schon erfahren müssen. Das tut weh – ist aber durchaus auch verständlich.
Und Gott? Ist er am Ende auch kuriert? Enttäuscht, weil seine Liebe fruchtlos bleibt? Gibt Gott auf, weil er merkt, dass auf dem Boden dieser Welt nichts Rechtes gedeiht?
Jesaja kündigt das Strafgericht an. Der Weinberg wird der Verwüstung preisgegeben. Dazu braucht es nicht Blitz und Donner vom Himmel. Gott braucht nur seine schützende Hand wegzuziehen, den Rest erledigen wir Menschen dann selbst. Wo Gott unser Miteinander nicht mehr ordnet und lenkt, da schlägt die menschliche Natur durch, da beginnt die Verwüstung wie von selbst. Der Weinberg wird sich selbst überlassen. Und das wäre auch für uns die schlimmste Strafe: Wenn Gott die Menschheit sich selbst überlässt, wenn er uns allein lässt mit unserem Hass und allem Neid und aller Friedlosigkeit. Dann ist wirklich Schluss mit lustig. Dann geht alles kaputt.

Die Lage in Jerusalem, Israel und Juda war damals im achten Jahrhundert vor Christus bedrohlich, als der Prophet Jesaja Gottes Gericht ankündigte. Eine korrupte Herrschaftsschicht zerstörte das Land. Der Zerfall des Reiches stand bevor. Die Menschen waren drauf und dran, den Zuspruch Gottes zu verspielen. Das markante Wort des prophetischen Sängers spitzt die Lagebeurteilung zu: Rechtsbruch statt Rechtsspruch, Schlechtigkeit statt Gerechtigkeit. Die Weinfestbesucher dürften diese klare Ansprache verstanden haben.

Doch trotz der harten Worte des Propheten ist das Weinberglied, das Lied von der Liebe Gottes zu den Menschen hier nicht zu Ende. Trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen: Gott ist nicht von den Menschen kuriert, sondern er will uns kurieren. Gott pflanzt einen neuen Weinstock, um im Bilde zu bleiben. Er will uns zeigen: so kann es gut gehen. Es ist Jesus Christus, der von sich sagt: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.« So beginnt das göttliche Kurieren. Das müssen wir einsehen: Wir sind von Jesus Christus abhängig. Aus uns selbst leben wir an Gott vorbei. Aus uns selbst wächst keine Frucht. Aber in der Verbindung mit Jesus, da werden wir verändert, da strömt uns eine neue Lebenskraft zu wie zwischen Weinstock und Rebe.

Diese Lebenskraft ist stärker als meine Angst, zu kurz zu kommen. Lebe ich als Christ in dieser Gewissheit? Hänge ich an ihm wie die Rebe am Weinstock? Oft bin ich wahrscheinlich dabei, mich lösen zu wollen. Und dann verdorrt alles in mir. Denn eigentlich, wenn ich mich ihm verbunden weiß, dann kann ich mein Leben nicht mehr aufteilen in erfüllte und nutzlose Stunden, in gute und schlechte Zeiten, in Abschnitte mit Gott und in Tage, wo es auch ohne ihn ganz gut läuft. Das funktioniert dann einfach nicht mehr. Und mit jeder neuen Erfahrung wächst das Vertrauen. Gott ist am Werk. Es ist die liebende Hand des Weingärtners, der dafür sorgt, dass Frucht wachsen und reifen kann. So werden wir kuriert, so verändert Gott unser Leben.

Amen.