Der Song, der meine Lage zur Zeit am besten umschreibt, kommt von dem in Berlin ansässigen Trio Black Kat & Kittens. In ihrem „Jobcenter Blues“ umschreiben sie genau das Gefühl, was mich selbst immer wieder überkommt, wenn der Kontostand den Gang zum Amt mal wieder unausweichlich macht. Das Gefühl, sich vor den Angestellten demütigen zu müssen, die Lage schonungslos offenzulegen. Und nicht zu wissen, ob denn die Anträge so schnell bearbeitet werden, dass man nicht hoffnungslos in die Verschuldung gerät. Klar, die normalen Sachbearbeiter in diesen Ämtern, mit denen ich es bislang zu tun hatte, waren alle irgendwie engagiert und zuvorkommend. Woher immer wieder die verzögernden Nachforderungen oder Nachfragen kamen, war mir nie ganz klar. Doch genau das: vom Wohlwollen anderer abhängig zu sein, ist zutiefst erniedrigend. Es ist schlecht für‘s Selbstbewusstsein.
JOB CENTER BLUESMy rents always lateI can‘t find no workTemptations in my wayBut I just gotta prayOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateI got the jobcenter bluesDon‘t wanna walk in my shoesTrying to convince myselfEverythings okEnd of the month blues creeping inStanding in my wayOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateOnly that devil knowsExactly where I‘m atI‘m sinking deeperInto the spiders horrible trapOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateI got the jobcenter bluesDon‘t wanna walk in my shoesLorraine Lowe and Adam Sikora © 2013 all rights reserved.
Factory Closing BluesLord these factory closing blues are slowly killing me right nowWell I woke up this morning, Lord those factory gates were closedWoke up this morning, the factory gates were closedWell I woke up this morning, Lord those factory gates were closedWoke up this morning, the factory gates were closedWell the boss man told me, “Son, you better get on back home”Well I looked in my cupboard, there was no food in my houseLooked in my cupboard, there was no food in my houseWell I looked in my fridgerator, there was no food in my houseLooked in my cupboard there was no food in my houseI felt as hungry as a little old church mouseLord these factory closing blues are slowly killing me right nowLord these factory closing blues are slowly killing me right nowWell I visit my Preacher, I asked him what I’m gonna do?Went to my Preacher for him to tell me what to doWell I visit my Preacher, I asked him what I’m gonna do?Went to my Preacher for him to tell me what to doHe said get on your knees boy and ask the Lord to forgive youI’m gonna jump in the river, I’m gonna leave this vale of tearsJump in the river, gonna leave this vale of tearsI’m gonna jump in the river, I’m gonna leave this vale of tearsJump in the river, gonna leave this vale of tearsI’m gonna sit right down next to Jesus, He’s gonna sort out all my fearsLord these factory closing blues are slowly killing me right nowLord these factory closing blues are slowly killing me right now© Marshall Lawrence
JoblessGot a number from the bathroom wallThought it over and gave her a callShe was a little bit larger then lifeHow was I to know she‘s my bosses wifeChorus:Now I‘m jobless (shout chorus) unemployedI‘m jobless (shout chorus) ain‘t got no jobCause I‘m jobless and lookin‘ for work right nowI just spent my last 25 cents and my car has been repossessedMy women left me for another man now I‘m on the streets just doin‘ what I can(Repeat Chorus)Shared a bottle with a bum on the streetWoke up with no shoes on my feetMy legs were aching and my belly was thinMan I wish I woulda‘ never drank that gin(Repeat chorus and last verse)© Allen Vega 2012
Schon in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre wurde die vergebliche Suche nach Arbeit im Blues immer wieder thematisiert.
It‘s hard time here hard time everywhere.
I went down to the factory
where I worked for years,
And the bossman told me
that I ain‘t comin‘ here no more.
Der Bluessänger J.D. Short schnappte diese Geschichte 1933 in einer Schlange von Arbeitslosen in St. Louis auf. Im Süden breitete sich die neue Armut zwar langsamer, aber mit den gleichen katastrophalen Folgen aus: Die eine Zeitlang künstlich hochgehaltenen Baumwollpreise purzelten steil nach unten. Da ist die Situation, wie sie Barbecue Bob in Atlanta schildert, ähnlich wie die von Short:
You heard about a job,
Now you is on your way,
Twenty men‘s after the same old job,
all in the same old day.
Hard Times, hard times,
we sure got hard times now…
Lard and bacon
gone to a dollar a pound,
Cotton had started to sellin‘
but it keeps going down and down.
In Birmingham (Alabama} begann die Plattenkarriere des Pianisten Walter Roland mit der Aufnahme des „Red Cross Blues“: Es geht um das Gefühl der Erniedrigung, sich um milde Gaben bemühen zu müssen. Aber unterschwellig soll das Stück auch die Angst beschrieben haben, dass Hilfsstationen des Roten Kreuzes nur verdeckte Rekrutierungsbüros der Armee seien. Und für viele galt damals: Hungern ist besser als Wehrdienst.
Me and my girl talked last night
and we done talked for hours,
She wanted me to go to that Red Cross store
and get a sack of that Red Cross flour
I told her no!
Woman, I sure don‘t wanna go …
Obwohl die Bluesmusiker ihren Beruf häufig deshalb wählten, damit sie nicht auf der Farm oder in der Fabrik arbeiten mußten, wurden auch sie von der Wirtschaftskrise heimgesucht: Sie nahm ihnen ihr zahlendes Publikum. Einige flüchteten sich in bitteren – im wahrsten Sinne des Wortes „schwarzen“ Humor, wie z.B. der aus St. Louis stammende Sänger und Gitarrist Charley Jordan in seinem „Starvation Blues“ aus dem Jahre 1931 :
Well I used to eat cake, Baby,
but now I have to eat combread,
And I would rather be sleepin‘ in some graveyard dead
Now I almost had a square meal the other day,
But the garbage man come and he moved the can away.
Sänger wie Jordan und Roland waren noch gut dran: Sie hatten überhaupt die Möglichkeit, ihre Gedanken einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Die Plattenindustrie lag darnieder. Künstler, die vor der Krise von ihren neuen Platten zehntausende verkauft hatten, mussten sich mit Auflagen im dreistelligen Bereich zufrieden geben. Und neuen Künstlern gaben die Labels es recht keine Chance. 1931 hatten sie die „Field-Recording Programme“ in den Südstaaten aufgegeben, und 1933 waren sogar die Studios in New York und Chicago selten ausgelastet.
Mit dem „New Deal“ änderte sich die Lage langsam, auch für die Musiker. Gerade Arbeitsbeschaffungsprogramme wie die der Public Works Administration (PWA) oder der Organisation zur Beschaffung von Arbeitsplätzen WPA gaben vor allem den Schwarzen endlich wieder die Möglichkeit, mit Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das schlug sich auch in einigen Bluestexten nieder. So sang Jimmie Gordon:
Lord, Mr. President
Listen to what I‘m going to say
you can take away all the alphabet,
But please leave the PWA
Und auch Big Bill Broonzy sang der WPA im „WPA Rag“ ein Loblied. Doch nicht alle waren so euphorisch. Denn im Rahmen der öffentlichen Arbeiten in den Städten, wurden zahlreiche herunter gekommene Wohngebiete abgerissen. Und betroffen waren hiervon vor allem die Schwarzen. Und auch wenn man einen Job bei der WPA bekam, hieß das nicht, dass der Lohn immer rechtzeitig gezahlt wurde. So klagt Peetie Wheatstraw:
I‘m working on the project,
Trying to make both ends meet
But the payday is so long
Until the grocery man won‘t let me eat
Auch wenn immer wieder die Bedeutung der Bluessänger als Kommentatoren des Zeitgeschehens betont wird: Derartige politische Lieder sind unter den vielen Aufnahmen schon damals die Ausnahmen gewesen. Politische Lieder, Blues oder nicht, werden nur in den seltensten Fällen zu Hits. Und daher werden sie auch nur selten veröffentlicht. Und noch seltener werden sie dann auch im normalen Radio gespielt.