Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler, ob in seinen Songs oder auch so. Mehr als 70 Jahre dauerte die musikalische Karriere des Sängers, Pianisten und Songwriters Jimmy McCracklin. Auch wenn er niemals so große Erfolge wie etwa sein Zeitgenosse B.B. King feiern konnte, gehörte er zu den wichtigen Interpreten des Westküstenblues mit seiner Mixtur aus Jazz, Blues, Jump und Rhythm & Blues. Bis weit ins 21. Jahrhundert war er vor allem auch auf europäischen Festivals ein gern gesehener Gast. Am 20. Dezember 2012 ist Jimmy McCracklin im Alter von 91 Jahren in San Pablo in Kalifornien verstorben.

Es waren die späten 30er und vor allem die 40er Jahre, in denen Kalifornien zu einer wichtigen Bluesregion wurden. Gerade nachdem die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, boten die dortigen Werften eine Menge Arbeitsplätze. Und mit den Arbeitern kamen auch die Musiker aus den Südstaaten an den Pazifik.
Jimmy McCracklin (eigentlich James David Walker, geboren am 13. August 1921 entweder in Memphis oder irgendwo in Helena in Arkansas – McCracklin bestritt sogar das Geburtsjahr und meinte, die Unterlagen hätten ihn zehn Jahre zu alt gemacht) trat 1938 der Navy bei und blieb nach seiner Entlassung in Kalifornien. (Seinen eigenen Erzählungen nach war er zuvor als Profiboxer tätig gewesen, sei aber von den Ringrichtern um den Erfolg in einem Meisterschaftskampf betrogen worden. Allerdings zählt das alles – wie so einige Erzählungen von McCracklin – zu den nicht nachprüfbaren Legenden.) Schon als Kind hatte er bei dem in den 30er Jahren legendären Barrelhouse-Pianisten Walter Davis Unterricht bekommen. Und das half ihm dann, seine musikalische Karriere in Kalifornien zu starten. Zunächst spielte er im Club Savoy in Richmond, der seiner Schwägerin Willie Mae Johnson gehörte. Die Hausband des Clubs spielte nicht nur selbst sondern war auch für die Begleitung der gastierenden Stars zuständig: B.B. King, Charles Brown oder auch L.C. Robinson.

 

1945 veröffentlichte McCracklin seine erste Single „Miss Mattie Let Me“. Und in den nächsten Jahren kamen seine Singles bei einer Vielzahl von kalifornischen Kleinlabels heraus, ohne wirkliche Hits zu sein. Auch als er 1949 auf Vermittlung von Bob Geddis bei Modern Records landete, half ihm das nicht weiter. Bei irgendeiner mies gebuchten Tournee strandete McCracklin schließlich in Chicago, wo er mit seiner Band The Blues Blasters für sagenhafte 11 Dollar „The Walk“ aufnahm. Das Band brachte er zum Chess-Sublabel Checker. Und das wurde 1958 tatsächlich ein Hit nicht nur in den R&B-Charts sondern auch in der Pophitparade. Selbst ein Auftritt beim „American Bandstand“ kam dabei für ihn heraus. Aber als er dachte, beim großen Label Mercury wäre er besser aufgehoben als beim kleinen Chess in Chicago: das dürfte einer seiner größten Irrtümer gewesen sein. Zwar entstanden in den Monaten bis Anfang 1960 in den Mercury-Studios eine Menge guter Songs – eigene und auch herausragende Coverversionen etwa von Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“. Mercury aber hatte keine Ahnung, wie man einen Bluessänger – auch wenn seine Musik auf den damaligen Rock&Roll-Markt zielte – vermarkten sollte.



Den nächsten Singlehit hatte er erst paar Jahre später. Und den hatte er auf seinem eigenen Label heraus gebracht. Denn für die nächsten Jahre war er wieder ganz auf die kleinen Labels gebucht. Höchstens ein 1971 für Stax entstandenes Album sticht da heraus – McCracklin hatte mit seinen Songs inzwischen nahtlos den Übergang auch in die Soulmusik geschafft. Ja, einer seiner größten Erfolge (auch wenn er ihn niemals selbst aufgenommen hatte) ist untrennbar mit dem Memphis Soul der 60er verbunden: „Tramp“ war mehrfach in verschiedenen Fassungen in den Hitparaden, noch immer am populärsten die Fassung von Otis Redding und Carla Thomas. Ok, die Hiphop-Generation kennt wahrscheinlich eher die Fassung von Salt‘n‘Peppa aus den 90ern…
Insgesamt hat McCracklin mehr als 1000 Songs geschrieben und mehrere hundert selbst aufgenommen. Gerade in den 90er Jahren interessierten sich auch wieder Plattenfirmen wie Rounder den Songwriter und Pianisten. Und etliche Bands wie etwa die Mojo Blues Band aus Österreich luden ihn zu Sessions und Konzerten ein. Bob Dylan und andere Musiker outen sich als Fans. Und dann kommen die üblichen Ehrungen für die lebenden Legenden: Blues Hall of Fame und ähnliche Institutionen haben ihn aufgenommen.
Aber wichtig war ihm eigentlich bis ins hohe Alter die Musik: Bis ihn die nachlassende Gesundheit daran hinderte, war er eigentlich immer auf der Bühne irgendwo in Kalifornien, in den USA oder Europa. Neben B.B. King war er der letzte Musiker aus den 50ern, der noch aktiv war. Und irgendwie ist seine Musik auch immer von diesem Flair getragen worden.

Was wohl nie geklärt werden kann ist die Behauptung McCracklins, er sei der Verfasser von B.B. Kings größtem Hit „The Thrill Is Gone“ gewesen. Noch vor wenigen Jahren hatte er einem Journalisten des San Francisco Chronicle einen alten Briefumschlag gezeigt, mit dem er sich selbst den Titel per Post habe zugeschickt – damals ein beliebter Beleg, der auch vor Gericht bei Streitigkeiten anerkannt wurde. In vorhandenen Filmaufzeichnungen sieht man McCracklin und King gemeinsam über das Thema lachen. Der eigentlich auf dem Cover aufgeführte Songwriter Rick Darnell bestreitet das natürlich vehement. Er habe den Song damals für Roy Hawkins in einem Zug mit der B-Seite der Single herunter geschrieben.
Aber eigentlich muss man die Geschichte auch gar nicht auflösen. Man kann sie einfach im Zusammenhang mit dem Leben und Erzählen eines der großen Bluesmusiker der Nachkriegszeit im Kopf behalten. Jimmy McCracklin, Pianist, Songwriter und vielleicht auch Profiboxer und derjenige der „The Thrill Is Gone“ geschrieben hat. Oder auch nicht. Musiker wie ihn gibt‘s im Blues kaum noch. Und vor allem nicht solche musikalischen Geschichtenerzähler. Da steht er in einer Reihe mit Lightnin Hopkins oder Big Bill Broonzy und Chuck Berry.