„Harmonium und Männerchor – so stell ich mir die Hölle vor“, soll ein Komponist einmal über das Harmonium gesagt haben. Wo die Wunder der Elektronik es noch nicht überflüssig gemacht haben, wird es auch noch heute in vielen Gemeinden für die musikalische Begleitung von Gottesdiensten verwendet.

Doch in der Musikwelt spielt der „Großvater des Synthesizers“ nur noch ein Schattendasein. Die Geschichte dieses zum Aussterben verurteilten Instrumentes zeichnet ein Buch nach, das Studenten und Lehrkräfte der Universität in Bochum 1996 veröffentlichten .

Erfunden wurde das Harmonium seinerzeit, um die Orgel zu verbessern, deren Klang das Publikum häufig als zu hart empfand. Der große Vorzug des Harmoniums: Seine Zungen waren freischwebend. Dadurch ließ sich die Tonhöhe halten und gleichzeitig die Lautstärke des Tons verändern. Außerdem brachte es sowohl durch den Winddruck als auch durch einen Saugeffekt Töne hervor, so dass beliebig lange Töne möglich waren. Das Harmonium war darüber hinaus preiswert und für Laienmusiker spielbar.

Dennoch wurde es nicht nur geliebt. Kritiker schimpften auf seine gravierenden klanglichen Mängel und befürchteten, es würde den Geschmack des breiten Publikums verderben. Seine vielen abfälligen Beinamen wie Choralpumpe, Psalmenquetsche oder Hallelujavergaser beziehen sich zumeist auf die liturgische Funktion des Instruments. Heute ist es beinahe vergessen – nur die Firma Yamaha in Japan baut noch Einzelstücke.

Im frühen 20. Jahrhundert war der deutsche Harmoniumbau ein bedeutender Industriezweig. 185 Firmen stellten die Instrumente her, 20 bis 30 Prozent von ihnen wurden durchschnittlich exportiert. Man nutzte das Harmonium für religiöse Musik – auch in Asien und Afrika, da es für klimatische Einflüsse unempfindlich war – für die (Stumm-)Filmmusik, die Hausmusik und die Ensemblemusik in Operette und Oper anstelle einer Orgel. Seine Hochzeit hatte die Harmoniumproduktion zwischen dem Beginn des 20. Jahrhunderts und den 1960er Jahren, als elektrische Instrumente wie der Synthesizer begannen, es zu verdrängen. Nur in der DDR wurde es bis 1990 noch weiter gebaut.

Christian Ahrens, Gregor Klinke (Hg.): Das Harmonium in Deutschland. 2. Auflage, Verlag Erwin Bochinsky, Frankfurt am Main 2001; ISBN 3-923639-05-8.

(Anmerkung: Der Beitrag erschien zuerst 2001 in der Pommerschen Kirchenzeitung. Weitergehende geschichtliche Abhandlungen finden sich im Internet unter anderem unter www.harmoniumservice.de oder beim Arbeitskreis Harmonium in der Gesellschaft der Orgelfreunde.)