Blues aus Michigan? Klar: John Lee Hooker begann seine großartige Karriere in Detroit. Und auch andere Musiker zogen die Jobs in der Autoindustrie in die Gegend. Und frühen Rockbands wie MC5 oder die Stooges konnte man immer noch ihre Blueswurzeln anhören. Vom Soul eines Mitch Ryder mal ganz zu schweigen. Und mit Motown begann ja ein ganz eigenes Kapitel der farbigen Musik. Heute ist Detroit für Musikerinnen wie Joanne Shaw Taylor die Wunschheimat. Aber was ist eigentlich außerhab von Motorcity?

Flint kenne ich ehrlich gesagt nur über "Roger and Me" von Michael Moore. Eine Stadt mit Problemen, gegen die die Wirtschaftskrise selbst im ländlichen Raum Vorpommerns wie eine leichte Magenverstimmung wirken. Eine Großstadt ohne eigene Tageszeitung. Tausende Wohnungen wurden schon abgerissen, um leere Stadtviertel verschwinden zu lassen. Perspektiven gibt es nicht wirklich. Und alle paar Jahre muss die Stadt, wo Ende der 70er noch 80.000 Menschen Autos für General Motors montierten, unter finanzielle Zwangsverwaltung gestellt werden. Heut gibts wohl noch 8000 Autobauer in Flint. Buick City, die riesige Fabrik von GM wurde vor einiger Zeit abgerissen.

Eigentlich eine ideale Gegend für den Blues. Jedenfalls für Musiker, in heute noch in dieser antiquierten Sprache ihr Mittel der Wahl sehen. Für den Gitarristen und Sänger Greg Nagy ist es das sicherlich. Blues, Soul, Funk und Gospel verschmelzen bei ihm zu einer mitreißenden Einheit. Natürlich ist Muddy Waters ein Einfluss. Aber noch mehr bei Nagy die Gitarrensounds von Albert und Freddie King. Und natürlich Motown aus der Nachbarschaft und Stax aus dem fernen Memphis.

War schon sein Solodebüt „The Thin Fine Line“ ein Juwel für jede Bluessammlung, so ist sein 2011 erschienenes Nachfolgealbum „Fell Toward None“ eigentlich ein Pflichtkauf für Freunde zeitgemäßer Bluesmusik. Das geht schon los mit dem einzigen Cover der Scheibe, einer ziemlich am Original orientierten Version von Freddie Kings „Pack It Up“, wird aber erst so richtig klar bei Nagys eigenen Stücken. „Wishing Well“ etwa, wo Nagy eines seiner beeindruckenden Solos irgendwo zwischen Hendrix und den Kings hinlegt. Tempo-Shuffle par excellence. Und als nächstes kommt gleich eine Soulnummer: „Be With You“, die gut auch irgendwo in Memphis oder Muscle Shoals entstanden sein könnte. Während Nagys Gesang hier manche gar an Ray Charles erinnert. Oder das funkige „Can’t Take It No More“ oder gar „Let It Roll“, wo Nagy gleich ganz in das Territorium von James Brown wechselt. Unterschiedliche Stile aber alle gleichermaßen großartig gemeistert. Unterstützt wird Nagy bei dem Album neben seiner eigenen Band immer wieder auch von den Motor City Horns, die das nötige Blech liefern.

Schwächere Songs? Gibt es kaum. Wenn man nicht „Facebook Mama“ als solchen ansehen will. Manchen ist die witzige Geschichte einfach zu blöd. Aber das ist Geschmackssache. Und manchen ist ein Song wie „For a broken heart“ mit seinen unerwarteten Wechseln zu wenig eingängig. Die sind einfach nicht darauf gefasst, dass ein Bluesman heutzutage auch seine Jazz-Skalen gelernt haben könnte. Und die Gebrochenheit und Unberechenbarkeit macht gerade Nummer zu einer der spannendsten des ganzen Albums.

 Dann gab es eine längere Pause. Nur die Single "Won't Give Up" erschien und wies auf persönliche Probleme hin. Doch als dann schließlich "Stranded" erschien, war klar: Hier hat ein Bluesman seine ganze Kraft in ein Album und seine Songs gelegt. Ob er nun Bobby Blue Blands "Ain't No Love In The Heart of the City" interpretiert oder eigene Stücke wie "Been Such a Long Time" spielt: Das ist Soulblues von einer Intensität, die sehr selten geworden ist. Und es ist Musik eines Künstlers, der sich mit der Musik aus einer Lebenskrise befreit hat.