Die Arbeits- und Obdachlosen und die bankrotten Börsenmakler, die sich in ihrer Verzweiflung aus den Fenstern der New Yorker Börse gestürzt haben sollen, waren nicht die einzigen Opfer der Weltwirtschaftskrise. Um 1933 hätte man auch dem Country Blues fast ein Grabmal errichten können.

Als sich die Schallplattenindustrie Mitte der 30er Jahre wirtschaftlich zu sanieren begann und ihr Augenmerk wieder auf den Blues richtete, war sie nicht mehr an dieser Form interessiert. Der singende, sich selbst auf der Gitarre begleitende Bluesman war out und nur noch selten ein willkommener Studiogast. Gefragt war nun ein lauterer und tanzbarerer Sound. Für viele große Blues-Interpreten der 20er Jahre bedeutete dies das Ende ihrer Karriere.

 Wer damals die Erfolgsleiter des Blues erklomm, wie Big Bill Broonzy, Memphis Minnie, Roosevelt Sykes und Lonnie Johnson, hatte sich der neuen Stilrichtung angepasst und nahm es als gegeben hin, dass Platten zusammen mit Begleitmusikern eingespielt wurden.

Nehmen wir z.B. die Karriere von Big Bill Broonzy, einem Star der 20er Jahre: Vor der Weltwirtschaftskrise war Broonzy allein mit seiner Gitarre aufgetreten, ehe er dann zwei Jahre praktisch in der Versenkung verschwand. Als er 1934 zur Szene zurückkehrte, passte er sich dem vorherrschenden Geschmack an und ließ sich von einem Pianisten und einem Bassisten begleiten. Ende der 30er Jahre bestanden seine Begleitbands bereits aus einer 4- bis 5-Mann-Besetzung. Gemeinsam mit seinem Halbbruder ”Washboard Sam“ gehört er zu den größten Stars des Blues in Chicago der dreißiger und vierziger Jahre.

Geboren wurde Big Bill Broonzy am 26.6. 1893 in Scott, Mississippi, in ärmlichen Verhältnissen; seine Eltern waren noch Sklaven gewesen. Er wuchs in Arkansas auf, wo er auf einer selbst gebastelten Zigarrenkisten-Violine seine ersten musikalischen Versuche unternahm. Er verließ den Süden und ging 1920 nach Chicago mit dem festen Vorsatz, dort alles zu erreichen, was der weiße Mann hatte: Geld, Garderobe, großes Auto. Er hat es geschafft. Mit vierundreißig Jahren gelang ihm 1927 die erste, 1928 veröffentlichte, Schallplattenaufnahme. Bis 1957 hat er dann unter verschiedenen Namen und auf den verschiedensten Labels mehr Platten eingespielt als jeder andere Bluesmusiker seiner Generation. Und auch dem weißen Publikum wurde Broonzy durch sein Mitwirken in John Hammonds Konzerten ”Spirituals To Swing“ 1938 und 1939 in der New Yorker Carnegie Hall bekannt.

Ende der vierziger Jahre schwand Broonzys Popularität. Er arbeitete nun als Portier am Iowa State College und trat nur gelegentlich auf. Er schloss sich mehr und mehr weißen Folksong-Leuten um Woody Guthrie und Pete Seeger an. Einerseits führte das zur Verstärkung sozialkritischer Züge in seinen Liedern: Beispiele sind Lieder gegen die Rassendiskriminierung wie ”When Will I Get To Be Called A Man“ oder ”Black, Brown And White“. Andererseits kehrte sich Broonzy von seinem ursprünglichen schwarzen Publikum ab und sang jetzt vorwiegend für einen Kreis weißer Enthusiasten, was zur Stilisierung und Glättung seiner Vortragsweise führte. Bei seinen Tourneen durch England in den 50ern wurde er als letzter echter Bluesman angekündigt. Mit diesen Konzerten machte er als einer der ersten damit den Blues auch in Europa bekannt.

Dann kam 1958 das tragische Ende. Wegen eines Kehlkopfkrebses musste sich Broonzy operieren lassen, wodurch er seine Stimme verlor. Der britische Jazz-Musiker Chris Barber und andere veranstalteten ein Konzert in London, dessen Erlös eine Operation ermöglichen sollte. Das Konzert erbrachte 500 Pfund, aber das Geld kam zu spät. Am 14.8. 1958 starb Big Bill Broonzy auf dem Weg zum Krankenhaus in einem Ambulanzwagen.