Wer einen gewissen Hang zu Liebesgeschichten in einem historischen Kostüm-Aufgebot hat, sich von einer leichten Story einlullen lässt und Parallelen zu einem bekannten deutschen Autoren des 18./19. Jahrhunderts erkennen möchte, dem sei der Film „Goethe – Ausrufezeichen“ an dieser Stelle empfohlen. Wer hingegen erwartet hat, dass das Goethe-Denkmal des Deutschlehrer-Heers durch die Darstellung von kleinen unwichtigen Ausschweifungen unterminiert wird, kann sich auf eine Enttäuschung einstellen.

Goethe – Ausrufezeichen Wer an Goehte „ran“ möchte, darf das nicht einfach so. Dazwischen steht noch ein Heer von Deutschlehrern, Besserwissern und Menschen, die Goethe in irgendeinen lächerlichen aktuellen Zusammenhang zwingen möchten. An diesen Menschen muss man vorbei und es gelingt nie, da sie immer zuerst da waren und den Zugriff auf das Oeuvre Goethes ein Leben lang nachhaltig prägten. Es gehört also eine Überdosis an Verdrängung dazu, um sich eine eigene Perspektive zu erarbeiten. Und wenn es soweit ist, stellt man erschreckend fest, wie banal das Denkmal Goethe doch eigentlich ist. Kein großen Diskurs der damaligen Zeit hat der Dichterfürst in irgendeiner Form bereichert. Seine Ausflüge in die Wissenschaften (bekennender Neptunist, Verfasser der „Farbenlehre“ etc.) sind unwichtig und wären auch zurecht vergessen, wenn ihr Verfasser nicht jenes Monument gewesen wäre. Während Schiller in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ in der Zweckungebundenheit der Kunst die Freiheit entdeckte, hielt sich Goethe auffällig zurück. Er war kein Mensch der großen Gedankensysteme; er hätte dazu lieber ein Gedicht geschrieben. Wie jeder andere kunstschaffende Mensch litt er an herben Selbstzweifeln und versuchte bei einsetzendem Erfolg, diesen zu festigen und arbeitete zu Lebzeiten (wie man heute sieht, sehr erfolgreich) schon an dem Bild, welches er posthum von sich sehen wollte. Er war also der erste Architekt des Monumentes Goethe, an dem sich heute alle orientieren müssen und dessen Wächter das oben genannte Deutschlehrer-Heer ist, die die Meinungshoheit darüber besitzen und die einzigen sind, die eventuell ein bisschen an der Statue feilen dürfen. Alle sind sie auf ihn reingefallen! Das ist auch nicht weiter schlimm; es ist einfach nur banal.

Die Freude – oder man muss fast sagen: Gier – am Banalen ist es auch, was die Anlage des Films „Goethe Ausrufezeichen“ kennzeichnet. Dass dadurch der Film selbst banal ist, scheint den Regisseur Philipp Stölzl nicht zu stören. Hier soll nicht der Künstler, sondern der angreifbare Mensch Goethe gezeigt werden. Vermutlich litten die Filmmacher noch viel ärger an dem Deutschlehrer-Heer als gewöhnliche Menschen und versuchen nun in ihrer Goehte-Darstellung ihr Syndrom zu überwinden. Wenn also der Künstler Goethe nicht viel hergibt, tut es vielleicht der Mensch? Hier ist viel Spielraum und Platz für eigene Interpretationen, wie man mit dem Syndrom fertig werden kann. Und wenn man sich schon für Banalität entschieden hat, kann man auch etwas nehmen, was breitenpublikumtauglich ist, nicht viel Kreativität benötigt und die Vorlage vom Protagonisten selbst stammt: kurzum – eine Liebesgeschichte. Ähnlich wie vor sechs Jahren der Illias-Stoff aufgegriffen und mithilfe einer ‚Lovestory‘, die in dieser Form bei Homer nicht stattgefunden hat, in eine Hollywood-Grammatik übersetzt und die gesamte Abscheulichkeit „Troja“ genannt wurde.

Der Film zeigt den jungen Goethe während seines Jura-Studiums und die Genese des „Werthers“, welcher seinen literarischen Weltruhm begründete. Stölzl macht daraus einen autobiographischen Werther-Abklatsch, der seinen grausamen Höhepunkt im Geschlechtsverkehr Goethes und dem alter ego Charlottes findet, womit die Werther-Vorlage auch vollkommen verraten wurde. Richtig unangenehm wird es, wenn während des Films bekannte Zitate des Dichters, die vermutlich aus einem „Goethe-für-Anfänger“-Buch in einzelne Szenen mit eingestreut werden („Junges Fräulein darf ich’s wagen…“). Welchen Effekt der Wiedererkennungswert dieser Phrasen evozieren soll, weiß ich nicht, habe zwar einen Verdacht, bin aber selbst in einem Verriss noch zu höflich, dies zu exiplifizieren. Wer also einen gewissen Hang zu Liebesgeschichten in einem historischen Kostüm-Aufgebot hat, sich von einer leichten Story einlullen lässt und Parallelen zu einem bekannten deutschen Autoren des 18./19. Jahrhunderts erkennen möchte, dem sei der Film „Goethe – Ausrufezeichen“ an dieser Stelle empfohlen. Wer hingegen erwartet hat, dass das Goethe-Denkmal des Deutschlehrer-Heers durch die Darstellung von kleinen unwichtigen Ausschweifungen unterminiert wird, kann sich auf eine Enttäuschung einstellen. Letzterem bleibt immernoch die Möglichkeit offen, einen Film über die Studentenzeit Goethes in Leipzig zu kreieren – also jener Zeit, die genau dort endet, wo der „Goethe-Ausrufezeichen“ einsetzt; dort existieren größere Spielräume, die man nicht mit fingierten Liebesgeschichten ausfüllen muss.

Mein abschließender und persönlicher Tipp für den Umgang mit diesem Film – falls er jemanden mal in die Hände fallen sollte: einfach bis zur letzten Szene vorspulen, wenn Goethe mit seinem Vater in Frankfurt anreist und die Menschen begeistert massenweise sein „Werther“-Buch wie ältere Frauen der Gegenwart beim Sommerschlussverkauf reduziertes Billig-Parfüm dem Händler aus den Händen reißen, als könnte man Bücher konsumieren wie Duftwasserersatz. Ebenso flüchtig wie dieses Produkt ist dieser Film und wird hoffentlich schon bald vergessen…spätestens zum Winterschlussverkauf, wenn wieder etwas extatisch konsumiert werden darf und zeitgleich hoffentlich endlich Mario Barth die Rolle seines Lebens in der filmischen Biographie „Kafka-Eine verletzte Seele“ antritt.