Vom Kinderstar des Rhythm & Blues zur Soul-Lady und Country-Sängerin: Esther Mae Jones wurde oft mit Nina Simone verglichen. Sie sah als ihr Vorbild Dinah Washington.
Manche meinen, die Sängerin Esther Phillips wäre zu vielseitig gewesen, als dass es gut für sie hätte sein können. Eigentlich startete sie als Little Esther mit Blues und Rhythm & Blues. Später sang sie ebenso überzeugend Jazz, Disco, Soul und sogar Country.
Doch damit wussten ihre Plattenfirmen einfach nicht mehr, wie man sie hätte vermarkten sollen. Dabei hatte sie doch eine Stimme, die (ein wenig ählich zu der von Nina Simone vielleicht) unbedingt aus dem Einheitsbrei der täglichen Unterhaltungsmusik herausstach. Ebenso wie ihre stilistische Vielseitigkeit stand ihr aber auch ihre seit Beginn ihrer Karriere andauernde Alkohol- und Drogensucht im Wege. Die führte auch zu ihrem frühen Tod.
Geboren wurde sie als Esther Mae Jones am 23. Dezember 1935 im texanischen Galveston. Die Karriere begann (wie üblich) im Kirchenchor als Kind. Nach der Scheidung ihrer Eltern lebte sie wechselweise beim Vater in Houston und bei der Mutter in der Gegend von Los Angeles. Und dort war es, wo ihre Schwester sie bei einer Talentshow im Nachtclub des Rhythm&Blues-Stars Johnny Otis anmeldete. Der war von der 13jährigen so begeistert, dass er sie zu einer Aufnahmesession bei Modern Records mitnahm und sie auch in seine live-Auftritte einbaute. Damals wurde sie als Little Esther angekündigt und sie hatte mit „Double Crossing Blues“ ihren ersten großen Hit: Platz 1 in der R&B-Hitparade. Weitere Singleerfolge folgten und Esther war bald der bekannteste Star in Otis‘ Revueprogramm. Doch bald trennten sich die beiden. Wahrscheinlich hatten sie sich über Geld in die Haare bekommen.
Ohne Otis – und ohne das Label Savoy, bei dem ihre Hits veröffentlicht worden waren, ging es mit ihrer Karriere abwärts. Die Kette der Hits brach ab. Und so zog sie zu ihrem Vater nach Houston zurück. Zu dem Zeitpunkt hatte sie schon eine ernsthafte Heroinabhängigkeit entwickelt. 1956 unterschrieb sie wieder bei Savoy – ohne wirkliche Erfolge blieben auch weitere Plattenverträge. Und so sang sie hauptsächlich in texanischen Nachtclubs. Diese Engagements wurden nur von zeitweiligen Klinikaufenthalten unterbrochen, bei denen sie von ihrer Drogensucht loskommen wollte.
1962 wurde sie erneut entdeckt – und zwar vom Country-Sänger Kenny Rogers. Der brachte sie beim Lenox-Label seines Bruders unter, wo sie als Esther Phillips unterzeichnete. Ihre neuen Aufnahmen brachten ihre Version eines Country-Soul zum Ausdruck, der durch das Vorbild von Ray Charles grade topaktuell war. Und mit „Release Me“ hatte auch Esther wieder einen großen Hit – und diesmal auch in den Pop- und Country-Charts. Ein komplettes Album konnte sie noch aufnehmen – doch Lenox ging 1963 bankrott.
Wegen ihres Erfolges konnte sie aber jetzt bei Atlantic unterschreiben, der damals besten Adresse für Rhythm & Blues überhaupt. Dort wurden mit ihr die verschiedensten Aufnahmen gemacht, um zu sehen, in welche Marktnische sie wohl am besten passen würde: So erschien ein bluesiges Jazzalbum ebenso wie Pop-Standards mit jeder Menge Streicher-Schmalz. Mit „And I Love Him“, einem Beatles-Cover, brachte sie die Band dazu, sie für ihre ersten Auftritte nach Großbritannien zu holen. Atlantic wollte sie noch mehr in Richtung Jazz bringen – doch der einzige wirkliche Erfolg ihres Albums Esther Phillips Sings war eine Version von Percy Sledges „When a Woman Loves A Man“. Ende 1967 kündigte Atlantic schließlich ihren Vertrag. Wieder einmal hatte ihre Abhängigkeit sie eingeholt.
Erst das 1969 erschienene Live-Album Burnin‘ (inzwischen nach diversen Zwischenstationen wieder für Atlantic) brachte ihr wieder Erfolg. Doch Atlantic wollte von ihr immer noch mehr Popsongs hören als alles andere. Schließlich unterzeichnete sie 1971 bei einem Unterlabel des für seine Jazz-Fusion-Musik bekannten Labels CTI. Auf dem von der Kritik hochgelobten – und auch gut verkauften – Album „From a Whisper to a Scream“ findet sich ihre persönlichste Aufarbeitung ihrer Drogenkarriere: „Home Is Where The Hatred Is“ (komponiert von Gil Scott-Heron) ist eine zutiefst verzweifelte Abrechnung mit der Abhängigkeit. Mit der Jazz-Fusion hatte sie endlich einen Stil gefunden, der ihrer Stimme angemessen war. Und sie fand begeisterte Aufnahme bei verschiedensten Jazz-Festivals in aller Welt. Und mit Dinah Washington’s „What a Diff’rence a Day Makes“ hatte sie ihren größten Hit seit „Release Me“. Und gleichzeitig machte sie auch deutlich, dass ihre Musik selbst im aktuellen Disco-Kontext höchst aktuell blieb. 1977 schließlich bekam sie bei Mercury einen Plattenvertrag, der ihr die größte kreative Freiheit im Lauf ihrer gesamten Karriere gab. Doch leider blieben kommerzielle Erfolge aus.
Ohne Plattenvertrag lebte sie ab 1983 in LA, als es nach jahrelanger Heroin- (und seit kurzem auch noch Alkohol-) abhängigkeit mit ihrer Gesundheit bergab ging. Am 7. August 1984 starb sie daran. Leber und Nieren versagten.