Vor allem in den Jugbands, die besonders in Memphis und Umgebung in den 20er/30er Jahren populär waren, fanden sich zahlreiche Mundharmonikaspieler. Bekannt wurden hier beispielsweise Will Shade oder Hammie Nixon.
Die Jug-Bands gehörten mit ihrem Sperrmüllinstrumentarium aus Zuberbaß, Waschbrett und Krug (=Jug), in dem man hineinsang und der tief wie eine Tuba klang, plus Fiedel, Gitarre und Mundharmonika zum Straßenbild jeder größeren Stadt im Süden der USA vor dem Zweiten Weltkrieg. Ob vor Fabriktoren am Zahltag, zur Tanzunterhaltung in Kneipen und Hotels oder zur Umrahmung von Schiffsfahrten – die Musiker waren in der Wahl ihrer Auftrittsorte nicht wählerisch, Hauptsache, die Kasse stimmte. Die Binnenhafenstädte wie Louisville (Kentucky), Memphis (Tennessee), Cincinnati (Ohio) übten eine besondere Anziehungskraft aus. In den Vergnügungsvierteln, wo die Schiffer ihre Heuer verjubelten, herrschte immenser Bedarf an Musikern.
Memphis war eine Hochburg der Jug-Bands und damit der Mundharmonika. Zur bekanntesten Formation des Genres zählte die Memphis Jug Band, die zwischen
1927 und 1934 für Plattenproduktionen 73 Titel aufnahmen. In dieser Waschbrett-
Combo gab Will Shade auf der French Harp den Ton an, wenn er nicht gerade auf einer Whiskyflasche blies. Shade hatte das Spiel auf dem Instrument von seiner Mutter gelernt, die noch in Sklaverei gelebt hatte.
Wenn Not am Mann war, half Noah Lewis gelegentlich bei der Memphis Jug Band aus, allerdings nur so lange, bis er Mitglied bei Gus Cannon’s Jug Stompers wurde. Lewis galt als bester Harmonikaspieler weit und breit, der allerhand Tricks beherrschte. Sein Simultanspiel auf zwei Instrumenten, wobei er gleichzeitig durch Nase und Mund blies, verblüffte das Publikum.
Jed Davenports Markenzeichen war dagegen eine ausgefeilte Wah-Wah-Technik. Indem er wie ein Jazztrompeter mit Dämpfer die Luftlöcher seiner
Harmonika virtuos mit der Hand abdeckte und wieder öffnete, erzielte er eindrucksvolle Klangeffekte. Davenport war Leiter der Beale Street Jug Band, die sich ihren Namen allerdings nicht in den Lasterhöhlen der Sin Street (=der Sündenmeile) von Memphis erworben hatte, sondern wahrscheinlich eine reine Studioformation war, mit der das Vocalian-Label den Erfolg der Memphis Jug Band auf Victor Records kopieren wollte.
Die Jug-Bands mit ihrer Gute-Laune-Musik mögen zwar aus den Hitparaden verschwunden sein (wie so ziemlich jeder Blues), doch in der Live-Szene sind sie nicht unter zu kriegen. In der Folge des weißen Blues-Revivals der 60er Jahre bildeten sich zahlreiche Jugbands, aus denen so erfolgreiche Bluesgruppen wie Canned Heat oder auch die Rocker von Steppenwolf hervorgingen. Und noch heute gibt es in den USA eine Kneipe, die einen jährlichen Jug-Band-Wettbewerb veranstaltet. Daran nehmen (in der Endrunde!) um die zehn Bands teil – und in den Vorrunden noch wesentlich mehr.
Eine andere Richtung der Entwicklung der Mundharmonika in der populären Musik führt über Musiker wie Blues Birdhead. Der setzte schon in den 30er Jahren das Instrument jazzmäßig ein – wie etwa sein Titel ”Get Off That Jazzophone“ zeigt. Eigentlich ist die Band, mit der er spielt, von der Besetzung her eine traditionelle Stringband. Doch Rhythmus und Melodien verweisen schon sehr auf den Swing der späteren Zeiten. Leider findet man über diesen interessanten Spieler kaum nähere Informationen. Über ihn und Virtuosen wie Larry Adler führt der Weg dann hin zur Jazzmundharmonika, wie sie seit den 50er Jahren der Belgier Toots Thielemans definiert hat. Doch die Linie f¨uhrt ebenso hin zu den lyrischen Harmonika-Passagen im Werk von Stevie Wonder oder zu dem Franzosen Jean-Jaques Milteau.