Die (Radio-)Journalistin Marion Brasch feierte 2012 mit Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie ein (spätes) literarisches Debüt. Ihr Buch, das das Verschwinden einer – vielen nicht unbekannten – Familie vor dem Hintergrund des Verschwindens eines Landes thematisiert, soll dabei nicht der Begründung eines Familienmythos dienen oder gar als politische Abrechnung verstanden werden. Vielmehr wollte sie ihre eigene Geschichte erzählen. Erik Münnich sprach mit ihr über die Vorzüge des Romans, die Arbeit an ihrem Buch und die Familie Brasch.
Marion Brasch im Gespräch
Erik Münnich: Einer meiner Leseeindrücke war, dass es sich bei deinem Roman nicht um die Begründung eines Familienmythos oder eine politische Abrechnung handelt, sondern der Verlust der eigenen Familie thematisiert wird. Ließe sich das so sagen? Und welche Rolle spielte diesbezüglich dein Roman?
Marion Brasch: Lässt sich so sagen. Ich erzähle im Prinzip das Verschwinden dieser Familie. Angefangen bei meiner Geburt 1961 über die diversen Brüche in der Familie, die dieses Verschwinden einleiten – 68 zum Beispiel: Gegen den Einmarsch der Truppen in Prag hat mein ältester Bruder Thomas protestiert und daraufhin kam es zum Bruch mit meinem Vater. Natürlich sterben die Leute im Laufe der Geschichte, was nicht unbedingt mit dem politischen System der DDR zu tun hat. Das Buch erzählt die Geschichte des Verschwindens einer Familie vor dem Hintergrund des Verschwindens eines Landes. Und als Roman ist es erzählt, weil mir das die Freiheit gegeben hat, Leerstellen zu füllen – kein Mensch erinnert sich lückenlos an sein Leben. Und es hat mir ermöglicht, diese Geschichte sehr subjektiv zu erzählen. Was nicht heißt, dass es nicht wahr ist, aber es ist meine Wahrheit.
Erik Münnich: Wenn man die Geschichte deiner Familie betrachtet, spiegelt sich ein Großteil der Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder und bezüglich der DDR sind zwei grundlegende Positionen gegenüber der DDR – dafür und dagegen – vorhanden. Wie bist du damit umgegangen?
Marion Brasch: Ich war ja die kleine Schwester in dieser Familie, das heißt ich war das kleinste Kind, das letzte Kind, das einzige Mädchen. Meine drei Brüder waren nicht nur hochbegabt, sondern auch rebellisch. Die haben sich gegen ihren Vater, der ein sehr autoritärer, sehr strenger, sehr prinzipienfester Funktionär war, aufgelehnt. Meine Position war am Anfang die der Beobachterin – die kleine Schwester, die von niemandem richtig ernst genommen wird, die liebgehabt wird, die gefunden wird. Je älter ich wurde, desto mehr geriet ich auch zwischen die Fronten. Auf der einen Seite habe ich das Leben meiner Brüder bewundert, die so begabt waren, die ein Leben geführt haben – sie waren alle drei Künstler –, das ich bewundert habe. Und auf der anderen Seite mein Vater – meine Mutter ist ja relativ früh gestorben –, dem ich das Gefühl geben wollte, bei mir macht er alles richtig: Ich rebelliere nicht, ich bin brav. Ich habe funktioniert, so wie er das wollte. Und das ist der Konflikt, den ich auch erzähle. Also eine Position des Sich-Windens, Zwischen-den-Fronten-auch-Zerrieben-Werdens und sich entscheiden zu müssen, wem will ich denn jetzt gefallen. Und erst ganz spät – fast zu spät – zu erkennen, dass ich verdammt nochmal meinen eigenen Weg finden muss. Und dass es nicht darum geht, irgendjemanden zu gefallen, schon gar nicht meinem Vater. Das war ein Prozess …
Erik Münnich: Du arbeitest hauptsächlich als (Radio-)Journalistin. Steht diese der Autorin im Weg. Was lernt die Autorin von der Journalistin? Und was musste jene vergessen, um einen Roman zu schreiben?
Marion Brasch: Die eine musste eigentlich gar nichts vergessen, weil das eine andere Arbeit war. Ich habe in dieser Zeit, als ich dieses Buch geschrieben habe, einen anderen Beruf ausgeübt. Ich hatte zum Glück – ich bin ja freiberuflich bei radioeins – eine Sperrzeit, das heißt freie Mitarbeiter werden für ein halbes Jahr freigestellt, damit sie sich nicht einklagen können. Das ist genau in dieser Zeit passiert und in diesem halben Jahr bin ich diesem Beruf des Schreibens nachgegangen. Und dann war interessant, nachdem das Buch raus war, dass es so einen Perspektivwechsel gab: Ich bin ja diejenige, die Interviews führt und plötzlich werde ich interviewt und ich gucke, wie Leute ihre Arbeit machen aus der anderen Perspektive. Aber ich stand der Radiotante Marion Brasch nie im Weg und sie mir nicht.
Erik Münnich: Mir ist aufgefallen, dass du weder deinen Vater noch deine Brüder mit Namen nennst. Ist das eben auch der Versuch, mehr Fiktion reinzubringen?
Marion Brasch: Ja, gewissermaßen. Ich habe gesagt, wenn ich ihnen jetzt die Namen gebe, die sie haben – Klaus, Peter, Thomas, Horst und Gerda –, dann ist es plötzlich wieder so dokumentarisch, dann wird es konkret und das wollte ich nicht. Und deswegen habe ich gedacht, sie dürfen nicht so heißen, wie sie heißen. Gebe ich ihnen andere Namen, werden sie mir fremd. Das war der Grund, warum ich sie anonymisiert habe. Der Untertitel dieses Buches ist Roman meiner fabelhaften Familie und dieses fabelhaft steht ja für alles Mögliche. Aber da steckt auch das Wort Fabel drin. Und da habe ich auch gedacht, da kann ich mich immer wieder drauf berufen, dass es Fabel ist und der Fuchs heißt der Fuchs und der Hase der Hase – die haben auch keine Namen.
Erik Münnich: Du klebst auf deiner Autorenhomepage Sachen zusammen. Es gibt dort sehr viele Bezüge zum Roman. Ist das Zufall oder Absicht und was war zuerst?
Marion Brasch: Als ich das Buch fertig geschrieben hatte, war ja viel Zeit, bis es erschien. Ich bin gelernter Schriftsetzer, also ich weiß, wie man Bücher herstellt. Und da habe ich gedacht, ich mach mal für mich einfach so eine kleine Edition mit zehn Exemplaren, da mach ich Bilder rein, weil es so viele Bilder von dieser Familie gibt. Und dann habe ich das gemacht und dachte, das ist doch eigentlich schön und das ist ein Roman, da sind keine Bilder drin – sollen auch nicht sein –, aber man kann, nachdem das Buch erschienen ist, einfach so eine zweite Ebene schaffen – eine Perspektive noch dazu, indem man bebildert. Und ich dachte, das ist doch eine gute Idee, das auf diese Seite zu machen. Also, dass man Gesichter zu den Leuten hat, dass man Situationen hat – da sind ja auch Videos drin. Und das, was so als Feedback zurückkam, hat mich bestätigt. Das fanden die Leute, die das Buch gelesen hatten, glaube ich, ganz gut. Oder manche sind auch dadurch erst neugierig geworden.
Das ausführliche Gespräch erscheint in der Mai-Ausgabe unseres pdf-Magazins.