wie oft war er nun in den letzten drei jahren in kliniken? darm-op… pfortaderthrombose… depressionen… hernie… und jetzt schleppte er sich zur elektrokrampftherapie nach neun aufenthalten in der psychiatrie… nichts ging mehr, nur noch ein grausames und krankes durcheinander im bio-chemischen haushalt in der masse unter seiner schädeldecke. ein alter artikel fiel ihm wieder ein, lief fettgedruckt und wie ein zwang durch ihn durch, wort für wort immer wieder wiederholend, nicht sicher, ob sie an der richtigen stelle aneinanderhingen, und er wiederholte es noch einmal und noch einmal im tragen seines von zuhause mitgebrachten kopfkissens bis hoch auf die psychiatrische station:
SORGENICHs MITTWOCHs-REVUE 15
BIOTHIKER DER UNIVERSITÄT KOPENHAGEN KOMMEN 1994 ZU FOLGENDER ÜBERLEGUNG: NACH UNSERER AUFFASSUNG SCHEINT ES GANZ NATÜRLICH ZU SAGEN, DASS DIE ORGANE LEBENDIGER PERSONEN LEBENSWICHTIGE GESUNDHEITSRESSOURCEN SIND, DIE WIE ALLE ANDEREN LEBENSWICHTIGEN RESSOURCEN GERECHT VERTEILT WERDEN MÜSSEN. WIR KÖNNTEN UNS DAHER GEZWUNGEN SEHEN, DASS ALTE MENSCHEN GETÖTET WERDEN DAMIT IHRE ORGANE AN JÜNGERE, KRITISCH KRANKE PERSONEN UMVERTEILT WERDEN KÖNNEN, DIE OHNE DIESE ORGANE BALD STERBEN MÜSSTEN. SCHLIEßLICH BENUTZEN DIE ALTEN MENSCHEN LEBENSWICHTIGE RESSOURCEN AUF KOSTEN VON BEDÜRFTIGEN JÜNGEREN MENSCHEN.
„alle buchstaben groß, bis auf das ß in schließlich, nochmal: BIOTHIKER DER UNIVERSITÄT…“
„hatte ich ihnen nicht gesagt, als sie angerufen hatten, sie sollten so wie immer kommen, so zwischen neun und zehn uhr?“, unterbrach ihn die ihm auf dem stationsflur entgenkommende schwester.
„…WIR KÖNNTEN UNS DAHER GEZWUNGEN SEHEN…“
„warten sie hier auf den arzt! ich mach mit ihnen auch gleich noch wieder die patientenaufnahme.“, kam sie dem mann erneut dazwischen.
er stellte seine tüte mit dem kopfkissen auf einem stuhl im flur ab. „…DASS ALTE MENSCHEN GETÖTET WERDEN DAMIT IHRE ORGANE AN JÜNGERE, KRITISCH KRANKE PERSONEN UMVERTEILT WERDEN KÖNNEN, DIE OHNE DIESE ORGANE BALD STERBEN MÜSSTEN. SCHLIEßLICH…“
„wieder nur ein kleines ß!“
„…BIOTHIKER…“
„so, jetzt kommen sie mal rein.“
der mann ging rein.
„wann sind sie geboren?“
„31. mai 1957.“
„trinken sie?“
„schon ewig nicht mehr.“
„das ist gut.“, sagte die schwester.
„was ist mit rauchen? rauchen sie? wenn ja, wieviele?“
„zur zeit fünfundzwanzig bis fünfzig.“
„oh, das ist nicht gut.“, hörte der mann. „schon lange?“
„ja. so mit zwölf jahren hab ich angefangen.“
„dann ist die lunge aber auch nicht mehr so frisch.“
‚mein hirn können sie haben.’, dachte der mann und dann erinnerte er sich, daß bei seinem letzten aufenthalt hier in der klinik, in der straße zum gegenüberliegenden stromanbieter kabel verlegt worden waren. aber er wußte nicht mehr, ob die gräben bis hinein ins klinikgelände gezogen wurden, und wie er in seiner schweren depression die langen tage und nächte bis zum beginn der elektrokrampfbehandlung in ein oder zwei wochen durchstehen und ertragen sollte, wußte er auch nicht.