Asta Pôldmäe (Foto: Uwe Roßner)Asta Pôldmäe ist eine der Schriftstellerinnen aus dem Ostseeraum, die zur 11. Autorentagung „Junge Literatur in Europa“ nach Greifswald eingeladen worden ist. Seit 1986 ist sie Redakteurin der in Estland führenden Literaturzeitschrift „Looming“ und gehört dem Schriftstellerverband ihres Landes an. 1984 und 1995 erhielt sie den Tuglas-Preis für die beste Erzählung. Uwe Roßner sprach mit ihr.

WP: Frau Pôldmäe, in welcher Erinnerung wird Ihnen die „Junge Literatur in Europa“ 2010 bleiben?
Pôldmäe: In einer sehr lebendigen! Die Atmosphäre ist hier warmherzig und es wird sich sehr gut um die jungen Autoren gekümmert.

WP: Was gilt Ihnen die Einladung?
Pôldmäe: Es war eine sehr große Ehre und erhebend, in diesem Kreis zu lesen. Greifswald ist zudem eine hübsche Stadt.

WP: Wie unterscheidet sich die Lesekultur in Greifswald zu der in Estland?
Pôldmäe: In Estland hat ein Autor nur sieben Minuten um seinen Text vorzustellen. Es berührt mich, wie geduldig und gespannt hier die Zuhörer einer halbstündigen Lesung folgen können. Man lernt die Persönlichkeit des Schriftstellers dadurch viel besser kennen. Die anschließenden Diskussionen waren tiefgründig. Estland kann viel von hier lernen.

WP: Wie steht es um die Literatur in Estland?
Pôldmäe: Das ist eine sehr weite Frage. Anfang der neunziger Jahre hat es nicht die Explosion gegeben, mit der sich alles verändert hat. Die estnischen Schriftsteller hatten immer einen hohen Anspruch an ihr Können. Anderseits ist es nicht einfach, jetzt alles sagen zu können, was man will. Diese Erkenntnis ist ein langsamer Prozess. Es ist nicht einfach, dafür eine passende Form zu finden.

WP: Ruhte nicht dennoch etwas in den Schubladen oder in den Fächern?
Pôldmäe: Es ist viel weniger als erwartet und was der Veröffentlichung Wert ist. Als Redakteurin der Literaturschrift erwartete ich lange Warteschlange. Nichts dergleichen hat es aber gegeben. Zumindest nicht im Falle der hochwertigen Literatur. Natürlich gab es auch einige, wenige Ausnahmen.

WP: Wie kommt das?
Pôldmäe: Die Esten haben immer ihre Kritik an der Zeit zwischen den Zeilen geäußert. Das ist die hohe Schule der Schriftstellerei. Leider ist sie verloren gegangen. Das bedaure ich sehr.

WP: Wie steht es um die Literaturzeitungen in ihrem Land?
Pôldmäe: Vier bis fünf gibt es davon bei uns. Ihr Anspruch reicht auch bis in das Wissenschaftliche, Theoretische. Die Auflagen sind relativ hoch und werden verkauft. Dennoch sind die bedroht.

WP: Warum?
Pôldmäe: In Schweden, Finnland und Belgien sind die entsprechenden nationalen Literaturzeitungen eingegangen. Estland dagegen hält sich tapfer und wir versuchen sie auch am Leben zu erhalten.

Wie hoch ist deren Auflage?
Pôldmäe: Das ist sehr unterschiedlich. In der Regel zwischen 300 bis 500 Exemplare. 2.500 bis 3.000 Stück sind es seit Jahren bei „Looming“.

WP: Wie umfassend ist sie?
Pôldmäe: Diese Literaturzeitschrift ist an die einhundert Seiten stark. Sie ist das führende Blatt des Landes und widmet sich ausschließlich der estnischen Literatur. Darin gibt es literarische Debüts, Kritiken, Essays und Vorstellungen. 1923 gründete sie der estnische Schriftsteller Friedebert Tuglas. Er war Novellist und diese Gattung und deren Tradition wird bis heute im „Looming“ hochgehalten.

WP: Welche Publikationsmöglichkeiten stehen jungen Autoren offen?
Pôldmäe: Für sie allein gibt es zwei Literaturzeitungen, wo sie veröffentlichen können. Im „Looming“ haben wir in jedem Heft ein Debüt. Wer dort einmal gedruckt wird, hat es geschafft.

WP: Wie sieht deren allgemeine Situation aus?
Pôldmäe: Als freiberufliche Autoren können sie nicht vom Schreiben leben. Sie haben alle einen Beruf und müssen sich  nebenbei ihrer Kunst widmen.

WP: Wie steht es um deren Ausbildung?
Pôldmäe: Einige Großmeister laden einen Kreis privat zu sich ein, geben Tipps und Anregungen. Workshops oder ein Literaturinstitut gibt es nicht. Das Übersetzen wird gelehrt, aber nicht das künstlerische Schreiben.

WP: Welchen Einfluss haben die elektronischen Medien?
Pôldmäe: Durch sie hat sich viel geändert.

WP: Was kennzeichnet aktuell den estnischen Buchmarkt?
Pôldmäe: Es gibt viele gute und gestandene Schriftsteller. In Südestland gibt es Autoren, die ausschließlich im dortigen Dialekt und mit hoher Qualität schreiben. Auch im Wissen, dass ihr Werk außerhalb des Landes nicht bekannt wird. Andere sehen gern nach außen. Finnland ist beispielsweise als Nachbarland ganz wichtig. Da gibt es einen regen Kulturaustausch. Die Beziehungen zu Russland sind kontinuierlich und brav. Und natürlich nach Europa, dem wir angehören.

WP: Gab es Auswirkungen durch die Wirtschaftskrise?
Pôldmäe: Das Bedürfnis nach Literatur ist nicht zurückgegangen. Sie hatte in Estland immer einen hohen Stellenwert. Vermehrt sind Lebenshilfen, Ratgeber und Kochbücher hinzugekommen. Die Verleger halten sich vielleicht etwas bedeckt. Insgesamt gesehen Aktuell steht die Dramatik gut da.