Er schrieb Drehbücher über hilfsbedürftige Aliens oder Romane über bücherverliebte über Marskolonisten. Auch wenn er vor allem als Science-Fiction-Autor gewürdigt wird, ging es ihm doch im Grunde um ganz irdische Themen. Und um die Macht der Literatur, die Gesellschaft zu verändern. Zum Tode des Schriftstellers Ray Bradbury (1920-2012) erinnert Robert Klopitzke an seinen wohl wichtigsten Roman „Fahrenheit 451“.
Seitdem es literarische Utopien gibt, besitzen wir auch einen unermesslichen Fundus an dem sich daraus entwickelten Subgenre der Anti-Utopien, oder auch Dystopien genannt.
Huxley und Orwell werden in diesem Zusammenhang immer als erstes genannt, da ihr ironisch anklagender Ton sehr wirkungsmächtig war. Sie greifen Tendenzen ihrer eigenen Zeit auf und stellen ihre möglichen pervertierten Modifikationen in einer erdachten und stark karikierten Zukunft dar. Die abgebildeten Hauptakteure entwickeln – ausgelöst durch einen äußeren Anlass – eine kritische Perspektive auf ihre Zeit und dem Milieu, aus dem sie stammen. Doch wird ihnen in der unbarmherzigen Maschinerie der gesellschaftlichen Realität nach einem kurzen Ausbruch kein dauerhafter Ausweg gewährt. Und so rennen die Protagonisten – ganz nach griechisch mythischem Vorbild – gerade dadurch in ihr tragisches Schicksal, weil sie diesem zu entkommen versuchen. Unwissentlich werden dadurch die Schöpfer der futuristischen Schreckensvisionen ihre größten Verteidiger.
Anders verhält es sich mit Bradburys Helden Guy Montag, der am Ende seiner Katharsis und lebensbedrohlichen Flucht nicht mit einem klassischen Happy End aufwarten kann, jedoch den Raum für einen Neuanfang mit Büchern nach einem verheerenden Krieg offen lässt. Die furchtbare Dystopie einer zukünftigen Welt, in der die Feuerwehr Bücher verbrennt und die Menschen nur noch unterhalten werden wollen, ist durch Bradburys Fülle an Metaphern (die Geschichte der Bücherverbrennung ist ja schon selbst eine Metapher) so schonungslos dargestellt, dass man zwanghaft einen Gegenwartsbezug sucht und leider auch stets findet.
Als Bradbury 1953 das Buch innerhalb von neun Tagen schrieb, konnte er noch nichts von dem technischen Wandel (Internet, Mobilfunk etc.), der sich in den nächsten fünfzig Jahren vollziehen sollte, ahnen und hat trotz dessen den Mentalitätswandel schon frühzeitig prognostiziert. Deshalb kommt bei der Neubewertung des Buches die Aussage vom Feuerwehrhauptmann Beatty eine merkwürdige Aktualität, die mehr ist als Zeit- oder Kulturkritik: „Her mit den Clubs und Festen, den Akrobaten und Zauberkünstlern, den Rennwagen und Hubschraubern, her mit Sex und Drogen, mit allem, was automatische Reflexe auslöst. Wenn das Theaterstück schlecht ist, der Film schwach, das Hörspiel nichtssagend, dreh die Lautstärke höher. Ich bilde mir dann ein, ich hätte was von dem Stück, wo ich doch bloß vom Schall erschüttert bin. Mir ist es egal, ich will nur unterhalten werden.“
Danke Ray Bradbury; auf der nächsten Party, auf der jemand den langen Reigen eröffnet und sich gegenseitig youtube-Videos gezeigt werden, wenn die internetfähigen Mobiltelefone gezückt werden, der Fernseher parallel zu irgendeinem Musikstück aus der anderen Ecke lauter gestellt wird, werden diese Worte hoffentlich in mir fortklingen und nicht durch das grelle Getöse verschüttet gehen. Danke für das Buch, das bestimmt schon jetzt als Klassiker gelten darf.