1965 erschienen drei Sampler, die den aktuellen Stand des Blues in Chicago dokumentierten. Die Alben sind heute wichtige Dokumente der Musikgeschichte und stellten damals erstmals Künstler wie Buddy Guy, Big Walter Horton oder J.B. Hutto einer breiteren Öffentlichkeit vor.
Da mussten erst die Engländer kommen, um den versnobten Studenten in den USA in den 60er Jahren klar zu machen, dass der Blues nicht nur von Leuten mit Latzhose und akustischen Gitarren gespielt werden kann. Das Folkrevival in den USA in den 50er und 60er Jahren hatte genau dieses Klischee vermittelt: Alte Männer, die aussehen wie grade vom Baumwollpflücken gekommen.
Dabei gab es nicht erst seit den 50er Jahren in den Großstädten eine völlig eigenständige Weiterentwicklung des Blues. Doch alles, was sich auch nur ansatzweise wie Pop oder Tanzmusik anhörte, war für einen aufrecht arroganten Folkie natürlich jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Und so hatten sie weder den Jump Blues der 40er/frühen 50er Jahre mit Musikern wie Louis Jordan, Big Joe Turner und anderen mitbekommen noch den Rock ’n‘ Roll eines Chuck Berry oder Bo Diddley. Und selbst der elektrische Chicago-Blues von Muddy Waters, Little Walter und anderen war ungehört an ihnen vorbei gegangen.
Und so waren sie ziemlich schockiert, als Bands wie die Rolling Stones die Stücke von genau diesen Leuten interpretierten und sie als Vorbands zu ihren Tourneen einluden. Auch der Auftritt der gemischtrassigen Paul Butterfield Blues Band beim Folkfestival in Newport war so ein Schock – schon ihr eigener, nicht erst der als Begleitband für Dylans ersten elektrisch rockenden Auftritt.
Als 1965 die drei LPs „Chicago The Blues Today!“ erschienen, war das in geschäftlicher Hinsicht ein ziemliches Wagnis. Denn die auf den Samplern vertretenen Musiker waren bis auf den von Muddy Waters bekannten Pianisten Otis Spann außerhalb der schwarzen Community völlig unbekannt. Doch für das Bluesleben in Chicago waren Buddy Guy & Junior Wells, Big Walter Horton oder J.B. Hutto die entscheidenden Vertreter der jungen Generation, die Errungenschaften von Soul und Rock ’n‘ Roll in die Pflege des Blueserbes mit einbezogen. Für Vanguard zahlte sich das Risiko aus – die von Blueshistoriker Sam Charters zusammengestellte Serie schaffte es, dem Blues der 60er Jahre ein neues Publikum besonders in den kreisen der jungen weißen Rockfans zu verschaffen und führte so manchen Neuling ein in die wilde Blueswelt.